Wirtschaftswachstum_BIPb

- © Südostschweiz

Schweizer Wirtschaft ist grösser als sie war

Hanspeter Guggenbühl /  Die Schweizer Wirtschaft ist im Jahr 2010 um 24 Milliarden Franken oder 4,3 % umfangreicher geworden - aber nur auf dem Papier

Für Wirtschaftsleute, Konjunkturforschende und Landesregierungen ist das Bruttoinlandprodukt (BIP) das Mass aller Dinge. Mit Argusaugen beobachten sie im Quartalsrhythmus, ob und um wie viel das BIP gestiegen oder gesunken ist. Beim BIP handelt es sich um den Geldwert der wirtschaftlichen Leistung einer Volkswirtschaft; dabei wird sowohl die Produktions als auch der Konsum (»Verwendungszweck des BIP») innerhalb der Landesgrenzen erfasst.

Wächst das BIP real, also das nominale BIP nach Abzug der Teuerung, so frohlocken Regierungen ebenso wie Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften. Schrumpft es, wie das gegenwärtig in mehreren EU-Staaten geschieht, herrscht Katzenjammer, und die Leute aus Wirtschaft und Politik fordern Massnahmen zur «Ankurbelung der Wirtschaft» oder gar einen «Wachstumspakt».

Doch die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, die das Bruttoinlandprodukt in Dollar, Euro oder Franken anzeigen und seine Veränderung in Prozent bis hinter die Kommastelle berechnen, sind weniger präzis als sie scheinen. In Wirklichkeit wird das Bruttoinlandprodukt nicht gemessen, sondern aufgrund von vielen Indikatoren geschätzt. Diese Schätzungen werden periodisch überprüft und revidiert, weil sich die Wirtschaftstrukturen verändern. Dabei entstehen Korrekturen in Grössenordnungen, die sich vor dem Komma bewegen.

Wirtschaftsleistung im Jahr 2010 um 4,3 Prozent höher

Das gilt auch für die Schweiz: In einem kaum beachteten Communiqué teilte die Bundesverwaltung am 29. Juni mit: «Gemäss den jüngsten Schätzungen des Bundesamtes für Statistik (BFS) belief sich das Bruttoinlandprodukt zu laufenden Preisen im Jahr 2010 auf 574 Milliarden Franken. Bisher war das BIP auf 550 Milliarden Franken geschätzt worden.» Der Umfang der Schweizer Volkswirtschaft im Jahr 2010 war also um 24 Milliarden Franken oder 4,3 Prozent grösser, als aufgrund der bisherigen Daten angenommen wurde. Zur Veranschaulichung: Die 24 Milliarden Franken entsprechen immerhin dem dreifachen Jahresumsatz der SBB (Einnahmen aus Personen-, Güterverkehr, Bahnhofbusiness plus Staatssubventionen).

Mit der Korrektur des BIP um 24 Milliarden im Jahr 2010 verändern sich auch die früher publizierten Wachstumsraten. «Das Schweizer Wirtschaftswachstum» sei, so steht im Communiqué, «zwischen 1990 und 2010 etwas dynamischer und volatiler» ausgefallen.

Stärkeres BIP-Wachstum zwischen 1990 und 2010

Denjenigen, die konkret wissen wollen, wie viel «etwas dynamischer» ist, liefern die Statistiker eine umfangreiche Tabelle über das «Bruttoinlandprodukt nach Verwendungsarten zu laufenden Preisen». Daraus lässt sich ausrechnen: Nominal, also inklusive Inflation, wuchs das Schweizer BIP von 1990 bis 2010 um 69 Prozent. Gegenüber der alten Rechnung entspricht das einem Plus von sieben Prozentpunkten.

Aussagekräftiger sind die «Veränderungen zu Preisen des Vorjahres», also die inflationsbereinigten oder realen Wachstumsraten des BIP, die das BFS ebenfalls mitliefert. Das Resultat der neuen Berechnung: Von 1990 bis 2010 wuchs das Schweizer BIP real um 32,4 Prozent. Gegenüber der alten Rechnung entspricht das einem Plus von rund drei Prozentpunkten respektive von zehn Prozent (siehe Grafik). Die wesentlichen Differenzen zwischen alter und revidierter Rechnung ergeben sich allerdings erst ab 2005, weil die älteren Daten schon in früheren Revisionen angepasst wurden.

»Aussagekräftigste Daten» – aber nur bis 2014

Die Korrektur der BIP-Daten ist laut BFS auf drei Faktoren zurück zu führen: Die Veränderung der Wirtschaftsstruktur, die sich seit der letzten Revision ergeben hat, eine «neue Wirtschaftszweigsystematik», die bessere Analysen erlaubt, sowie die Neuberechnung von statistischen Daten, die der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zu Grunde liegen. «Die Erstellung des BIP basiert somit erneut auf den aussagekräftigsten verfügbaren Daten», schreibt das Statistische Amt. Das gilt bis Herbst 2014. Dann erfolgt die nächste Revision.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20111221um18_39_50

Führt Wachstum zu Glück oder Crash?

Geht uns die Arbeit aus, wenn wir nicht ständig mehr konsumieren? Oder sind die Renten in Gefahr?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.