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DDR-Testpatient Hubert Bruchmüller war damals ahnungslos © Beobachter

Beobachter enthüllt: BAG-Spitze wusste Bescheid

upg /  Noch 1985 empfing der BAG-Direktor einen Stasi-Agenten und segnete die fragwürdigen Medikamentenversuche von Sandoz in der DDR ab.

Vor einem halben Jahr hatte der «Beobachter» über umfangreiche Medikamentenversuche von Schweizer Pharmafirmen in der DDR berichtet. Die meisten DDR-Patienten hatten keine Ahnung, dass sie hauptsächlich für Sandoz und Ciba-Geigy neue Medikamente testeten (heute beide Novartis). Einige Patienten starben und viele mehr erlitten gesundheitliche Schäden.
In der neusten Ausgabe kann der «Beobachter» sogar beweisen, dass das Bundesamt für Gesundheit BAG über die Medikamenten-Versuche Bescheid wusste, ja diese sogar förderte. Das BAG lud hochrangige Vertreter des DDR-Gesundheitsministeriums mehrmals nach Bern ein. Weil einer der Gäste ein Informant der Stasi war, sind dessen Berichte in den Stasi-Akten zu finden.
Interpharma lud ein und verschaffte Kontakte im Bundeshaus
Alfred Herzog, ein Vorgänger von Thomas Cueni als Geschäftsführer des Pharma-Verbands «Interpharma» schrieb der BAG-Spitze: «Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie den Morgen des 4. November (1985) für den Besuch der zwei Gäste aus der DDR opfern.»
Die beiden DDR-Gäste waren Ulrich Schneidewind, stellvertretender Minister für Gesundheitswesen der DDR, sowie Joachim Petzold, Leiter des «Beratungsbüros für Arzneimittel». Beide wollten in der Schweiz dafür werben, Medikamentenversuche in der DDR durchführen zu lassen. Die finanziell bankrotte DDR brauchte dringend westliche Devisen. Mit Erfolg: Bis Ende 1990 wurden in der DDR über 30 Medikamente aus der Schweiz getestet, berichtet der «Beobachter». Neben Sandoz und Ciba-Geigy liessen auch Roche, Serono und Syntex Versuche durchführen.
Kontakte zum BAG und zur Swissmedic
Am 7. November 1985 wurden die beiden von Jean Pfanner, bis 1997 Direktor der IKS (heute Swissmedic) empfangen. Es folgte ein Mittagessen im Berner Hotel Schweizerhof mit dem damaligen BAG-Direktor Beat Roos und Sektionschef Jean-Pierre Bertschinger. Sie alle duldeten die Medikamentenversuche der Schweizer Pharmafirmen oder förderten sie sogar.
«IM Klugmann» sass am Tisch»
Mit Petzold sass als «IM Klugmann» auch die Staatssicherheit der DDR am Tisch. Der «Beobachter» zitiert aus den bisher unveröffentlichten Dokumenten des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Bereits ein halbes Jahr nach dem erwähnten Besuch berichtete «IM Klugmann» über einen weiteren Besuch in der Schweiz bei «exponierten Vertretern der baseler pharmazeutischen Industrie».
Theoretisch galt auch in der DDR die Vorschrift, dass Patientinnen und Patienten aufgeklärt werden müssen, damit sie entscheiden können, ob sie an einem Versuch teilnehmen möchten oder nicht.
Die Praxis jedoch war eine ziemlich andere. Der «Beobachter» zitierte in seinem ersten Bericht einen überlebenden Patienten, der keine Ahnung hatte, dass er Testpersonen für Spirapril war, ein neues Mittel gegen zu hohen Blutdruck der Firma Sandoz. Todesfälle wurden Bettnachbarn verschwiegen mit der Angabe, der Patient sei verlegt worden, weil es ihm schlecht gehe. Versuchsperson Hubert Bruchmüller habe «erst Jahrzehnte später» erfahren, dass sein Zimmergenosse den Versuch nicht überlebt hatte.

Der DDR-Verhandlungspartner der Pharmakonzerne, «Oberpharmazierat» Joachim Petzold, hatte in einer Aktennotiz sogar die Sprachregelung festgehalten: «Bei der Bewertung…sollte sinngemäss die Formulierung verwendet werden, dass ‹zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Kausalzusammenhang zwischen der beobachteten Nebenwirkung und dem Arzneimittel› festzustellen sei.»

Zu allem bereit

«Das Regime der DDR war zu allem bereit, was dem Land Devisen einbrachte», schrieb der «Beobachter». Trotzdem gaben sich die Schweizer Behörden offensichtlich mit Zusicherungen zufrieden, dass die betroffenen Patientinnen und Patienten über die Versuche zum Voraus voll informiert würden.
«Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss», scheint die Devise der Swissmedic auch heute noch zu sein. Sie «vertraut» Zertifikaten der indischen und chinesischen Behörden, dass die dort hergestellten und von Novartis, Roche & Co günstig in die Schweiz importierten Wirkstoffe und Zusatzstoffe nach internationalen Qualitätsnormen hergestellt sind. Patientinnen und Patienten dürfen nicht einmal erfahren, welche Wirkstoffe aus Billigländern stammen.

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4 Meinungen

  • am 3.03.2014 um 16:57 Uhr
    Permalink

    Gegenwart:
    2010 hat die European Medicines Agency begonnen, individuelle Daten aus den klinischen Studien, die die Grundlage für die Zulassung neuer Medikamente in Europa bilden, zu veröffentlichen. Dieser Schritt wurde von Forschern in Europa, Amerika und weltweit als Meilenstein auf dem Weg zur Arzneimittelsicherheit begrüsst – See more at: http://wp.rxisk.org/rxisk-org-koordiniert-die-petition/#sthash.kTYmuCFx.dpuf
    Deutscher Text unter http://www.mezis.de
    Grüsse

  • am 3.03.2014 um 17:06 Uhr
    Permalink

    Nachtrag, dieser Satz ging veloren, darauf beziehen sich die links:
    "Lassen Sie uns die Pharma-Daten sehen – Nebenwirkungen sind keine Geschäftsgeheimnisse"
    16.09.2013 10:34 von Christiane Fischer

  • am 3.03.2014 um 18:53 Uhr
    Permalink

    Der Titel erweckt den Eindruck, die damalige BAG-Direktion – übrigens Beat (und NICHT Bernhard) Roos – habe gewusst, dass die Studien in der DDR nicht regelkonform durchgeführt wurden, was eine recht heroische Annahme (Unterstellung) wäre! Franz Wyss

  • Portrait.Urs.P.Gasche.2
    am 3.03.2014 um 19:31 Uhr
    Permalink

    Danke Herr Wyss für den Namenshinweis. Ich habe den Vornamen geändert. Entweder hatten Beat Roos vom BAG und die IKS den DDR-Zusicherungen regelkonformer Tests geglaubt und kein Recht auf eigene Stichproben-Kontrollen verlangt, dann ist dies schwer nachvollziehbar naiv. Oder die Behörden wollten den Pharmafirmen zu kostengünstigen Versuchen verhelfen, dann waren sie mit verantwortlich. Heute ist es kaum anders, wenn es um klinische Versuche in Indien oder China oder auch um die dortige Produktion von Wirk- und Zusatzstoffen geht: Swissmedic vertraut Zertifikaten dieser Länder, ohne Stichproben vor Ort zu machen, und ohne bei mangelnder Eigenkontrollen der Firmen saftige Sanktionen vorzusehen. Die Patienten dürfen nicht einmal erfahren, woher die Wirkstoffe der Schweizer Medikamente stammen. Keine Deklarationspflicht, obwohl es bei Medikamenten um Leben und Tod geht. Einfach nur Vertrauen haben! Später werden Sie sagen, die Behörden hätten doch nicht wissen können, was in China oder Indien schief lief. Was dort alles geschummelt wurde, um klinische Tests und Produktion noch billiger anbieten zu können.
    Oder haben Sie andere Infos? Ich würde gerne verbreiten, dass man früher nichts wissen konnte, und dass man heute davon ausgehen kann, dass alles regelkonform abläuft.

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