UnterallmeindArth2012

Über den Einsatz des gemeinsamen Eigentums wird urdemokratisch abgestimmt (Arth 2012) © cm

Gemeinsames Eigentum: ein altes Modell mit Zukunft

Christian Müller /  Die alte alemannische Idee der Allmende, des gemeinsamen Grundbesitzes zur gemeinsamen Nutzung, lebt weiter. Auch in der Schweiz!

Sie ist durchaus nicht tot, die alte alemannische Idee der Allmende, des gemeinsamen Grundbesitzes zur gemeinsamen Nutzung. In der Zentralschweiz lebt sie fort und ist heute sogar in einigen Kantonsverfassungen verankert. «Korporationen» oder «Genossame», wie sich die Körperschaften mit gemeinsamem Grundbesitz in der Schweiz nennen, gibt es seit über tausend Jahren, mit schriftlichen Dokumenten historisch gesichert auf jeden Fall seit dem Jahr 1114. Damals hatte die Korporation Oberallmein Schwyz Zoff mit dem Kloster Einsiedeln, was ein Zeitgenosse und früher Chronist für wert befand, zu Papier gebracht zu werden.

Wo jeder gleiche Rechte und eine Stimme hat

«Der Präsident hat vollkommen recht», sagt ein sichtbar erregter Mann aus der Mitte der Versammlung, «warum sollen wir in Bern schon vorsorglich fragen, ob wir die Erlaubnis zur Führung dieses Ausflugrestaurants erhalten werden und ob uns die damit verbundene Sanierung der Zufahrtsstrasse erlaubt wird? Wir sind eine eigenständige Korporation. Das Land, auf dem wir bauen wollen, ist unser Land. Wir sind nicht in der EU, wo alles in Brüssel entschieden wird!»

Ja, der Präsident der Korporation Unterallmeind in Arth am Zugersee, Karl Weber, hat es heute nicht ganz leicht, seine Sache zu vertreten. Das Projekt, aus der heutigen Schirmhütte auf dem Rufiberg hoch über dem Zugersee ein Bergrestaurant zu machen, war schon damals nur knapp angenommen worden. Manche zweifelten, ob so ein Ausflugs-restaurant je rentabel betrieben werden könnte. Und jetzt versucht eine Gruppe von Korporationsbürgern um Walter Eigel, das Projekt zu stoppen und dem Verwaltungsrat die Kompetenz in dieser Sache zu entziehen. Einige Umweltverbände haben nämlich Einsprache erhoben. Aber soll man da gleich klein beigeben, und, wie es der selber anwesende Bürger Walter Eigel fordert, in Bern – sprich: bei den Schweizer Bundesbehörden – schon im voraus Sondierungsgespräche führen?

Karl Weber, der Präsident der Korporation Unterallmeind in Arth, ist Bauer. Aber er ist auch ein versierter Diskussions- und Versammlungsleiter. Heute allerdings ist auch er ein wenig nervös. Ein Antrag auf Kompetenz-Entzug des Verwaltungsrates, so etwas ist noch nie vorgekommen – oder zumindest kann sich niemand an einen so harten Vorstoss innerhalb der Korporation Unterallmeind erinnern. Aber Karl Weber ist ein begnadeter Redner und er weiss sich des typisch innerschweizerischen Humors zu bedienen. «Da wir an der heutigen Jahresversammlung wegen dieser heissen Sache einen Grossaufmarsch erwartet haben, haben wir den Tisch für den Verwaltungsrat vorne auf die Theaterbühne gestellt, um für mehr Leute Platz im Saal zu haben», sagt er zur Eröffnung der Versammlung im Pfarreiheim St. Georg in Arth. «Nein, nicht um auf euch hinunter zu schauen. Das war nicht das Ziel. Aber hinter der Bühne hat es einen Notausgang. Da können wir dann flüchten, wenn die Versammlung handgreiflich wird und auf uns losgeht …» Sagt es – und kassiert schon vor den Verhandlungen den ersten grossen Lacherfolg.

Die Unterallmeind Korporation von Arth konnte vor acht Jahren bereits ihr 650-Jahr-Jubiläum feiern. Damals bei der Gründung, im Jahr 1354, knapp 40 Jahre nach der legendären Schlacht am nahegelegenen Morgarten, hatten sich die alteingesessenen Familien aus dem Pfand der Markgräfin Maria von Baden freikaufen können. Das Land unten im Talboden wurde unter den beteiligten Familien aufgeteilt, der Wald und die Alpweiden in höheren Lagen dagegen blieben in gemeinsamem Eigentum – bis heute. 2400 Hektaren Land umfasst es, dieses gemeinsame Eigentum, die Hälfte davon Alpweiden, etwas weniger als die Hälfte Wald. Der Rest setzt sich aus kleineren Grundstücken in der Gemeinde Arth zusammen.

Zehn Sachgeschäfte sind es, die von den gut 80 anwesenden Bürgern an dieser Jahresversammlung beraten und basisdemokratisch gutgeheissen oder zurückgewiesen werden müssen. Neun davon sind in etwas mehr als einer halben Stunde erledigt, darunter die Jahresrechnung, der Voranschlag fürs nächste Jahr, der Verkauf von ein paar Quadratmetern Land für die Arrondierung eines anderen Grundstückes, ein Planungskredit über 100’000 Franken für einen Neubau und ein Kredit von 100’000 Franken für ein Dach über dem Holzlager – alles ohne auch nur eine Gegenstimme. Jetzt, beim Projekt Ausflugsrestaurant Schirmhütte auf dem Rufiberg, dem heissen Eisen des Abends, ist der Ausgang der Abstimmung lange unsicher. Eine Handvoll Bürger votieren dafür, eine andere dagegen. Doch dann zieht Karl Weber, der Präsident, seinen spitzesten Pfeil aus dem Köcher und spricht Antragsteller Anton Eigel direkt an: «Du, Anton, du bist ja selber ein Mitunterzeichner auf einer der Einsprachen der Umweltverbände. Warum stehst du nicht dazu und redest hier immer so, als ob es Andere wären, die gegen unser Projekt sind. Sag es doch endlich: Du willst nicht nur, dass wir zuerst in Bern oben fragen, du willst, dass das Projekt nicht realisiert wird!»

Jetzt wird mit Handerheben abgestimmt – und der Präsident behält Recht: Doppelspiele sind an einer solch urdemokratischen Bürgerversammlung verpönt. Die Abstimmung bringt zwar keine überwältigende, aber immerhin eine sichtbare Mehrheit auf die Seite des Verwaltungsrates: Man wird «in Bern oben» nicht fragen und sich nur in die Knie zwingen lassen, wenn Bern von sich aus aktiv wird und das Unternehmen aus Natur- und Landschaftsschutz-Gründen höchstinstanzlich untersagt.

Ein Anachronismus? Ein unbedeutendes Relikt der Geschichte?

Weitere Informationen über das Leben der Korporationen im Kanton Schwyz können als Folge 2 ebenfalls auf Infosperber gelesen werden. Und zur Folge 3 (Über die Bernburger in Bern)

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Der Artikel wurde für die deutsche Vierteljahres-Zeitschrift «Die Gazette» geschrieben und erschien in deren Ausgabe vom Dezember 2012. Zum Thema Korporationen in der Zentralschweiz erschien auch in der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» vom 19. Juli 2012 ein Artikel des gleichen Autors. Teile davon wurden hier übernommen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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