Kommentar

So gibt es die Fifa nicht mehr lange

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine. Walter Aeschimann ist Sporthistoriker und freier Journalist. Er war Redaktor bei Tamedia AG und beim ©

Walter Aeschimann /  Die Fifa und das Sportsystem insgesamt laufen aus dem Ruder. Wie und vom wem kann der Weltsport von Grund auf erneuert werden?

An dieser Stelle habe ich am 4. Juni 2015 geschrieben, der Weltfussballverband (Fifa) sei nicht mehr reformierbar. Schon gar nicht aus sich selbst heraus. Zu marode sei die Struktur, zu lange habe sich die verbrecherische Kultur entwickeln können. Es gebe nur eine Möglichkeit: sie aufzulösen und neu aufzustellen. Unabhängig, staatlich überwacht und nicht den privaten Sportgesetzen verpflichtet, sondern allein der staatlichen Rechtsgewalt. Das würde, nur so nebenbei, auch der Anfang vom Ende der privaten Sportgerichtsbarkeit bedeuten. Was ohnehin längst fällig wäre. Das Ansinnen ist besonders aktuell, seit die deutsche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein die Hoheit des Internationalen Sportgerichts (TAS) durch alle staatlichen Rechtsinstanzen in Frage stellt. Sie will klären, ob man Athletinnen und Athleten zwingen kann, sich bedingungslos privaten Sportgerichten zu unterwerfen, wie die Verbände das befehlen. Oder ob man als Sportler beziehungsweise Sportlerin auch das Recht besitze, vor ein ordentliches Gericht zu ziehen – «weil es einem zum Beispiel nicht passt, wie in den Hinterzimmern des Sports über Schuld und Sühne verhandelt wird» (SZ). Sollte Pechstein Recht erhalten, kann das wiederum die Autonomie des Weltsports in Frage stellen. Denn diese Autonomie gründet auf nichts anderem als der schleichenden Usurpation von Rechten durch die Sportverbände, stillschweigend toleriert, ohne demokratische Legitimation.

Nicht nur moralisch verkommene Einzelfälle

Die Fifa ist momentan nur der offensichtlichste Beleg, wie das Sportsystem aus dem Ruder läuft oder längstens aus dem Ruder gelaufen ist. Der eingangs postulierte Standpunkt schien, trotz jahrzehntelanger und systemisch bedingter Skandale, trotz Hunderten von aktenkundigen Korruptionsbelegen, trotz des Sommerkrimis um die spektakulären Verhaftungen von hohen Fifa-Funktionären Ende Mai in Zürich, den meisten Beobachtern aber noch zu ungewohnt und eine Illusion. Der Autor jener Zeilen musste sich nicht nur als «Nestbeschmutzer» beschimpfen lassen, selbst von Medienvertretern. Nun ist immerhin auch die Süddeutsche Zeitung am 18. September bei der Einsicht angekommen: «Es geht inzwischen immer auch um die Frage, ob es die Fifa in ihrer jetzigen Form noch lange gibt.» Dies, weil die jüngsten Entwicklungen eine weitere Dimension erreichen. Bis anhin betraf es Funktionäre aus Trinidad-Tobago, aus Südafrika oder Südamerika. Die konnten von der PR-Maschinerie der Fifa locker als moralisch besonders verkommene Einzelfälle klein geredet werden. Jetzt aber geht es um das Machtzentrum, den Hauptsitz in Zürich-Fluntern. Die Nummer zwei nach Präsident Joseph Blatter, Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke, wurde letzten Donnerstag per sofort freigestellt, von allen Ämtern enthoben und ist abgetaucht. Nachdem eine «Reihe von Vorwürfen» (Fifa) publik geworden sind.

Wann ist Blatter dran?

Die Vorwürfe betreffen unter anderem massive Bereicherungen beim Ticketing von WM-Turnieren vergangener Jahre. In den Dokumenten taucht auch der Name des Präsidenten auf. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er selber an der Reihe ist. Es würde nicht einmal verwundern, wenn er nächstens nicht mehr ins Büro geht, stattdessen bei den Amigos in Afrika oder Südamerika untertaucht und sportpolitisches Asyl erhält. Denn auch Blatters Verteidigung bricht nun an allen Fronten ein, um eine im Sport nicht unübliche Kriegsmetapher zu bemühen. Das weiss der Walliser, der die Kontrolle über die Fifa seit diesem Sommer wohl verloren hat. Denn mit jeder Verhaftung, mit jeder Demission, Entlassung oder Freistellung gibt es ausserhalb der Familie einen hohen Geheimnisträger mehr, der viel über Blatter und seine Getreuen weiss. Der nichts mehr zu verlieren, aber noch einiges zu begleichen und abzurechnen hat. Und nicht alleine untergehen will. Mit Schweigegeldern, versprochenen Begünstigungen oder Drohungen ist dem nicht mehr beizukommen.

So ist es nicht verwunderlich, dass seit diesem Sommer regelmässig neue, belastende Dokumente über die Fifa an die Öffentlichkeit gelangen. Das SF Nachrichtenmagazin 10 vor 10, in der Vergangenheit nicht bekannt für investigativen Fifa-Journalismus, bekam eines zugespielt, ebenso der Tages-Anzeiger, die Welt und andere Medien. Oder ausgewählte Journalisten werden zum Pressetermin von angeblich geprellten Firmen eingeladen. So hat JB Sports Marketing letzte Woche über eine Anwaltskanzlei USB-Sticks verteilen lassen, mit Dokumenten darauf, welche auch den Präsidenten belasten sollen: Verträge zum WM-Tickethandel, E-Mails und anderes mehr, das belegen soll, wie kriminell in der Fifa geschäftet wird. Diese Informationen gingen um die Welt.

Von Blatter zu Platini – Alles wie gehabt

Dabei geht fast vergessen, dass auch die Schweizer Bundesanwaltschaft und die US-Justizbehörden in Sachen Fifa umfassend tätig geworden sind, wegen Korruption und Geldwäsche. Letzte Woche gaben Bundesanwalt Michael Lauber und US-Justizministerin Loretta Lynch anlässlich eines gemeinsamen Pressetermins Einblicke in die gewaltigen Dimensionen, welche die Untersuchungen angenommen haben. Und längst ist kein Geheimnis mehr, dass hinter den Kulissen der Kampf um das Fifa-Präsidium im Gange ist. Blatter, auch wenn er das vielleicht noch glaubt, kann nur noch wenig steuern. Spekuliert wird etwa, ob hinter den neusten Enthüllungen auch Michel Platini steckt, der Präsident des Europäischen Fussball-Verbandes. Der will offiziell die Nachfolge von Blatter übernehmen und ist womöglich nicht abgeneigt, diesen frühzeitig aus dem Amt zu hebeln. Der Franzose würde dann als jener in die Geschichte eingehen, der die Fifa ausgemistet und gesäubert hat. Sollte dies Platini tatsächlich gelingen und er danach auch noch das Fifa-Präsidium übernehmen, wäre dies eine Katastrophe. Nicht nur für den Weltfussball, es wäre ein Signal für den Weltsport: Alles bleibt, wie es vorher war. Denn Platini ist zu sehr den momentanen Strukturen zugetan und darin grossgeworden.

Mit Detailversessenheit werden nun lusche Verträge ausgewertet, mit denen der eine oder andere über den Tisch gezogen wurde. Millionenbeträge werden öffentlich aufgelistet, die unterschlagen, verschoben oder gewaschen worden sind. Mit kriminalistischem Eifer werden nächste Verfehlungen aufgedeckt, mögliche interne Reformen nach deren Wirkung analysiert. Das ist verdienstvoll. Es trifft aber den Kern der Sache nicht. Die Frage sollte sein, wie kann die Fifa, wie kann der Weltsport von Grund auf erneuert werden. Und von wem?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Walter Aeschimann ist Sporthistoriker und freier Journalist. Er war Redaktor bei Tamedia AG und beim Schweizer Fernsehen.

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2 Meinungen

  • am 21.09.2015 um 12:07 Uhr
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    Ein wichtiger erster Schritt, um den Weltsport von Grund auf zu erneuern, wäre eine strikte Trennung von Spitzen-/Kommerzsport und Staat. Die Finanzierung von Spitzensport/Kommerzsport mit Steuergelder sollte absolut tabu sein – sei es nun in Form von staatlicher Spitzensport-Förderung, Einsatz von Steuergeldern für Spitzensport-Grossanlässe, Finanzierung von Stadien usw.. Legitim ist lediglich Förderung des Breitensports in vernünftigem Ausmass soweit damit zur Steigerung der Gesundheit der Bevölkerung beigetragen wird.

  • am 21.09.2015 um 12:16 Uhr
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    Dass Platini keine Option ist, ist offensichtlich. Der Mann war ein guter Fussballer, ist aber bestimmt nicht besser als Sepp Blatter. Das Einzige was für ihn spricht, ist die Tatsache, dass er die FIFA innert kürzester Zeit an die Wand fahren würde, weil er nicht halb so schlau ist wie Sepp Blatter. Alles in allem teile ich die Meinung des Autors: Ein Neubeginn der FIFA und des «Weltsports» allgemein ist nötig.

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