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Kaum setzen die Spender aus, macht das SRK Druck: Es will sie zurückholen. © SRK

Der dreiste Gönner-Appell des Roten Kreuzes

Jürg Lehmann /  Das Schweizerische Rote Kreuz setzt ehemalige Gönner emotional unter Druck, um sie als Gönner zurückzugewinnen.

Das Jahr ist noch keinen Monat alt und schon flattern wieder erste Aufrufe von Hilfswerken mit der Bitte um Spenden in die Briefkästen. Die Caritas und das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) gehören zu den schnellsten. Die Caritas fokussiert sich auf die Inlandhilfe und will die Armut in der Schweiz bis ins Jahr 2020 halbieren. Diesen Aufruf erhält auch, wer nicht zu den Spendern des katholischen Hilfswerkes gehört

Das Rote Kreuz wählt anfangs Jahr einen andern Weg. Das grösste und älteste Hilfswerk der Schweiz tadelt ehemalige Gönner in einem Schreiben unter dem Stempel «vermisst»: Das SRK habe 2012 «keine Unterstützung erhalten» und bedaure sehr, «Sie nicht mehr zum geschätzten Kreis der SRK Spenderinnen und Spender zählen zu dürfen», heisst es im von Andreas Häner, Leiter Gönnerservice, unterzeichneten Brief.

SRK macht Druck: ohne Spenden keine Hilfe

Dann greift Häners Brief ziemlich unverblümt ins emotionale Register und bringt die «alleinstehende Maria Hinevich (89) im eisigen Weissrussland» ins Spiel. Sie stelle sich die Frage: «Soll ich essen oder heizen, für beides reicht meine Rente nicht.» Hier greife das SRK ein, unterstütze und stehe mit Rat und Tat und freiwilligen Helferinnen und Helfern Frau Hinevich und in «unzähligen ähnlichen Fällen» bereit.

«Um die dringend benötigten Hilfeleistungen des SRK aufrechterhalten zu können, sind wir auch auf Ihre Grosszügigkeit angewiesen», flötet das Schreiben und formuliert den ultimativen Satz: «Ohne Ihre Spende bleiben bedürftige Mitmenschen ohne Hilfe.» Ob ohne meine Spende die Hilfe für Maria Hinevich abgesetzt würde, verrät der Brief nicht.

Ein Blick ins Zahlenmaterial

Jedenfalls: Wenn ein ehemaliger SRK-Gönner jetzt zum beigelegten Einzahlungsschein greift, weil ihn Schuldgefühle plagen, hat der SRK-Brief seinen Zweck erfüllt: Er gehört wieder zu den Spendern. Ob er das nachhaltig bleibt, steht auf einem anderen Blatt.

Vielleicht wirft er einen Blick in die Zahlen auf der SRK-Homepage. Dort sieht er, dass die SRK-Organisation (Geschäftsstelle, Kantonalverbände, Rettungsorganisationen, Institutionen) unter der Präsidentin und Ex-Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz im Jahr 2010 einen Umsatz von 606 Millionen Franken erzielte. Rund 60 Prozent der Mittelherkunft stammen aus Handelswaren und Dienstleistungserträgen, 16 Prozent aus öffentlichen Leistungsaufträgen, 11 Prozent der Mittelzuflüsse waren Spenden und Beiträge; das Projektvolumen im Ausland betrug 39 Millionen Franken.

445 Hilfswerke mit Zewo-Gütesiegel

Dann wechselt er auf die Zewo-Website, der Zertifizierungsstelle für gemeinnützige, Spenden sammelnde Organisationen. Die Statistik weist für alle 445 Hilfswerke mit Zewo-Gütesiegel 2011 eine Milliarde Franken Spenden aus. Das sind rund zwei Drittel des geschätzten Schweizer Spendenvolumens von 1,61 Milliarden Franken. Das SRK verfügt natürlich über das Zewo-Gütesiegel genauso wie Caritas auch.

Was das SRK zu den Vorwürfen sagt

So wird das jetzt das ganze Jahr weitersprudeln mit Aufrufen und Appellen, die gefragt und ungefragt und zahllos im Briefkasten landen. Die 445 Zewo-zertifizierten Hilfswerke wollen im umkämpften privaten Spendermarkt existieren – und wie das SRK ehemalige Spender möglichst zurückholen. Aber warum wählt das SRK eine Klaviatur, die Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen anpeilt? Infosperber hat nachgefragt und auf fünf Fragen von SRK-Kommunikationschef Beat Wagner folgende Antworten erhalten:

Warum appelliert das SRK an Schuldgefühle ehemaliger Gönner, um sie damit zurückzugewinnen?

«Die Geschäftsstelle SRK erklärt in ihren Spendenbriefen, dass sie für die Finanzierung ihrer Aktivitäten auf private Unterstützung angewiesen ist. Die private Unterstützung macht etwa einen Drittel ihrer Mittelherkunft aus. Das bedeutet konkret, dass ohne Spenden ein Teil der Aktivitäten nicht mehr umgesetzt werden könnten. Die Geschäftsstelle SRK zeigt mit ihren Spendenbriefen auch anhand konkreter Beispiele, wie Spenden für die Hilfe an notleidende Menschen eingesetzt werden.»

Wäre es nicht sinnvoller, rational nach Motiven zu fragen, warum die Adressaten vorübergehend oder nicht mehr spenden?

«Spendenbriefe werden eingesetzt, um Mittel zur Finanzierung der Aktivitäten der Geschäftsstelle SRK zu generieren, und nicht um die Motivation für oder gegen bestimmte Spendenzwecke oder spendensammelnde Organisationen zu ermitteln, dafür beteiligt sich das SRK regelmässig an den Erhebungen der GfS.»

Fliessen die jetzt auf diese Weise gewonnen Spenden ausschliesslich in die SRK-Auslandhilfe?

«Der Brief zeigt ein Beispiel für die Hilfsaktionen der Geschäftsstelle auf – in anderen Spendenbriefen werden auch Beispiele aus dem Inland aufgezeigt. Die mit diesen Briefen generierten Spenden werden sowohl für die Auslandhilfe wie die Inlandhilfe eingesetzt.»

Existiert die im Appell erwähnte Maria Hinevich tatsächlich oder ist sie bloss ein fiktives Beispiel?

«Das im Brief geschilderte Beispiel ist authentisch und stammt aus dem seit mehreren Jahren laufenden Programm des SRK in Weissrussland. Der Name wurde jedoch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert.»

Ist der neuste Aufruf erstmalig und einmalig und/oder wird er bei Bedarf wiederholt?

«Der zur Diskussion stehende Spendenbrief ist nicht erstmalig, sondern wird in seiner Art im Januar an Personen verschickt, die der Geschäftsstelle SRK früher gespendet haben, aber in der Zeit zwischen vor einem und vor ca. sechs Jahren nicht mehr.»


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7 Meinungen

  • am 23.01.2013 um 11:57 Uhr
    Permalink

    Neben den Angaben über die Verwendung der Spendegelder interessiert mich noch folgendes: Wie steht es mit der Besoldung der SRK-Funktionäre? Auf wieviel lautet die
    oberste, auf wieviel die tiefste und auf wieviel die Durchschnittsbesoldung der
    Funktionäre/innen? Welcher Anteil der Gesamterträge wird für die Gesamtadministration beansprucht? Nach meiner Meinung wird über diese Zahlen nicht offiziell informiert. Wenn ich mich irren sollte, erwarte ich gerne einen entsprechenden Hinweis.
    Mit freundlichen Grüssen P. Spätig

  • Portrait_Beat_Glogger
    am 23.01.2013 um 12:10 Uhr
    Permalink

    Dreist ist auch die Helvetas, die ich immerhin jährlich mit 120 Franken unterstützte. Kürzlich, abends um acht ein Anruf einer Dame: «Min Name isch… ich bi vo de Helvetas". Dann fragt sie, ob ich bereit sei, die Spende nicht jährlich, sondern halbjährlich zu überweisen.
    Man gibt sich begriffstutzig: Also 2x 60.- Franken?
    Nein, nein: 2×120.-.
    Ein treuer Spender wird also gebeten, seine Spende zu verdoppeln. Ziemlich frech, finde ich. Sage das der Dame und hänge auf.

  • Portrait_Jrg_Lehmann
    am 23.01.2013 um 12:54 Uhr
    Permalink

    @Paul Spätig: Bei den Projektfinanzierungen geht das SRK davon aus, dass im Durchschnitt rund 15 Prozent der Spendengelder für die allgemeine Verwaltung verwendet werden. Im Jahr 2011 betrug der Aufwand für Verwaltung und Fundraising rund 13 Prozent. Das SRK schreibt dazu: «Dieser Anteil liegt innerhalb der Normen der Zewo und wird von dieser überwacht.» Die Personalaufwendungen werden den SRK-Jahresrechnungen summarisch rapportiert. Sie sind auf der SRK-Homepage abrufbar.

  • am 23.01.2013 um 13:53 Uhr
    Permalink

    Gehen von 606 Millionen tatsächlich nur 39 Millionen an Projekte ins Ausland? Ist nicht das der eigentliche Skandal?

  • am 24.01.2013 um 10:33 Uhr
    Permalink

    Die zahlreichen Spenden-Bettelbriefe sind tatsächlich ein Unsinn und eine Geldverschwendung.
    Gescheiter wäre, wenn eine gemeinsame Dachorganisation Profile der einzelnen Hilfswerke aufstellen würde, und dann einen Fragebogen an alle Einwohner versenden würde: Für welche Hilfswerke wollen Sie dieses und nächstes Jahr spenden?
    Dann würde man eine Anzahl ankreuzen und bekäme dann nur noch von diesen Post. Anrufe sollten sowieso unterlassen werden.
    Und die andern könnten sich die teuren Briefe z.T. noch mit Beilagen sparen.

  • am 24.01.2013 um 12:31 Uhr
    Permalink

    Herr Lehmann
    Sie haben wahrscheinlich den Sinn meiner Bemerkungen nicht ganz verstanden. Es
    geht mir nicht um die anteilsmässigen Prozentzahlen die sich für die Besoldungen und
    die übrigen administrativen Aufwendungen ergeben. Vielmehr stelle ich die Frage,
    warum das SRK – eine Unternehmung mit sozialem und altruistischem Fundament –
    die einzelnen Entschädigungen nicht offenlegen will. Nachdem dies neuerdings verschiedene Firmenkategorien zwingend tun müssen, ist es bei einem Unternehmen,
    das zu einem sehr grossen Teil mit Spendegeldern finanziert wird, längst überfällig.
    geworden.
    Freundliche Grüsse P. Spätig

  • am 24.01.2013 um 16:24 Uhr
    Permalink

    @Spätig: Zewo-zertifierte Organisationen müssen im Jahresbericht die Entschädigungen für Präsident und Geschäftsleitung ausweisen (nicht einzeln, sondern fürs ganze Gremium). Es wäre übrigens verheerend, wenn man verlangen würde, dass der Geschäftsleiter des SRK für ein Trinkgeld arbeiten soll. Das SRK ist eine Organisation mit über Tausend Angestellten und Tausenden von Freiwilligen. Da ist es schon sehr, sehr wichtig, dass die Leitung von einer kompetenten, fähigen Person wahrgenommen wird und diese auch einen anständigen Lohn erhält.

    @Bachmann: Nein, das ist kein Skandal. Das SRK hat ja sehr viele Aktivitäten im Inland, zB Blutspenden, besuchsdienst etc.

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