Kommentar

Darum sind die Männer die besseren "Problemlöser"

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Die Beobachtung der Politik und eigene langjährige Managementerfahrung erlauben die Erkennung der kleinen Unterschiede.

Im Zeitalter der Gleichberechtigung von Mann und Frau – von der wir allerdings noch Lichtjahre entfernt sind – ist das Thema Unterschied Mann/Frau natürlich auch für die Neurologen ein Thema. Und was haben diese exakten Wissenschafter herausgefunden? Das weibliche Gehirn entscheidet langsamer, sagen sie. Nicht um Tage oder Stunden langsamer. Nein, nur um Bruchteile einer Sekunde. Aber eben doch langsamer.

Da nun aber in Krisenzeiten schnelle Entscheide gefragt sind, sind die Männer die besseren Krisenmanager, die besseren Trouble Shooter, die besseren Problemlöser. So natürlich auch jetzt wieder in Griechenland und in Italien…

Könnte man meinen.

Die Realität ist eine andere.

Die Realität ist allerdings eine ganz andere. Historisch und bildhaft gesprochen: Schon vor 10’000 Jahren war der Mann der Jäger. Wenn er auf die Jagd ging, hatte er nur ein Ziel: ein Wild zu schiessen. Und wenn dann tatsächlich so ein Biest aus dem Gebüsch auftauchte, dann musste es ganz schnell gehen. Zielen und Abdrücken, und schon sackte der Wisent – oder was immer es dann war – tot zusammen.

Die Frau wiederum war zuhause, musste sich um das Nest für die Kinder kümmern, aus rohem Fleisch etwas Essbares zubereiten, den kranken Grossvater pflegen, Vorräte anlegen für den kommenden Winter. Dies vor allem: sie musste VORsorgen und also VORAUSdenken. Da war nicht der sekundenschnelle (Schnell-)Schuss das richtige, sondern die integrale Beurteilung der Situation, die Einbeziehung aller Einflussfaktoren.

Wie früher, so auch heute.

Und so ist das heute noch. Denn genau so läuft es auch in Regierungen und in Management Boards ab. Wenn da ein Problem auftaucht, dann beginnen die Männer, die sogenannten «Decision Makers», dieses Problem sofort einzugrenzen, links und rechts gegen andere Probleme abzugrenzen, es funktional zu isolieren, bis es so klein und (scheinbar) so einfach ist, dass es mit einem schnellen Entscheid lösbar wird. Und darauf sind sie dann mächtig stolz, diese männlichen «Problemlöser»!

Nicht so die am selben Regierungs- oder Geschäftsleitungstisch sitzenden Frauen. Sie überlegen sich die integrale Situation. Die Folgen und die Nebenwirkungen. Die Chancen und die Risiken, nicht nur betreffend das Geld. Die durch einen Entscheid entstehenden Präjudizien. Die psychologische Wirkung aufs Personal. Die denkbaren Reaktionen der Kunden. Die Langzeitfolgen. Die Umwelt-Verträglichkeit. Und das alles dauert – ja, das stimmt – ein bisschen länger. Länger als nur das Zielen und Abdrücken des Jägers: Pumm.

Und so ist es auch in der aktuellen Politik.

Krise in Europa! Jetzt kommen die Männer an die Macht. Klares Ziel: Schnellstens die Finanzmärkte beruhigen mit einer dezidierten Ankündigung, dass Kosten gespart und Schulden abgebaut werden. Und auch das natürlich möglichst schnell. Die damit verbundene negative Auswirkung auf die Kauflust, die gesellschaftspolitischen Veränderungen, die massive Einschränkung der demokratischen Rechte, die zunehmende Kluft zwischen Reich und Arm, die anzustrebende Gerechtigkeit, die Solidarität mit den Benachteiligten: das alles sind keine Themen. «Mein Gott», sagen diese Männer, «nur nicht jetzt auch gleich noch alle anderen Probleme diskutieren! Es gilt Prioritäten zu setzen, zu entscheiden und sofort zu handeln. Alles andere hat dann Zeit… «

Und wo bleibt die integrale Beurteilung?

Würde man in der gegenwärtigen Situation die Frauen an die Macht lassen, sie würden ganz anders agieren. Sie würden nach den verschiedenen Ursachen der Krise fragen, nach den Auswirkungen in allen Richtungen (nicht nur nach den Auswirkungen auf den Kapitalmarkt), sie würden beginnen, das ganze System zu hinterfragen, über Langzeitfolgen nachzudenken. Natürlich wüssten sie, dass es (auch) gilt, den «nervösen» Kapitalmarkt zu beruhigen. Aber sie wüssten auch, dass der Kapitalmarkt nicht nur beruhigt, sondern auch reformiert werden muss, klar und strenger reguliert werden muss – und zwar massiv und auf Dauer.

Herr Ackermann denkt an den Euro. Frau Merkel denkt an Europa.

Die beiden «Herren der Schöpfung», Herr Papadimos und Herr Monti, werden das Finanzmarktproblem Griechenland und das Finanzmarktproblem Italien ganz schnell lösen. Davon kann man ausgehen. Für eine längerfristige Perspektive, für eine Bildungspolitik mit angestrebter Chancengleichheit, für ein Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit, für eine gerechtere Welt ganz allgemein, für die Beachtung der Umwelt-Bedrohung, für die Wiedereinführung der Menschlichkeit in der Wirtschaft, für die Wiederherstellung der demokratischen Mitspracherechte, für mehr Solidarität mit den Schwachen: dafür brauchen wir nicht die Herren Papadimos und Monti. Dafür brauchen wir Andere.

Frauen vor allem.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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