Autoverlad

Die BLS könnte den Autoverlad am Gotthard während der Sanierung des Strassentunnels bewältigen © bls

Viele Wege führen auf die Schiene

Hanspeter Guggenbühl /  Die Bahnen können den Strassenverkehr übernehmen, falls das Volk die zweite Röhre ablehnt. Das bestätigt eine Studie des Bundes.

Lastwagen durch die NEAT, Personenwagen durch den alten Bahntunnel Göschenen-Airolo. Dieses Konzept schlug der Verein Alpeninitiative schon 2010 vor, um die Sanierung und temporäre Sperrung des Gotthard-Strassentunnels zu überbrücken. Doch Bundesrat und Parlament beschlossen stattdessen den Bau einer zweiten Strassenröhre. Ihr Konzept: Der neue zweispurige Gotthardtunnel soll den Verkehr übernehmen, während der bestehende saniert wird; danach sollen beide zweispurigen Röhren nur einspurig weiter betrieben werden.
Den endgültigen Entscheid darüber aber fällt in einem Jahr das Schweizer Volk, nachdem die Umweltverbände letzten Monat das Referendum einreichten. Lehnen die Abstimmenden die 2,8 Milliarden Franken teure Strassenröhre ab, stellt sich die Frage erneut: Lässt sich der Güter- und Personenverkehr, der heute den Gotthard auf der Strasse durchquert, auf die Schiene verlagern?

Es geht ohne zweite Röhre

Eine Studie der Bundesämter für Verkehr (BAV) und Strassen (Astra), die noch vor dem politischen Entscheid für die zweite Röhre erstellt wurde, bejahen diese Frage. Dabei bewerten die Verfasser die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene erstaunlich positiv. Sie stellen unter anderem fest:
● Vor der Sanierung (ab 2020) werden 0,9 Millionen Laster pro Jahr den Gotthard auf der Strasse durchqueren; das sind weit mehr, als das Verlagerungsgesetz erlaubt.
● Eine kurze «Rollende Landstrasse» (RoLa) im Neat-Basistunnel von Erstfeld nach Biasca kann pro Jahr bis eine Million Laster auf die Schiene verlagern. Bei einem mittleren Szenario und einem Tarif von rund hundert Franken, welcher der eingesparten LSVA auf dieser Strecke entspricht, werden 0,6 Millionen Laster diese «Kurz-RoLa» auch benützen. Die verbleibenden 0,3 Millionen Laster werden während der Sperrung des Strassentunnels andere Transportarten der Bahn oder alternative Strassenrouten wählen.
● Die «Kurz-RoLa» ist «technisch machbar, kann die geforderten Kapazitäten mittelfristig bereitstellen und kann für die LKW attraktiv gestaltet werden».
● Die Investitionen und der fünfjährige Betrieb dieser «Kurz-RoLa» verschlingen bei einem mittleren Szenario rund 0,8 Milliarden Franken und damit weit weniger als der 2,8 Milliarden Franken teure Bau der zweiten Röhre. Auch langfristig sind die Gesamtkosten der Verlagerung tiefer als die Kosten der zweiten Röhre.

Mehrere Modelle für Güterverlad

Um den Gütertransport auf der Schiene bewerben sich mehrere Anbieter. Dabei stehen sich verschiedene Verlademodelle gegenüber. Das zeigten die Informationen, die Experten und Anbieter an einer von den «BahnJournalisten Schweiz» organisierten Pressefahrt präsentierten:
● Im Vordergrund steht die RoLa, wie sie die Schweizer Bahntochter RAlpin schon heute über die Lötschberg-Simplon-Route zwischen Freiburg (D) und Novara (I) betreibt. Dabei fahren Sattelschlepper mit ihrer Fracht auf die Bahnwagen und werden samt Chauffeur durch die Alpen transportiert. Diesen «niederschwelligen» Bahntransport nutzen in erster Linie kleine Firmen, die über keine Infrastruktur verfügen, um am unbegleiteten Kombinierten Verkehr (UKV) teilzunehmen, betont RAlpin-Chef René Dancet. Dieses Konzept steht auch im Vordergrund für die erwähnte Kurz-RoLa durch den Neat-Basistunnel. Der Nachteil: Die RoLa ist relativ teuer, weil der Transport von Zugfahrzeug und Chauffeur zusätzlich ins Gewicht fällt.
● Ebenfalls eingeführt ist der Unbegleitete Kombinierte Verkehr (UKV), wie ihn die Firma Hupac zwischen verschiedenen Terminals in Nordeuropa und Italien betreibt. Dabei werden vor allem Schiffscontainer, Wechselbehälter und Sattelauflieger per Kran auf Bahnwagen verladen. Der Vorteil: Mehr Güter mit weniger Verpackung lassen sich über lange Distanzen transportieren. Nachteil: Die meisten Sattelauflieger sind «nicht kranbar», lassen sich also nicht umladen. Darum wählen viele Sattelschlepper die RoLa oder bleiben auf der Strasse.
● Neue Anbieter bieten alternative Verlademöglichkeiten an, um die «nicht kranbaren» Sattelauflieger zu erfassen. Die «Nikrasa» etwa wählt eine kranbare Wanne, mit der Sattelauflieger vertikal auf Bahnwagen gehievt werden. «CargoBeamer» bietet ebenfalls eine Wanne an, mit der sich die Sattelauflieger horizontal auf Bahnwagen schieben lassen. Das erfordert neue oder angepasste Terminals. Das gleiche gilt für das Konzept der Firma «Lohr», die in Frankreich eine drehbare Verladetechnik einsetzt. Ob eines oder mehrere dieser innovativen Modelle sich im alpenquerenden Verkehr durchsetzen, bleibt offen. Sicher ist: Der Markt im unbegleiteten kombinierten Verkehr, der heute von wenigen Anbietern beherrscht wird, gerät in Bewegung.

BLS bietet Autoverlad am Gotthard an

Neben den Gütern müssen während der Tunnelsanierung auch die Personenwagen am Gotthard auf die Bahn verlagert werden. Um Ausweichfahrten zu begrenzen, setzt der Bund im alten Gotthard-Bahntunnel Göschenen-Airolo eine Transportkapazität für fünf Millionen Autos pro Jahr voraus. Diese Kapazität könne die BLS zur Verfügung stellen, erklärte Urs Hochuli, Leiter des BLS-Autoverlads zwischen Kandersteg und Goppenstein. Das BLS-Angebot ist verkehrspolitisch und finanziell attraktiv:
● Pro Stunde können acht Züge mit 76 Verladeplätzen in beide Richtungen fahren. Das ergibt eine Spitzen-Kapazität von 600 Autos pro Stunde und Richtung oder von 14’400 pro Tag. Zum Vergleich: Der Gotthard-Strassentunnel kann in einer Spitzenstunde maximal tausend Personen- und Lastwagen schlucken. Selbst an Spitzentagen kann damit der Autoverlad den Personenverkehr im Gotthard-Strassentunnel zum Grossteil ersetzen.

● Die Betriebskosten dieses Autoverlads belaufen sich auf 36 Millionen Franken pro Jahr oder nur sieben Franken pro Stehplatz. Dazu kommen Investitionen von 70 Millionen ins Rollmaterial. Allerdings würde nur ein Teil dieser Investitionen den Verlad am Gotthard belasten. Denn die BLS könnten die RoLa-Züge nach Abschluss des temporären Verlads am Gotthard auf ihrer Stammstrecke weiter verwenden. «Es müssen also keine Ressourcen zur expliziten Verwendung am Gotthard beschafft werden», sagt Hochuli. Das bringt dem Angebot der BLS auf der SBB-Stammstrecke am Gotthard einen enormen Wettbewerbsvorteil.


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7 Meinungen

  • am 1.03.2015 um 13:33 Uhr
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    Ich liebe den Autotransport mit der Bahn, das ist ein echtes Erlebnis, das Jüngere schon gar nicht mehr kennen werden. Ich habe ihn lange Jahre vermisst und freue mich schon darauf!

  • am 1.03.2015 um 23:05 Uhr
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    Besser als die kurze Variante wäre die lange: Verlad in Basel, Arth-Goldau und Chiasso/Mailand. Und früher konnte man in Zürich-Altstetten mit dem Auto auf den Zug. Statt in Kandersteg würde man auch besser in Bern, Thun oder spätestens Spiez verladen. Aber eben: My car is my castle. Röhrend die engen Täler hoch, um zu geniessen die reine Bergluft in der Ruhe der Alpen…

  • am 1.03.2015 um 23:07 Uhr
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    Achja: Und warum man eine RoLa nachher wieder abreissen muss, weiss ausser der Autolobby auch niemand. Baut die Terminals für die Ewigkeit, dann halten die Strassentunnel viel länger und die Verkehrssicherheit ist auch ohne 2. Röhre so hoch wie nie zuvor.

  • am 2.03.2015 um 15:48 Uhr
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    Grundsätzlich ist alles möglich, selbst, wenn gar nichts gemacht würde. Hannibal ging damals auch mit Elefanten über den Gotthard, ohne Tunnels. Es geht einfach alles ein bisschen viel länger, bis die Güter über den Alpen sind. Man könnte Güter auch mit Antonov 225, oder mit Airbus 380 fliegen. Lol. Die Beamten, die Verfasser der Studie, brauchen keine Angst zu haben, dass ihre Löhne gekürzt würden, wenn es der Wirtschaft, wegen hohen Transportkosten und zu kleinen Kapazitäten, schlechter geht. Wer stellt Raum für riesige Verladebahnhöfe nördlich und südlich der NEAT zur Verfügung? Deutschland und Italien werden ganz sicher nichts dergleichen auf ihrem Boden machen. Alles eine Frage der Zeit. Vielleicht in 50, oder 100Jahren?
    Die 2. Röhre am Gotthard ist jetzt wirklich überfällig. Ich weiss wirklich nicht was das soll, sich immer noch gegen ein solch nützliches Projekt zu stemmen! Mit Oekologie hat das ganz bestimmt nichts zu tun! Man könnte die Industrie dazu motivieren, weniger Güter zu produzieren, die weit transportiert werden müssen!? Lol.

  • am 3.03.2015 um 00:42 Uhr
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    Lieber Herr Brauen,bevor Sie hier mit der Logistik von Hannibal auftrumpfen,wäre für Sie vielleicht ein Blick auf die jüngste Geschichte sinnvoll.Kürzlich schlossen die Eidgenossen mit der italienischen Republik einen Vertrag für einen Güterterminal auf dem Areal eines Güterbahnhofs in Mailand.Statt bis in die Vedeggioebene bei Lugano,dürfen die Trucker in Zukunft bis Milano pennen.Wie immer zahlen die Svizzerotti.Dafür sorgt Renzis Regierung mit einem Dekret über die Lagerung des arsenhaltigen Aushubs,das die Fertigstellung von Stabio – Arcisate weitergeht.Ob für die Industrie eine 2. Röhre am Gotthard hilfreich wäre,darf bezweifelt werden.Es reicht wenn Sie die Kreditfähigkeit der Leasingnehmer unter den Autokäufer unter die Lupe nehmen.Es heisst immer die Milliarden der Nationalbanken komme nicht unters Volk.In Wirklichkeit ist ein guter Teil schon abgeschrieben.Aber bei korrekten Anwendung der Kreditregeln, wäre die Industrieproduktion schon heute bedeutend niedriger.Mehr Verkehr bedeutet leider nicht automatisch mehr Wohlstand,ganz im Gegenteil.

  • am 3.03.2015 um 08:05 Uhr
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    Lieber Herr Rothenbühler: Natürlich ist die 2. Röhre nicht nur für die Industrie nützlich. Auch der Personenverkehr, sowie die Leute nördlich und südlich des Gotthards, profitieren davon. Von der Zusammenarbeit mit Italien habe ich gehört. Aber ein Grossteil der Kosten übernimmt die Schweiz. Ich denke, Sie haben von den Engpässen auf dem Schienenweg gehört, wenn der Personenverkehr dereinst strecken weise mit Hochgeschwindigkeit von Basel nach Chiasso fahren, während die Güterzüge wesentlich langsamer fahren wird das die Kapazität enorm einschränken. Würde man die Strassentunnels dereinst kostenpflichtig machen, hätte man die hervorragende Möglichkeit nur sauberen und leisen Lastwagen die Durchfahrt durch die Strassentunnels zu gewähren. Zudem ist die Sicherheit ein wichtiges Thema, das nur mit der 2. Röhre verbessert werden kann. Ich möchte sie noch auf meinen Blog in Vimentis hinweisen:
    http://www.vimentis.ch/d/dialog/readarticle/aus-vernunft-die-2-roehre-am-gotthard/

  • am 3.03.2015 um 10:53 Uhr
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    @Brauen: «hätte man die hervorragende Möglichkeit nur sauberen und leisen Lastwagen die Durchfahrt durch die Strassentunnels zu gewähren.» Wie das? Eine Diskriminierung ist gemäss den gültigen Bestimmungen m.W. nicht möglich.
    "Zudem ist die Sicherheit ein wichtiges Thema, das nur mit der 2. Röhre verbessert werden kann.» Ich wiederhole mich zwar, aber es ist wichtig: Verbessert wird die Sicherheit mit Sicherheit nur mit der Verlagerung auf die Schiene oder durch die Reduktion des Verkehrs. Berechnungen des Bundes zeigen, dass bereits Mehrverkehr von 3% den Sicherheitsgewinn im Berg durch mehr Unfälle auf den Zufahrtsstrecken egalisiert. Wer es ernst meint mit der Sicherheit entscheidet sich für andere Optionen: Reduktion des Verkehrs, Reduktion der Verkehrsgeschwindigkeit und/oder Verlagerung auf die Schiene. Eine 2. Röhre trägt nicht zur Reduktion der Unfälle bei. Die Mittel für eine 2. Röhre könnten an anderen Orten eingesetzt zu viel grösserer Sicherheit beitragen!

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