Sperberauge

Die NZZ tanzt auf der «Titanic»

Kurt Marti © Christian Schnur

Kurt Marti /  Die NZZ hat endlich die Ursache für die Krise der Stromkonzerne gefunden: Der fehlende Markt!

Die Krise der grossen Stromkonzerne hat laut NZZ vom 31. Mai 2016 einen Grund: Die Liberalisierung des Strommarkts ist in der Schweiz «auf halbem Wege steckengeblieben». Die NZZ zitiert dazu einen «Chef eines hiesigen Stromkonzerns». Wenn das ein verzweifelter Stromboss so sieht, kann man das verstehen, aber wenn die NZZ das nachplappert, dann ist das leicht peinlich.

Die NZZ stützt sich in ihrem Kommentar mit dem Titel «Stühlerücken an Deck der Titanic» ausgerechnet auf einen anonymen Chef eines der Schweizer Stromkonzerne, die sich berauscht vom liberalisierten europäischen Strommarkt, völlig vergaloppiert hatten und mit ihrer Hunter-Strategie Milliarden in den Sand gesetzt haben.

Dabei müsste die NZZ eigentlich wissen, dass tiefe Preise ein untrügliches Marktsignal für ein Überangebot sind. Und dafür sind auch die Schweizer Stromkonzerne verantwortlich. Denn sie waren durch ihre Milliardeninvestitionen im Ausland an der Erzeugung der Stromschwemme mitbeteiligt.

Die kopflose Expansion in den europäischen Strommarkt hat die Schweizer Stromkonzerne an den Rand des Ruins getrieben. In diesem Sinne hat der Markt durchaus funktioniert.

Das sieht auch der Bundesrat so, wenn er in seiner Antwort vom 20. April 2016 auf eine Interpellation der SP-Ständerätin Anita Fetz festhält:

«Die Schweizer Strombranche leidet unter dem Preiszerfall auf dem europäischen Strommarkt, dies aufgrund massiver Überkapazitäten bei der Stromproduktion. Einzelne Schweizer Energieversorger haben in der Vergangenheit mit Investitionen in den europäischen Kraftwerkspark zum Aufbau dieser Überkapazitäten beigetragen.»

Nota bene: Der Bundesrat nennt diesen Grund an erster Stelle und erst an letzter Stelle den Zubau der neuen erneuerbaren Energien, der von der Stromwirtschaft und den Schweizer Medien gerne in den Vordergrund gerückt wird.

Der europäische Strommarkt hat die Strombarone gestoppt. Dazu gehört auch die Teilöffnung des Schweizer Strommarkts. Wäre der Schweizer Strommarkt vollständig geöffnet worden – wie das die NZZ offenbar wünscht – wäre die Situation der Stromkonzerne heute noch schwieriger. Das hat der Bundesrat erkannt und die vollständige Öffnung aufgeschoben.

Statt auf der «Titanic» der maroden Stromkonzerne mitzutanzen, wären von der NZZ endlich ein paar erhellende Kommentare zum Milliarden-Debakel der Schweizer Stromkonzerne gefragt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Geschäftsleiter, Redaktor und Beirat der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

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Eine Meinung zu

  • am 3.06.2016 um 15:44 Uhr
    Permalink

    Der Bundesrat ist in dieser Sache allerdings mehr als oberscheinheilig. Zwar erklärte er auf Anfrage immer und immer wieder, er mische sich nicht in die Absichten und Angelegenheiten der Stromkonzerne im Ausland ein, da diese private und kantonalstaatliche Unternehmen seien. Letzteres trifft zu, aber der Bund mischte sehr wohl mit. Er stellte den Unternehmen systematisch Honorarkonsule zur Seite, um die nunmehr kolossal gescheiterten Investitionen zu begünstigen. Dabei hätte es für den Bundesrat sehr gute Gründe gegeben, die grössenwahnsinnigen Strombarone zu stoppen, denn die Verluste, die sie verursachten, sind von einer Dimension, die gesamtvolkswirtschaftlich sehr relevant ist. Die Strombarone arbeiten schon jetzt daran (http://bit.ly/Alpiq-Reber), dass der Bund ihnen die AKW abnimmt. Gehen die Schweizer Stromkonzerne bankrott, wird das fast zwingend der Fall sein.
    Und: Natürlich wird die Strommarktöffnung aufgeschoben, weil die Stromkonzerne leiden. Nur, irgendwer bezahlt die Zeche immer. In diesem Fall sind es die Stromkonsumenten, die sogenannt gefangenen Kunden, welche für die Fehler der Strombarone (und des Bundesrats!) gerade stehen müssen. Ist das richtig so? Ich finde: nein.
    Das Problem mit dem scheinheiligen Bundesrat ist noch nicht ausgestanden. Die Art und Weise und das Mass, mit dem der Bund die Axpo mit dem Projekt der Adria-Gaspipeline TAP unterstützt, ist widerlich — um es noch freundlich auszudrücken.

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