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In einer Monsterdebatte beschäftigt sich der Nationalrat mit der Energiestrategie 2050 © Parlamentsdienste 3003 Bern

Wo die Energiestrategie den Nationalrat spaltet

Hanspeter Guggenbühl /  Energiewende im Parlament: FDP und SVP bekämpfen die neue Energiestrategie, Linke und Grüne wollen sie schneller umsetzen.

Die Energiestrategie und die Debatte, die das Parlament darüber führen wird, sind rekordverdächtig: Schon die Gesetzesvorlage des Bundesrates umfasst 40 Seiten. Formell sieht diese eine Revision des Energie-, des CO2-, des Atomgesetzes und weitere Gesetzesänderungen vor. Inhaltlich beantragt der Bundesrat zahlreiche Gebote, Verbote, Förderabgaben, Subventionen und weitere Massnahmen mit dem Ziel, die Energieeffizienz zu steigern und den Umstieg von nuklearer und fossiler auf erneuerbare Energie einzuleiten.

250 Mehr- und Minderheitsanträge

Zu dieser Multi-Vorlage beantragt die Energiekommission (UREK) dem Nationalrat rund 250 Änderungen. Linke und Grüne wollen die Energiewende damit verstärken und beschleunigen. Anträge aus SVP und Freisinn hingegen verfolgen die Absicht, die Energiestrategie des Bundesrates zu verhindern oder zumindest abzuschwächen. Die Mitte-Parteien sorgen bei diesen Anträgen für wechselnde Mehr- und Minderheiten (siehe Tabelle).
Damit stellt sich die Frage: Wie viel von der bundesrätlichen Energiestrategie bleibt übrig, wenn sich alle Mehrheitsanträge der vorberatenden Kommission im Nationalrat durchsetzen? «Etwa 80 Prozent», sagt der Direktor des federführenden Bundesamtes für Energie, Walter Steinmann.
Abstriche punkto Energieeffizienz
Abstriche drohen bei Massnahmen, mit denen der Bundesrat die Energieeffizienz steigern will. So lehnt es die Mehrheit der Energiekommission unter anderem ab, Stromverkäufer zu verpflichten, die Energieeffizienz ihrer Kundschaft zu fördern. Ebenfalls keine Mehrheit fand bei der UREK der Antrag des Bundesrates, die CO2-Abgabe auf fossilen Brennstoffen von heute 36 auf mindestens 84 Franken zu erhöhen. Damit beugt sie sich dem Druck der Öl- und Stromlobby.
In vielen wesentlichen Punkten hingegen konnte sich der Bundesrat durchsetzen. So unterstützt die Mehrheit der Kommission unter anderem die Vorschriften, die den Energieverbrauch von neuen Geräten und Anlagen oder den CO2-Ausstoss von neuen Autos begrenzen. Zusätzlich verlangt die UREK auch nationale Mindestanforderungen für Heizungen. Die Fördermassnahmen für erneuerbare Energie werden von der UREK-Mehrheit ebenfalls ohne wesentliche Änderungen mitgetragen.
Auch das Verbot von neuen Atomkraftwerken, welches das Parlament schon früher beschlossen hatte, fand in der UREK erneut eine Mehrheit. Gleichzeitig lehnen es Bundesrat und UREK-Mehrheit weiterhin ab, die Laufzeit von alten Atomkraftwerken zu begrenzen. Das viel diskutierte «Langzeitbetriebskonzept», das die Mehrheit der UREK neu beantragt, verändert zwar die Bewilligungspraxis, bringt aber ebenfalls keine Altersgrenze für alte AKW. Darum werden die Grünen ihre «Ausstiegsinitiative» kaum zurückziehen; diese erlaubt für die bestehenden AKW in der Schweiz maximal 45 Jahre Laufzeit.

Vor einer Monsterdebatte

Für die Debatte und Beschlussfassung zur neuen Energiestrategie hat allein der Nationalrat in der laufenden Wintersession 20 Stunden Zeit eingeplant. Danach wird der Ständerat darüber streiten. Falls die bereinigte Strategie im Parlament eine Mehrheit findet und das fakultative Referendum gegen Teile der Vorlage ergriffen wird, entscheidet zuletzt das Volk darüber. Selbst nach dem optimistischen Fahrplan des Bundes kann die Vorlage zur Energiewende frühestens 2017 in Kraft treten.
Einige der 250 Mehr- und Minderheitsanträge wirken sich nur sprachkosmetisch aus. Beispiel: Während der Bundesrat «Ziele» für den Energieverbrauch und die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie festlegte, machte die Energiekommission daraus «Richtwerte». Oder sie ersetzt die bundesrätliche Formulierung «rationell» durchgehend durch «effizient». Bei andern Anträgen und Gegenanträgen hingegen geht es um Sein oder Rückweisung der neuen Strategie oder um die Frage, ob die Schweizer Energiepolitik konsequent oder nur halbbatzig gewendet wird.

TABELLE: Die wichtigsten Streitpunkte der Energiestrategie
In der Tabelle sind die wichtigsten Streitpunkte aufgeführt, über die der Nationalrat ab Donnerstag und in der folgenden Woche debattieren und abstimmen wird.

Nachtrag: Die Debatte über die Energiestrategie, die gemäss Traktandenliste heute Donnerstag hätte beginnen sollen, startet erst nächsten Montagnachmittag, weil die Budget-Debatte im Nationalrat mehr Zeit als geplant in Anspruch nahm.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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13 Meinungen

  • am 27.11.2014 um 15:23 Uhr
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    ECOPOP JA braucht rund 5 mal weniger zusätzliche Energie als ECOPOP Nein.
    Markus Zimmermann-Scheifele

  • am 27.11.2014 um 15:48 Uhr
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    Heute auf Radio SRF1 Rendéz-vous am MIttag – sollte dieses Gespräch mit Ernst Peter Fischer der Versuch eines Auftakts sein? Der Mehrfachakademiker hatte sehr viel und sehr schnell gesprochen, gesagt hat er eigentlich nichts. Die Fragen vom Radiomann waren genauso belanglos.
    Der Wissenschaftshistoriker meint, lieber eine Welt mit Risiken als eine langweilige ohne Risiken. Und sein läpisches Fazit: «Was wichtig ist, ist das Gute».
    Hoffentlich können wir von unsrem Parlament etwas Gescheiteres erwarten!
    Was hat denn da die SRF-Redaktion ausgebrütet? Die Welt ist aus den Fugen Meloni 🙁

  • am 1.12.2014 um 19:04 Uhr
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    "Inhaltlich beantragt der Bundesrat zahlreiche Gebote, Verbote, Förderabgaben, Subventionen….» schreibt Hanspeter Guggenbühl.
    Tatsächlich erinnert der zunehmende Regulierungswahn, die staatlichen Eingriffe in wirtschaftliche Belange sowie der zunehmende Etatismus bezüglich der Energieversorgung an die wirklichkeitsfremden Vorgaben, die das Zentralkomitee der KPdSU dem Volk in der UdSSR einst mit seinen nie zu erfüllenden Fünfjahresplänen aufoktroyiert hat. Weiter so auf dem Weg zur Planwirtschaft mit der sog. Energiewende!

  • am 2.12.2014 um 09:22 Uhr
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    Genau, den Regulierungswahn abbauen, weg damit!
    Weshalb denn wurde (und wird immer noch!) die planwirtschaftliche Kerntechnik auch bei uns so extrem subventioniert? – und in unsrer direkten Demokratie butterten bei jeder Volksbefragung die beteiligten STAATLICHEN Stromkonzerne (im Eigentum des Arbeitervolkes…) Unsummen in die Abstimmungskämpfe, (natürlich zur respektlosen Beeinflussung des Volkswillens). Wir sind ge- oder verkaufte Demokraten. Und sollte es zur Atomkatastrophe kommen, dann haftet in der freien Schweiz – genau wie in Diktatuten – das direkt betroffene Volk. Die «KP» hatte im Namen des Volkes, die staatlichen Unternehmen von der Haftung entbunden. Müssten die AKW haftpflicht-versichert werden, wie z.B. ein Auto oder ein Boot, also zu einem realistischen Schadenvolumen, dann müsste der Atomstrom je nach Berechnung etwa 1,5 bis 4,0 CHF/kWh kosten, (Versicherungsmathematiker in Deutschland errechneten gar 5.00 EUR).
    Ja, Herr Fröhlich, weg mit diesen marktverzerrenden Subventionen, weg auch mit dem Sonder-Regulierungs-Wahn für AKW, die sollen doch wie alle KMU voll haften! Völlig einverstanden…

  • am 2.12.2014 um 12:44 Uhr
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    @ Urs Lachenmeier:
    Völlig einverstanden mit der hierzulande überaus sinnvollen Risikoversicherung gegen einen Tsunami mit 14 Meter hohen Wellen. Ob sich Schlamperei beim Bau und der in der Sowjet-union systemimmanente Schlendrian, die in Tschernobyl allein verantwortlich waren für die Reaktorkatastrophe, auch versichern lassen?
    Substituieren wir den gefährlichen Atomstrom doch lieber durch den überaus sauberen und umweltschonenden Strom aus den maroden Kohlekraftwerken Osteuropas. Die jährlich rund 20’000 Bergleute in China, von wo die europäischen Kraftwerke ihre Kohle importieren, die durch Unfälle oder schwere gesundheitliche Schäden ums Leben kommen, sollen sich doch bitte selber versichern. Allein seit Tschernobyl sind bei 44 Unfällen in Kohlebergwerken über 3’000 Grubenarbeiter ums Leben gekommen. (http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Ungl%C3%BCcken_im_Bergbau)
    Und was kümmert es uns, wenn durch den Braunkohleabbau weit mehr Menschen aus ihren Dörfern vertrieben und „umgesiedelt“ werden, als Menschen bis heute durch Atomkatastrophen betroffen waren: In Deutschland und Polen sind bisher rund 170 Dörfer „abgebaggert“ und vom Erdboden verschwunden. (http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_abgebaggerter_Ortschaften)
    Weitere werden im Zuge der gloriosen Energiewende folgen.
    Ach wie gut dass niemand weiss, dass ich von diesen Zusammenhängen nix weiss.

  • am 2.12.2014 um 13:33 Uhr
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    @Fröhlich
    versuchen Sie’s doch bitte sachlich!
    Die Tsunami-Gefahr in der Schweiz ist extrem klein, es gab einen einzigen im Genfersee, das ist schon sehr lange her und in jenem «Gefahrenbereich» steht kein AKW.
    Zu versichern wären aber die Schäden, welche durch das UNBESTRITTENE

  • am 2.12.2014 um 13:45 Uhr
    Permalink

    Restrisiko entstehen könnten. Sehr selten heisst leider nicht ausgeschlossen. Das Bundesamt für Zivilschutz hatte vor Jahren die Schadensumme eines atomaren GAU auf viertausenddreihundertmilliarden CHF berechnet. Auch bei einem Kommafehler wäre die Schadensumme noch untragbar.
    Die Kohlenutzung zur Stromproduktion auch wird massiv subventioniert. Über die Folgen weiss ich etwa so Bescheid wie Sie selbst, Sie müssen mich diesbezüglich nicht aufklären!

  • am 2.12.2014 um 23:45 Uhr
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    Wie’s der Zufall so will: Gerade heute zeigte «10 vor 10» die Auswirkungen des Braunkohleabbaus für die dreckigste und umweltbelastendste Stromproduktion überhaupt. Riesige Flächen verwüstetes Land, Hunderte von Menschen, deren Häuser, Schulen und Kirchen «abgebaggert» werden. Und, wie im Filmbeitrag gesagt wird, es wird in Zukunft mit Sicherheit so weitergehen. Das sind die Kosten der Energiewende, die sich hysterisch auf einen theoretisch nicht unmöglichen, aber praktisch äusserst unwahrscheinlichen GAU à la Fukushima fokussiert. Wer einen Blick auf die ganz realen und seit Jahrzehnten stattfindenden kolossalen Verwüstung ganzer Landschaften als Folge der Substitution der Atomenergie wagen mag, hier der Link zur Sendung des Schweizer Fernsehens, das nicht im Ruf steht, «konservativ» oder rechtsorientiert zu sein: http://www.srf.ch/player/tv/10vor10/video/10vor10-vom-02-12-2014?id=c939145e-501d-455f-b452-8756b0540534

  • am 3.12.2014 um 15:44 Uhr
    Permalink

    das habe ich auch gesehen, nicht zum ersten mal… Es geht wirklich nicht an, dass wegen des unersättlichen Energiehungers Leute und Gegenden dermassen geschädigt werden.
    Mit diesem unerträglichen Raubbau kann aber nicht ein anderer unerträglicher Wahnsinn gerechtfertigt werden!

  • am 3.12.2014 um 17:14 Uhr
    Permalink

    Zur «Beobachter"-Grafik: Es grenzt an Perversität, die als Folge der Energieproduktion entstandenen Opfer zahlenmässig gegeneinander aufzurechnen. Trotzdem sollten die Dimensionen gewahrt werden:
    GAU in Tschernobyl: 56 Tote
    Unglücke in Kohlenbergwerken seit 1987: über 3’000 Tote
    21 Staudammbrüche mit Todesfolge seit 1959:
    Die schlimmsten in Mitteleuropa:
    – Fréjus (F), 2. Dez. 1959: 420 Tote
    – Longarone (It), 9. Okt. 1963: 2’100 bis 3’000 Tote
    – Mattmark (Wallis, CH), 30. Aug. 1965: 88 Tote
    In anderen Kontinenten starben im gleichen Zeitraum ca. 7’600 Menschen bei Staudammbrüchen. Die diesbezüglich grösste Katastrophe ereignete sich am 8. August 1975 in China, wo durch den Bruch einer Reihe von Staudämmen 231’000 Menschen ums Leben kamen.
    (http://katastrophen.anabell.de/dammbrueche/dammbrueche.php)

    Trauriges Fazit: Energie ist ohne Opfer offensichtlich nicht zu haben. Das gilt leider auch für die sog. alternative Energie, für welche Menschen in den Bergwerken, in denen die Rohstoffe für die Solarzellen-Produktion gefördert werden, unter prekärsten lebens- und gesundheitsbedrohenden Bedingungen arbeiten. Und das gilt selbst für die Windenergie, wo die Opfer «nur» die Landschaft und die Zugvögel sind.

  • am 3.12.2014 um 17:40 Uhr
    Permalink

    Die Beobachter-Grafik rechnet nichts gegeneinander auf, kann also nicht «pervers» sein.
    Die 56 Strahlentoten von Tschernobyl summiert nur die direkt an der akuten Strahlenkrankheit gestorbenen Helfer. Spätfolgen werden hier nicht gezeigt.
    Ich möchte weder vom Kohlebagger noch von einem Atom-GAU flüchten müssen und deshalb will ich das auch keinem andern Menschen zumuten.
    Alles, was wir Menschen machen und bauen kann fehlen, deshalb sollten wir von gigantischen Anlagen Abstand nehmen. Die grössten Schäden werden wohl von Kriegen verursacht, Kriege um Resourcen…
    Öl, Gas, Uran…. Wieviele Menschenleben forderte bisher dieser Wettbewerb? – direkt und auch indirekt durch Schädigung der Lebensgrundlage?

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