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Nicht jedermanns Sache: NGOs und Multis an einem Tisch. © Enorm/Enver Hadzijai

Riskante Partnerschaften mit der Wirtschaft

Urs Fitze /  Nicht-Regierungs-Organisationen (NRO oder NGO) geniessen hohe Glaubwürdigkeit. Das macht sie zu gefragten Partnern der Wirtschaft.

«Es ist das erste Mal, dass Nestlé einen so tiefgreifenden Dialog mit einer Nicht-Regierungs-Organisation führt. Der Dialog hat in Kolumbien zu Verbesserungen geführt und Nestlés Verhalten verändert». So heisst in der Einleitung des Berichtes «Der Fall Kolumbien», den Alliance Sud, der politische Arm einer Reihe von grossen Schweizer Entwicklungsorganisationen, über die knapp fünf Jahre andauernden Gespräche mit dem Nestlé – Konzern zu dessen Aktivitäten in Kolumbien vorgelegt hat. Zweimal war eine Delegation von Alliance Sud nach Kolumbien gereist, um sich vor Ort ein Bild zu machen und neben Nestlé-Vertretern auch mit Gewerkschaften, Behördenvertretern und anderen Nicht-Regierungs-Organisationen (NRO oder Non-Governmental Organizations (NGO) zu reden.

Verein Multiwatch kritisiert Alliance Sud

Das im Bericht geäusserte Selbstlob, man habe in der Hälfte von 40 beanstandeten Punkten von Nestlé die Zusicherung erhalten, die Lage zu verbessern, wird vom Verein Multiwatch, dem Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften, Parteien und Globalisierungskritiker angehören, kritisiert. Der Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, Menschenrechtsverletzungen von Schweizer Multis aufs öffentliche Tapet zu bringen, kommt in einer Stellungnahmen zum Schluss, Nestlé habe nur bei unbedeutenden Punkten nachgegeben, sei aber bei allen relevanten Fragen, etwa zur Zusicherung Existenz sichernder Löhne, unnachgiebig geblieben.

Multiwatch hatte 2005 ein öffentliches Tribunal zu Menschenrechtsverletzungen von Nestlé in Kolumbien veranstaltet, dem Nestlé fernblieb. Gleichzeitig kam es zu Bespitzelungen von Multiwatch-Mitgliedern und Interventionen bei Caritas und anderen Entwicklungsorganisationen, um die Veranstaltung zu verhindern. Ein Gesprächsangebot nahm Nestlé an, doch sollte es nicht für alle Multiwatch-Mitglieder gelten. So kam es zur Abmachung mit Alliance Sud. Während der Dialog mit dem Bericht, der von Alliance Sud verfasst und von Nestlé authorisiert worden ist, offiziell beendet wurde, hat Multiwatch den Kollegen von Alliance Sud ein Gesprächsangebot gemacht.

Grundsätzliche Fragen für NRO

Es sollen grundsätzliche Fragen aufgeworfen werden: Was sind Rolle und Aufgabe von Nicht-Regierungsorganisationen und Solidaritätsgruppen gegenüber multinationalen Konzernen? Wie soll mit Gesprächsangeboten bzw. Vereinnahmungsstrategien von Konzernen umgegangen werden? Wann besteht die Gefahr, dass NRO instrumentalisiert werden? Wo wird Konzernen Hand geboten, sich in der öffentlichen Wahrnehmung besser darzustellen? Unter welchen Voraussetzungen kann zu einer Verbesserung der Situation von Betroffenen beigetragen werden?

Das sind Fragen, der sich jede Nicht-Regierung-Organisation stellen muss, wenn sie sich mit einem Unternehmen an einen Tisch setzt. Solche Partnerschaften haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung genommen. Der Reigen ist gross. Klassisch, aber zunehmend weniger nachgefragt sind Firmenspenden, mit denen eine NRO ein Projekt finanziert und das spendende Unternehmen sein Image aufpoliert. Manchmal kooperieren Unternehmen und Entwicklungsorganisationen bei einem bestimmten Thema, zum Beispiel Unilever und das Ernährungsprogramm der Vereinten Nationen im gemeinsamen Kampf gegen den Hunger.

Und es gibt den runden Tisch, an dem Vertreter der Zivilgesellschaft und Unternehmen gemeinsam Lösungen erarbeiten für Probleme, die die gesamte Gesellschaft betreffen – der Forest Stewardship Council etwa. Und manchmal ist es schlicht das Know-How einer NRO, das gefragt ist, zum Beispiel in der Zusammenarbeit von Nespresso mit der Rainforest Alliance in der Ausgestaltung einer nachhaltigen Wertschöpfungskette.

Keine harmlosen Erfüllungsgehilfen

«Solchen anspruchsvollen Partnerschaften gehört die Zukunft», sagt Guido Palazzo, Professor für Unternehmensethik an der wirtschafts-wissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne. Sie wird zunehmend auch von der Wirtschaft nachgefragt. Denn auch viele Firmen hätten erkannt, dass die reine Philanthropie als Instrument der Unternehmensverantwortung nicht mehr genügt. Der Nestlé-Konzern spricht seit einigen Jahren von der «Schaffung von gemeinsamer Wertschöpfung» bleibt aber diffus in der Definition, was damit genau gemeint ist. Wenn als Ergebnis eines fünfjährigen Dialoges mit Nicht-Regierungs-Organisationen herauskommt, dass der Konzern sich mit Verweis auf die Wettbewerbs-Situation weiter weigert, Gehälter zu zahlen, die die Lebenshaltungskosten decken, dann muss zwangsläufig der Eindruck entstehen, Nestlé sei es primär um die Imagepflege gegangen – und um einen Spaltpilz, der Multiwatch und Alliance Sud nun zum Dialog über die Grundsätze der Kooperation mit der Wirtschaft antreibt.

Zur Legitimität einer Partnerschaft, so Guido Palazzi, gehörten auch Aspekte wie der Einbezug von Nicht-Regierungs-Organisationen, die keine harmlosen Erfüllungsgehilfen, sondern kompetente Experten seien oder die inhaltliche Auseinderansetzung mit den Arbeitern einer Fabrik statt patriarchalischer Entscheidungen über deren Köpfe hinweg. Das sind Aspekte, über die im Verhältnis zwischen Nicht-Regierungs-Organisationen und der Wirtschaft vor 20 Jahren noch nicht einmal nachgedacht wurde.

Grenzen der Empörung

Den Wendepunkt markierte 1995 die erfolgreiche Kampagne von Greenpeace gegen die vom Ölmulti Shell geplanten Verklappung der als schwimmenden Speicher für Nordseeöl dienenden Brent Spar. Für Gerd Leipold, damals Aufsichtsrat bei Greenpeace Deutschland und in den Jahren 2001 bis 2009 Vorsitzender von Greenpeace International, spiegelte der Erfolg trotz inhaltlicher Mängel breites Misstrauen und eine kollektive Empörung, das Meer einfach als Müllkippe zu betrachten. «Dagegen war Shell machtlos». Letztlich ging es bei der Brent Spar um Glaubwürdigkeit – und gerade da lag David Greenpeace um Längen vor dem Goliath Shell, der sich, wie die gesamte Branche, bis heute schwer tut, sein unternehmerisches Handeln in der öffentlichen Wahrnehmung zu legitimieren.

Doch auch das Handeln von Nicht-Regierungs-Organisationen hat Grenzen. So sind die Bemühungen von Greenpeace, die kollektive Empörung in die Teersand-Fördergebiete der kanadischen Provinz Alberta zu lenken, bislang gescheitert – obwohl die sachliche Ausgangslage im Vergleich zur Brent Spar 1995 nahezu umgekehrt ist: Kanada ist gerade dabei, sämtliche selbst gesetzten Ziele zur CO2-Reduktion über Bord zu werden, um ungestört an das zweitgrösste Ölvorkommen der Welt heranzukommen – mit verheerenden ökologischen Folgen.

Doch wo bleibt, trotz Kampagnen verschiedener Nicht-Regierungs-Organisationen, die breite Empörung? Nick Lin-Hi, Junior-Professor für Corporate Social Responsibility an der Universität Mannheim, vermutet ein stilles Eingeständniss einer breiten Öffentlichkeit. 1995 sei es noch leicht gefallen, Shell zu boykottieren. «Man konnte ja einfach bei der Konkurrenz tanken». Wer heute gegen die Teersand-Förderung protestiere, müsse hingegen schon mit dem Autofahren aufhören.

Kritik als Basis für Dialog

Doch Greenpeace hat auch ein anderes, konzilianteres Gesicht. Gerd Leipold hatte in seiner Zeit als Geschäftsführer bei Greenpeace International mit Coca Cola zusammengespannt und dem Getränkekonzern die Verpflichtung abverhandelt, bis 2015 die neun Millionen Kühlschränke im Konzern mit klimafreundlichen Geräten, die keine Fluorkohlenwasserstoffe erhalten, zu ersetzen. Dennoch bleiben für Leipold öffentlichkeitswirksame Kampagnen und scharfe Kritik die unabdingbare Basis für jeden Dialog. «Ohne die Peitsche der Zivilgesellschaft geht nichts. Es wäre naiv anzunehmen, man bringe die Wirtschaft zu ernsthaften Konzessionen, ohne dass die Unternehmen öffentlichen Gegenwind spüren. Der Qualität des Dialoges tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil».

Kann eine Nicht-Regierungs-Organisation auf Augenhöhe mit einem Grossunternehmen verhandeln? Heffa Schücking, Gründerin und Geschäftsführerin von Urgewald ist davon überzeugt. «Wenn wir mit einem Unternehmen im Konflikt stehen, suchen wir zunächst das Gespräch. Wir gehen erst dann an die Öffentlichkeit, wenn wir nicht durchdringen» – was eher der Regel denn der Ausnahme entspricht. Urgewald hat 2009 in einer breit angelegten Kampagne dazu beigetragen, dass der Strommulti RWE sich aus der Finanzierung eines in einem bulgarischen Erdbebengebiet geplanten Atomkraftwerks zurückzog.

Zu Gesprächen mit der Unternehmensführung sei es dabei auch gekommen. «Wir stellten einfache Fragen, etwa, ob man auch alternative Standorte in Bulgarien geprüft habe. Das wurde verneint. Wir waren erschrocken über das Mass von Inkompetenz, das sich hier offenbarte». Dass man bis in die Chefetagen vordringe, komme allerdings selten vor. «Aber es kommt immer wieder vor, dass Mitarbeiter eines Unternehmens uns zu einer Aktion beglückwünschen. Das macht Mut».

Banken hinken häufig hinterher

Urgewald spricht seit vier Jahren an einem zweimal jährlich veranstalteten, vertraulichen runden Tisch auch mit Bankenvertretern. Josef Ackermann und Co. haben sich dort nicht blicken lassen. Aber inzwischen versammelten sich Vertreter aller deutschen Grossbanken und auch schweizerischer und österreichischer Institute, um zu Themen wie standardisierten Überprüfungen von Kreditgesuchen auf nachhaltige Kriterien zu reden. «Wir präsentieren meistens ein konkretes Unternehmensbeispiel, das die beste Praxis illustriert. Da zeigt sich, dass unsere Banken in Sachen Nachhaltigkeit häufig hinterherhinken. Doch eine solche Erkenntnis ist oft auch Ansporn, die eigene Praxis im Unternehmen zu diskutieren und überdenken».

Fühlt sich Schücking in dieser Rolle mächtig? «Nein, aber selbstbewusst», und sie könne sich nur wundern, wie andere NRO oft Schranken im Kopf hätten und sich gegenüber der Wirtschaft als Underdogs fühlten. «Ich verschwende keine Zeit damit, mich zu fragen, ob der Gegner mächtiger ist als wir.» Letztlich säßen in den Konzernvorständen nur Menschen, die ihr Gesicht verlieren könnten, wenn sie keine Antennen für die Belange der Gesellschaft hätten.

Doch wie legitimieren NRO und Unternehmen sich selbst? «Über ihre Unterstützung aus der Öffentlichkeit und aus dem Demokratie-Vakuum in vielen Ländern. Auch die fachliche Kompetenz ist eine Quelle für ihre Legitimität», sagt Nick Lin-Hi. Dass damit indes eine eklatante Schwäche von Staaten und Staatenwelt, regulierend einzugreifen, übertüncht wird, sei zwar nicht wünschenswert, «aber bei realistischer Betrachtung versprechen solche Prozesse weit mehr Erfolg», glaubt Guido Palazzo.

Rolle als Wächter wahrnehmen]

Für die NRO sei deren Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit deren höchstes Kapital. «Die dürfen sie auf keinen Fall aufs Spiel setzen». Will heissen: Wer der Wirtschaft zu nahe kommt, läuft Gefahr, wie etwa jüngst der WWF rasch selbst in die Kritik zu geraten (Siehe Dossier «WWF in der Kritik»). «Das müssen auch die Unternehmen, die mit NRO reden, einsehen». Und NRO müssten ihre Rolle als Wächter wahrnehmen können. «Das heisst, auch wenn sie mit einem Unternehmen reden, ist es legitim, wenn sie dieses öffentlich kritisieren». Die Grenzen werden für Lin-Hi etwa dann überschritten, wenn Lidl eine feste Abnahmemenge für das Greenpeace-Magazin garantiert und damit auf das übliche Remissionsrecht verzichtet wird. «So etwas gefährdet die Glaubwürdigkeit».

Und die Unternehmen? Sie seien alleine oft nicht mehr in der Lage «das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen und sie zufrieden stellend über die ethischen Facetten ihrer Produkte aufzuklären», heisst es in einer Studie, die das Hamburger Trendbüro im Auftrag der Otto Group erstellt hat. 91 Prozent der befragten Verbraucher halten NRO und unabhängige Testinstitutionen für glaubwürdig, aber nur 34 Prozent trauen den Unternehmen. «Sie tun also schon aus reinem Eigeninteresse gut daran, wenn sie aktiv auf die NRO zugehen», sagt Umwelthistoriker Uekötter.

Sprengkraft des Stuttgarter Bahnhofs-Projekts

Doch das alleine werde nicht mehr ausreichen. «Wir leben in einer zunehmend zersplitterten Gesellschaft, in der es immer weniger einen Konsens über das Gemeinwohl gibt. Wenn ein Unternehmen nicht weiss, wie die Öffentlichkeit tickt, kann es rasch unangenehm werden, sei es im Geschäft, sei es in Reputationsfragen». Weder Politik, noch Wirtschaft, noch NRO hätten die Sprengkraft des Stuttgarter Bahnhofs-Projekts auch nur annähernd richtig eingeschätzt. «Der Protest kam spontan, aus der lokalen Bevölkerung. Mit solchen Revolutionen von unten wird auch in Zukunft immer zu rechnen sein. Wir müssen alle lernen, damit zu leben».

Und die NRO der Zukunft täten gut daran, wieder stärker ins Grundsätzliche zu gehen. «Attac macht es allen vor. Es geht um unseren Lebensstil, um Themen wie den ökologischen Fussabdruck und die soziale Gerechtigkeit. Dafür brauchen wir den globalen und den lokalen Dialog. NRO sind im heutigen Umfeld am besten dafür geeignet. Ich wünsche sie mir kämpferisch und dialogbereit zugleich».

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Der Artikel ist zuerst in der Zeitschrift «Enorm – Wirtschaft für den Menschen» erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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