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Gespaltener Tages-Anzeiger: Klimaschutz im Politteil, CO2-Schleudern auf Autoseiten © TA

Presserat-Theorie und Redaktions-Praxis im Autojournalismus

Hanspeter Guggenbühl /  Was für Politjournalismus gilt, soll auch für Autojournalismus gelten. Sagt der Presserat. Und was sagen und tun die Redaktionen?

Man stelle sich vor: Martin Läubli, Redaktor und Klimaspezialist des Tages-Anzeigers (TA), schriebe im TA-Ressort Inland oder Wissenschaft eine Lobeshymne auf die Mercedes-Modelle der G-Klasse, die mit 2,5 Tonnen Gewicht und 585 PS Motorenstärke mehr als doppelt so viel CO2 in die Atmosphäre pusten, als die Grenzwerte der Schweiz im Schnitt erlauben. Nein, das tut Läubli nicht. Das besorgt Peter Hegetschweiler auf der Autoseite des Tages-Anzeigers (17.5.2018) und weiteren Tamedia-Zeitungen (siehe Ausschnitt oben).

Während Läubli und weitere RedaktorInnen in andern Ressorts eine radikale Senkung des globalen und nationalen CO2-Ausstosses postulieren, rücken die SchreiberInnen auf den Autoseiten bevorzugt überdurchschnittlich grosse und schwere Modelle mit überdimensionierten Motoren ins Scheinwerferlicht. Während im realen Strassenverkehr die Staustunden die höchsten Wachstumsraten erzielen, bejubeln AutojournalistInnen hochgezüchtete Luxuskarossen, deren Spitzentempo die zulässige Höchstgeschwindigkeit in der Schweiz um den Faktor 2,5 bis 2,8 überschreitet. Beispiel: Nachdem Thomas Geiger im Tamedia-eigenen Landboten vom 19. Mai 2018 den neuen Aston Martin vorgestellt hatte, der ein Spitzentempo von 314 km/h erreicht, präsentiert Nina Vetterli dort eine Woche später ein McLaren-Modell, das bis auf 340 km/h beschleunigen kann.

Vornehmer gibt sich die NZZ am Sonntag. Am 27. Mai machte sie den Lesenden ihrer Stil-Beilage den Bentley Continental GT (635 PS, 333 Stundenkilometer Spitze) schmackhaft mit den Worten: «Einen Bentley besitzt man nicht, um 911er zu jagen, sondern um der Umwelt und sich selbst zu zeigen, dass man Geschmack, Stil sowie das nötige Kleingeld hat.» Zwei Wochen später ist die stilsichere Sonntags-NZZ auf den Range Rover Velar «abgefahren». Dabei gestand Autor Jürgen Lewandowski: «Wir verbrauchten rund 9 Liter auf 100 Kilometer, forderten vom Velar aber selten die möglichen 214 km/h.» Das könnte auch die Polizei hellhörig machen. Denn in den seltenen Fällen, in denen einer mit mehr als 200 km/h erwischt wird, droht ihm Gefängnis.

Jährlich erscheinen in bürgerlichen Zeitungen Tausende von Berichten über das Konsumprodukt Automobil – mehrheitlich unkritische Huldigungen über den «Fahrspass» in «Supersportlern», «Luxuslinern» oder «Alleskönnern». An den Umstand, dass die Schreibenden auf redaktionellen Seiten Autoträume beflügeln, die der Realität im stockenden Kolonnenverkehr immer weniger entsprechen, haben wir uns gewöhnt. Medienleute gehen schulterzuckend darüber hinweg; dies in wohl stiller Übereinstimmung mit den Verlegern, man müsse die Auto-Inserenten bei Laune halten. Oder in der Hoffnung, mit PR auf Sonderseiten gewinne man im übrigen redaktionellen Teil Freiraum, um unabhängig über Verkehrs- und Umweltpolitik zu schreiben.

Was sagt denn der Presserat?

Einzig LeserInnen regen sich zuweilen noch auf. «Hat der Presserat zu dieser Täuschung schon mal etwas gesagt?», fragte kürzlich ein Leser auf dem Portal Infosperber. «Ja, und das bereits vor 25 Jahren», antwortete darauf Dennis Bühler, Bundeshausredaktor und Mitglied des Presserates, und holte die Stellungnahme vom 12. Dezember 1992 aus dem Archiv. Darin steht unter anderem:

6. «Auch die Grundsätze des Autojournalismus sollen mit den politischen Grundsätzen des gleichen Mediums abgestimmt werden. Die Umwelt-, Verkehrs- und Energiepolitik der politischen Ressorts soll auch für den Autojournalismus gelten, sonst ist der Journalismus nicht glaubwürdig.»

7. «Fahrberichte sollen stark den Charakter von Konsumententest aufweisen. Alle Wagen sollen nach einem vergleichbaren Kriterienraster kritisch durchleuchtet werden.»

Die Antworten von NZZ und Somedia

Wir fragten darauf VertreterInnen von Tamedia, NZZ und Südostschweiz, ob ihnen diese Stellungnahme des Presserats bekannt sei. Alle drei bejahten. Und was halten sie davon? Sie sei «grundsätzlich berechtigt» und würde bei der NZZ angewendet, im Ressort Mobilität allerdings noch nicht vollständig, antwortet NZZ-Redaktor Herbie Schmidt, der das Ressort Mobilität betreut und dort schreibt.

«Die Stellungnahme ist berechtigt und realitätsnah, wir halten uns bei der Auto-Berichterstattung daran», versichert auch Martina Fehr, Chefredaktorin der Südostschweiz (SO). Sie muss es wissen. Denn von den 23 Artikeln, welche Fehr laut Mediendatenbank smd in den letzten zwölf Monaten in der SO veröffentlichte, hat sie mehr als die Hälfte für die Autoseite geschrieben. Beispiele: Um den Mercedes Pick-up zu testen, flog sie – wie die SO im Unterschied zu andern Redaktionen vorbildlich offen legt – auf Einladung von Mercedes nach Chile. Einen Volvo testete sie auf Einladung von Volvo in Spanien. Den Mercedes AMG fuhr sie wiederum auf Einladung von Mercedes in Südfrankreich, den «Allrad-Pionier» Subaru auf Einladung von Subaru in Riga, den «wendigen Luxusliner» Audi 8 auf Einladung von Importeur Amag in Valencia.

Noch häufiger als Chefin Fehr berichtet Regionalredaktor Dario Morandi in der SO über Autos. Dabei bevorzugt und rühmt er im Schnitt grössere Autos mit mehr PS und CO2-Ausstoss, als sie auf Bündner Strassen anzutreffen sind. Angesprochen auf diesen Eindruck relativiert Fehr: «Wir publizieren auch Tests mit sehr schweren Autos, die Berichte halten sich aber die Waage mit Klein- und Familienwagen.» Während Fehr und Morandi die Autoseiten füllen, berichten andere Redaktionsmitglieder in den politischen Ressorts besorgt über den klimabedingten Gletscherschwund.

Tamedia markiert Distanz zum Presserat

Distanz gegenüber der Position des Presserats markiert die Tages-Anzeiger-Gruppe: «Die Stellungnahme datiert aus dem Jahr 1992 und geht stark davon aus, dass eine Zeitung eine politische Linie verfolgen muss, die auch in der Autoberichterstattung zum Ausdruck kommen soll», interpretiert Tamedia-Sprecherin Nicole Bänninger und ergänzt: «Das scheint uns nicht zeitgemäss und widerspricht der Lebensrealität unserer Leserinnen und Leser.»

Bänninger nennt dazu ein Beispiel: «Einerseits ist Zürich eine ‹grüne› Stadt mit einem hohen Interesse an Nachhaltigkeit, andererseits gibt es nirgends eine höhere Konzentration an teuren Autos.» Damit, so ist anzufügen, erklärt Tamedia immerhin, warum auf ihren Autoseiten grosse übermotorisierte Spritsäufer dominieren.

Auf die weitere Frage, wieweit die Redaktionsleitungen der Tamedia-Zeitungen Einfluss auf den Inhalt der Autoberichte hätten, antwortet Bänninger: «Die Autoseiten der Tamedia-Zeitungstitel werden zentral von der Redaktion Tamedia verantwortet.» Die «redaktionelle Umsetzung» aber hat die Tamedia-Gruppe an die Agentur Textlab S.L ausgegliedert. Dabei liefere die Textlab «das Material», präzisiert Textlab-Chef Dieter Liechti, also die Berichte. Die einzelnen Redaktionen wählen dann aus, was sie veröffentlichen. Das erklärt die Unterschiede zwischen Tages-Anzeiger, Landbote, 20 Minuten und Sonntagszeitung. Die AutorInnen der Autoberichte in den Tamedia-Zeitungen (Nina Vetterli, Dave Schneider, Thomas Geiger, Peter Hegetschweiler u.a.) sind freie MitarbeiterInnen der Textlab, profilieren sich aber als AutorInnen unter eigenem Namen.

«An der Grenze zur Schleichwerbung»

Das Urteil, wie gut oder schlecht Autoseiten der Schweizer Zeitungen die Kriterien des Presserates erfüllen, können Leserinnen und Leser wöchentlich selber beurteilen. Presserats-Mitglied Dennis Bühler hat sich seine Meinung gemacht: «In den meisten anderen Zeitungsressorts wären solch unkritische Lobeshymnen an der Grenze zur Schleichwerbung undenkbar.»

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Eine leicht gekürzte Fassung dieses Artikels ist zuerst in der Wochenzeitung WOZ erschienen.

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9 Meinungen

  • am 4.07.2018 um 11:47 Uhr
    Permalink

    "Endlich sagt’s mal jemand!"

    Danke.

    Aber man müsste noch viel grundlegender hinterfragen, weshalb es überhauot Autoseiten in allg. Tageszeitungen hat/braucht. Für Velos gibt es das nicht und für Rasenmäher und Waschmaschinen auch nicht, obwohl diese Geräte ähnlich verbreitet sind…

  • am 4.07.2018 um 12:24 Uhr
    Permalink

    "An der Grenze zur Scheinwerbung» ist wohl noch dezent ausgedrückt. Bittere Tatsache ist, dass wir mit solch dümmlichen Texten über monströse Dreckschleudern wohl solange leben müssen als es noch genügend Autojournalisten gibt, die sich noch so gerne von den Autokonzernen in der Welt rumfliegen und hätscheln zu lassen. Ihre Aufgabe ist es schliesslich nicht, sich ums Klima zu kümmern, sondern möglichst lobhudelnd über Glitzerkarossen zu berichten – egal, wie unsinnig das Objekt ihrer Begierde auch sein mag.
    In diesem Sinne: Herzlichen Dank an den Autor, der die richtigen Worte gefunden hat, um diese meines Erachtens sinnfreie Art von Journalismus etwas auszuleuchten.

    Roland Hügi

  • am 4.07.2018 um 17:12 Uhr
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    Solche Lobeshymnen sind nicht an der Grenze zur Schleichwerbung, sie sind Schleichwerbung. Gerade jetzt, wo die Stadtzürcher endlich handeln bezüglich Lärm und Temporeduktion, sind diese Publireportagen eine Faust aufs Auge. Dabei heisst es in Artikel 42 des Strassenverkehrsgesetzes (Vermeiden von Belästigungen) klipp und klar, dass absichtliches Lärmen gar nicht erlaubt ist.

  • am 4.07.2018 um 20:20 Uhr
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    Kommt zu all der unjournalistischen Schleichwerbung hinzu: In einem Teil dieser Presse-Erzeugnisse steht die Autoseite unter «Mobilität», «Mobil» oder Ähnlichem. Haben Sie dort schon je einen Fahrbericht über ein Velo gesehen oder Berichte über den Tragkomfort von Schuhen oder Socken? Oder gelten Gehen und Velo Fahren für gewisse Leute nicht als «Mobilität"?

  • am 4.07.2018 um 22:50 Uhr
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    Tamedia muss die Bedürfnisse seiner Kunden bedienen um Geld zu verdienen. Die Journalisten dort arbeiten ja nicht kostenlos wie die pensionierten Autoren auf diesem Blog hier. Für Erziehungsjournalismus, wie ihn der Autor hier laufend propagiert, bezahlt niemand freiwillig. Ausnahmen sind die Billag-Zwangsgebühren.
    Wer Mercedes G-Class fahren will, der soll das tun. Andere bevorzugen den vom G-Class Fahrer stark quersubventionierten ÖV, auch in Ordnung. Nur die dauernden Bevormundungsversuche, was nun ‹richtig› sein soll, die nerven.

  • am 5.07.2018 um 13:25 Uhr
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    "Tamedia muss die Bedürfnisse seiner Kunden bedienen um Geld zu verdienen"

    …womit wir wieder einmal bei der Grundsatzdiskussion angelangt wären, ob die ‹vierte Säule der Demokratie› tatsächlich von den ‹Kunden› (notabene: finanzstarke und politisch gut positionierte Grossunternehmen) abhängig sein sollten.

    Ist so eine unabhängige Berichterstattung möglich?

    Aus meiner Sicht zeigen die Autoartikel ‹in extremis›, was in allen anderen Ressorts in kleinerem Ausmass und auf unauffälligere Weise gemacht wird.

  • am 5.07.2018 um 16:44 Uhr
    Permalink

    Herr Meier, die dauernden Bevormundungsversuche, dass jedem der aggressive Lärm von Sportwagen gefallen soll, nerven auch. Das sind Leute, die zu viel Zeit haben, weil sie nicht arbeiten müssen. Um dem Artikel 42 Nachachtung zu verschaffen, sind daher neben Tempo 30 weitere Massnahmen angezeigt. Es wäre auch zu begrüssen, wenn Autowerbung für Automodelle, die am Strassenverkehrsgesetz ritzen und die werktätigen Anwohner belästigen, ganz verboten würde.

  • am 5.07.2018 um 21:31 Uhr
    Permalink

    @Meier: Sie schreiben: «Tamedia muss die Bedürfnisse seiner Kunden bedienen um Geld zu verdienen."

    Der Kunde ist der (Auto-)Verkäufer, sein «Bedürfnis»: Höhere Umsätze/Gewinne.
    Sie wissen das. Wieso? Weil kein Geld für Werbung ausgegeben wird, wenn es sich nicht «auszahlt» (alle Werbekosten plus Gewinn). D.h.:
    1. Der Autokäufer bezahlt das alles! [Wohlgemerkt: nicht die Umwelt- & Gesundheitsschäden]
    2. Mit Werbung werden höhere Umsatzzahlen erzielt als ohne. D.h.: Menschen legen mehr für Autos aus als sie es tun würden, wenn sie nicht der Werbung ausgesetzt wären.

    Sie beklagen die «dauernden Bevormundungsversuche». Von wem? Gerade wurde aufgezeigt, dass Menschen dazu bewegt werden, mehr zu kaufen/auszugeben als sie es von sich aus getan hätten. Es fand – sprechen Sie es aus – eine Beeinflussung statt (aka «Bevormundungsversuch"). Beweis, dass es gelingt: Mehr(!)umsätze in Milliarden-Höhe.

    Nochmals:
    1. Was bezweckt Werbung? – Beeinflussung (= «Bevormundung").
    2. Was ist Werbung? – Eine Meinungsäusserung, i.d.R. eine egozentrische, massiv auf Eigennutz bedachte.

    Sie, Herr Meier, echauffieren sich, dass – am Rande des Hof- & Werbejournalismus – sich Bürger herausnehmen, eine andere als die vorgeschriebene (sic) Meinung zu äussern. Damit legen Sie Zeugnis für wahrlich «gelungene» Bevormundung ab: Jene, die der Beeinflusste nicht als solche wahrnimmt/erfasst, ja sie sogar als «auf dem eigenen Mist gewachsen» hoch hält.

    Und Sie werden es auch jetzt nicht erfassen …

  • am 7.07.2018 um 09:40 Uhr
    Permalink

    Textlab dokumentiert anschaulich was Hof- und Gefälligkeitsjournalismus leistet. Nina Vetterli, Dave Schneider, Thomas Geiger, Peter Hegetschweiler sind Beispiel wie Journalisten Zeilenproduzenten und Hochjublern einer rückwärtsgewandten Technologie sind. Insbesonder der deutschen «Premium"-Hersteller die nicht einmal in der Lage sind saubere Motoren herzustellen. Dass Porsche und BMW einen teilweisen Auslieferungsstopp verfügen mussten passt nicht ins Bild der Hochjubel-Zeilenschreiber, darüber wird auch nicht berichtet. Dürfen sie vermutlich auch nicht, sonst können sie auf Kosten der Autofirmen nicht mehr in ferne Länder reisen und Auto «testen». Im Artikel und den Verbrauchswerten werden dann die Lügenangaben der Autohersteller folgsam übernommen! Und der TA druckt diese Lügen ab! Da muss ich ein Lob den BLICK Auto"testern» ausstellen. Die unterscheiden beim Verbrauch zwischen Werk und Test, Schnitt Test + 20%. Eine wesentliche Info, wird von Textlab konsequent unterschlagen.
    Dass der TA diesen journalistischen Unsinn bezahlt und druckt stellt dem Verleger und der Chefredaktion ein schlechtes Zeugnis aus!

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