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Euratom-Projekt «Iter» im Bau: Kostensteigerung von 5 auf 20 Milliarden Euro © iter

Mit dem Brexit zum Schweizer Euratom-Ausstieg

Kurt Marti /  Der Brexit zeigt: Die Europäische Atomgemeinschaft «Euratom» bröckelt. Höchste Zeit, dass die Schweiz aus der Euratom aussteigt.

Grossbritannien steigt nicht nur aus der EU aus, sondern auch aus der «Europäischen Atomgemeinschaft» (Euratom), die letzten Samstag ihr 60-jähriges Bestehen gefeiert hat. Mit dem Euratom-Ausstieg eines der zentralen Atomstaaten Europas wird sich das Gewicht innerhalb der Euratom weiter in Richtung der atomkritischen Länder Deutschland, Österreich, Italien, Lettland, Dänemark, Norwegen und Irland verschieben.

Deshalb verändert sich mit dem Brexit auch die Ausgangslage der Schweiz, welche seit 1978 mit der Euratom zusammenarbeitet und jährlich 40 Millionen Franken zuhanden der europäischen Förderung der Kernfusionsforschung abliefert. Im Widerspruch zum proklamierten Atomausstieg.

«Güterabwägung» des Bundesrats

Kernstück der Euratom-Forschung ist das Kernfusions-Projekt «Iter» im südfranzösischen Cadarache, das in den letzten Jahren vor allem mit massiven Kostenerhöhungen von sich reden machte: Anfänglich mit fünf Milliarden Euro budgetiert, ist mittlerweile von 20 Milliarden Euro die Rede. Nota bene für eine im wahrsten Sinne des Wortes «Jahrhundert-Energie», deren Forschung vor über einem halben Jahrhundert begann und die erst in einem halben Jahrhundert Strom produzieren soll, wenn überhaupt.

Trotz dieser negativen Vorzeichen hat das eidgenössische Parlament im Jahr 2013 auf Antrag des Bundesrats insgesamt 250 Millionen Franken für die Zeit von 2014 bis 2020 bewilligt. In seiner Botschaft begründete der Bundesrat diese Subvention für ein Fass ohne Boden mit einer «Güterabwägung»: Ohne die Mitfinanzierung des Euratom-Programms beziehungsweise des Fusion-Forschungsreaktors «Iter» sei die Teilnahme am europäischen Forschungsprogramm «Horizon 2020» nicht möglich. Andere Staaten wie Norwegen, Israel und die Türkei konnten sehr wohl Ausnahmen erwirken.

Euratom-Lobbyisten mit handfesten Eigeninteressen

Die Pro-Euratom-Haltung des Bundesrats war das Resultat des Lobbyings der interessierten Kreise, insbesondere der ETH Lausanne und des Paul Scherrer Instituts (PSI), welche beide an der Kernfusions-Forschung der Euratom beteiligt sind.

Das Interesse der ETH Lausanne galt aber nicht nur dem Euratom-Programm, sondern auch dem europäischen Hirnforschungs-Programm «Human Brain Project» (HBP), das Teil von «Horizon 2020» ist und eine Milliarde Euro generieren sollte. Inzwischen ist die ETH Lausanne auf den Boden der Realität zurückgeholt worden. Der Lausanner Leiter des famosen HBP-Projekts wurde entmachtet und die übertriebenen Forschungsziele relativiert.

Konkret verlief das Lobbying der interessierten Hochschulkreise über die Eidgenössische Energieforschungskommission (Core), die den Bundesrat in Energieforschungsfragen berät und die von Interessenvertretern der Industrie, der Stromwirtschaft und der Hochschulen besetzt wird.

Zur Zeit des Subventions-Entscheids für die Euratom sassen in der fünfzehnköpfigen Lobbytruppe unter anderen Tony Kaiser, der Direktor von Alstom Power, als Präsident, Manfred Thumann, Mitglied der Axpo-Konzernleitung, Professor Alexander Wokaun vom Paul Scherrer Institut sowie Professor Hans-Björn Püttgen, Direktor des Energy Centers der ETH Lausanne, welche an der Fusionforschung direkt beteiligt ist.

Inzwischen wurden einzelne Core-Mitglieder wegen der Amtszeitbeschränkung durch affine VerteterInnen ersetzt: Die ETH Lausanne ist neu durch Berend Smit, dem neuen Director des Energy Centers, vertreten und die Grossindustrie durch den ABB-Mann Martin Näf, der als neuer Core-Präsident amtet, sowie durch den Siemens-Mann Henning Fuhrmann.

Im neusten Bericht zur Energieforschung 2017 – 2020 propagiert die Core ungeachtet des beschlossenen Atomausstiegs der Schweiz die Atomenergie-Forschung im Interesse der eigenen Mitglieder, deren Forschungsinstitute von Euratom-Geldern profitieren (Seite 34):

Eine gute Gelegenheit zum Euratom-Ausstieg

Mit dem Brexit und dem drohenden Zerfall der Euratom bietet sich dem Bundesrat die Gelegenheit zum vorzeitigen Euratom-Ausstieg. Damit könnte die Schweiz über 100 Millionen Franken sparen.

Die Frage stellt sich: Welche ParlamentarierInnen wagen einen entsprechenden Vorstoss, um der Verschleuderung von Forschungsgeldern in ein Euratom-Fass ohne Boden den Riegel zu schieben und die Übereinstimmung mit dem beschlossenen Atomausstieg wieder herzustellen?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war Geschäftsleiter (bis 1996), Redaktor (bis 2003) und Beirat (bis Januar 2012) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).

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