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Marcelino Nolasco (Mitte) moderiert ein Forum zu Megaprojekten und Sonderwirtschaftszone in Oaxaca © Philipp Gerber

Mexiko: Traumrenditen für CH-Multis

Philipp Gerber /  Mitten im Wahlkampf macht «Méxicoleaks» einen Milliarden-Deal zwischen Pemex und dem Schweizer Multi Trafigura publik

Red. Autor Philipp Gerber ist Projektkoordinator der Mexiko-Projekte von «Medico International Schweiz» in Oaxaca und arbeitet als freier Journalist.

Mitten im mexikanischen Wahlkampf, in dem die umstrittenen Strukturanpassungsmassnahmen der Regierung Peña Nieto heiss diskutiert werden, machte «Méxicoleaks» einen ungleichen Deal zwischen Pemex und dem Schweizer Multi Trafigura publik. Es geht um Milliarden von Dollars, aber auch um die Vorherrschaft der Unternehmen vor Ort.

Mit den Worten «Öl von Pemex spottbillig einkaufen und nachher an Pemex in teuren Dollars zurückverkaufen», fasste die Journalistin Carmen Aristegui das Geschäft staunend zusammen. In Aristeguis regierungskritischem Radioprogramm erklärte Claudia Ocaranza von der NGO Project Poder, was genau ihnen über die Whistleblower-Plattform Méxicoleaks «zugeflüstert» wurde: Die ehemals rein staatliche Erdölfirma Petroleos Méxicanos (Pemex) schloss 2015 mit Trafigura drei Verträge ab, in denen Pemex dem Schweizer Multi das Schweröl Naphta zur Weiterverarbeitung in mexikanischen Pesos verkauft und gleichzeitig Pemex dazu verpflichtet ist, nach der Raffinierung des Rohöls die Produkte Naphta light und Diesel von Trafigura abzunehmen, dies jedoch dann zu einem festgeschriebenen Preis in US-Dollar. Claudia Ocaranza erklärt eine besonders schädliche Vertragsklausel: «Trafigura ist es freigestellt, auch an andere Käufer zu verkaufen, aber sollten diese einen geringeren Preis zahlen, ist Pemex dazu verpflichtet, den Preisunterschied an Trafigura auszugleichen.» Der Prozess der Raffinierung dieses Erdöls kann Trafigura praktischerweise gleich auf dem Gelände der Pemex-Anlagen «Burgos» in Reynosa, Tamaulipas, vollziehen. Dort, in der weltweit an Erdölvorräten drittreichsten Region, baut Trafigura eine Fabrik im Wert von 120 Millionen Dollar und hat während zehn Jahren den Absatz an Pemex in der Höhe von gut 1500 Millionen Dollar garantiert. Offizielle Begründung des ungleichen Geschäfts vonseiten von Pemex ist, damit könne der Export des Schweröls in das nahegelegene Texas vermieden werden.

Gut geölte Drehtüren

Auf Anfrage von Méxicoleaks versuchte Pemex, diese Verträge, welche zwischen den Tochterfirmen PMI Trading (Pemex) und NGL Equipments (Trafigura) abgeschlossen wurden, zu verheimlichen. Erst nach monatelangem Insistieren über das staatliche Institut für Transparenz wurde einer der drei Verträge vom Staatsbetrieb bestätigt. Méxicoleaks durchleuchtet in der Reportage auch das Umfeld, in dem solche Geschäfte gemacht werden können, und recherchierte dafür die Laufbahn mehrerer VertragsunterzeichnerInnen. So unterzeichnete beispielsweise Katia Marion Eschenbach Caloca die Verträge als Vorstandsvorsitzende für NGL Equipments – Trafigura. Dieselbe Person arbeitete bis 2012 bei der Pemex-Tochterfirma PMI Trading, bis sie unter Korruptionsvorwürfen entlassen wurde, weil sie mit zwei Firmen ganz ähnliche, für Pemex schädliche Verträge abschloss. Eine der beiden Firmen: Trafigura! Der Drehtür-Effekt, der Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft derselben Personen zur «Akkumulation durch Enteignung» (Harvey) von öffentlichen Gütern, ist heute weltweit ein offenes Geheimnis. Aber selten ist diese Drehtür so gut geschmiert und lautlos wie im heutigen Mexiko.

Kein Geschäft mehr?

«Unser Huhn mit den goldenen Eiern ist leider eingegangen», meinte Präsident Peña Nieto sarkastisch, als er letztes Jahr inmitten von Protesten gegen die Benzinpreiserhöhungen im Lande die Politik seiner Regierung zu verteidigen versuchte. Der staatlich verwaltete Erdölsektor war ein Überbleibsel aus der Zeit der mexikanischen Revolution, ein Dorn im Auge der neoliberalen Politik. Lange schon wurde Pemex durch das gierige Abschöpfen der Gewinne durch die Regierungen finanziell ausgeblutet. Im offiziellen Diskurs ist es Pemex nicht mehr möglich, die Investitionen zu tätigen, um neue Ölvorkommen auszuschöpfen. Die Statistik spricht Bände: In den fünf Jahren seit Amtsantritt von Peña Nieto schrumpfte die Erdölproduktion von Pemex um rund 30 Prozent und der Konzern konnte 50 Prozent weniger in den Erhalt seiner Infrastruktur investieren. Dem gegenüber stehen die teuren Reimporte des raffinierten Benzins, deren Preissubventionen zudem abgeschafft wurden. An der Zapfsäule kostet der Kraftstoff heute einen Drittel mehr als Ende 2016, während in derselben Zeit der Mindestlohn nur um 10 Prozent stieg. Viele Stimmen im Land sehen die von allen grossen Parteien 2013 beschlossene «Energiereform» inzwischen sehr kritisch. Die stetig steigende Popularität des linken Präsidentschaftsanwärters Andrés Manuel López Obrador von der Partei Morena ist insbesondere darin begründet, dass er verspricht, das ganze Reformpaket kritisch zu hinterfragen und für die Interessen des Landes schädliche Verträge rückgängig zu machen.

«Wir verlieren unsere Souveränität»

Wie die MexikanerInnen die Energierefom im Alltag erfahren, erzählt Marcelino Nolasco, ein Aktivist aus Salina Cruz, der Hafenstadt mit einer gigantischen Pemex-Raffinerie an der Pazifikküste von Oaxaca: «Bisher spüren wir die Auswirkungen der Reformen daran, dass die Arbeitsplätze in der Raffinerie stückweise abgebaut werden, erst um fünf Prozent, dann sechs und so weiter». Auch Outsourcing und Lohndumping gehören heute zum Alltag in der Branche. Da sich die Ökonomie der Region um die Raffinerie dreht, befürchtet Nolasco mittel- und langfristig starke Auswirkungen, denn «neue Unternehmen, die sich hier niederlassen, werden sich nicht damit aufhalten, lokales Personal auszubilden, sondern ihre SpezialistInnen aus anderen Ländern anwerben.» Für den Mitarbeiter eines Menschenrechtszentrums, der früher selber in der Raffinerie gearbeitet hat und Gemeinden berät, die sich gegen Megaprojekte wehren, ist besonders gravierend, wie selbstverständlich diese Dominanz der Grossfirmen oft hingenommen wird: «Wir haben schon zu einem guten Teil verinnerlicht, dass diese multinationalen Unternehmen einfach kommen können und unsere Territorien besetzen, Gewinne ins Ausland transferieren, Steuern legal hinterziehen, alles oft ohne grossen Widerspruch. Wir verlieren so immer mehr Souveränität.» Angesprochen auf die aktuelle Wahlkonjunktur ist Marcelino skeptisch, denn «dieses ökonomische Modell wird von keiner Partei grundsätzlich hinterfragt». Die fehlenden Investitionen in Reparaturen und Sicherheit der Industrieanlagen führen auch zu den regelmässigen, oft sehr gefährlichen Betriebsunfällen wie der Explosion in der Raffinerie von Salina Cruz im Juni 2017 oder die Explosion in der petrochemischen Fabrik Pajaritos in Coatzacoalcos, Veracruz, im Jahr zuvor. «Auch an diese Katastrophen und an den verharmlosenden Umgang der Behörden mit deren Auswirkungen auf Mensch und Natur haben wir uns schon viel zu sehr gewöhnt», meint Marcelino Nolasco.

Das grosse Absahnen…

Die Trafigura-Gruppe ist seit Beginn der Marktöffnung einer der grössten Player in Mexiko: Im April 2016 sicherte sich Trafigura die Importbewilligung für 2,9 Milliarden Liter Benzin ins Erdölland im ersten Jahr der Importliberalisierung, während weitere zehn Konkurrenten sich die kleinere Hälfte der insgesamt 5,3 Milliarden Liter aufteilen mussten. Auf dem mexikanischen Absatzmarkt, der jährlich 45 Milliarden Liter Benzin verpufft, verliert Pemex rasant seine Marktdominanz. In der Liste aller Importlizenzen des mexikanischen Energieministeriums von 2017 war dann der schweizerisch-holländische Konzern Vitol mit 20 Milliarden der neue Spitzenreiter. Trafigura hat sich dafür ab 2018 und für die nächsten drei Jahre den lukrativen Vertrag geschnappt, das gesamte Erdöl zu kommerzialisieren, das in mexikanischen Anlagen im Staatsbesitz gefördert wird. Ja, richtig, das gesamte Erdöl! Für jedes der täglich knapp zwei Millionen Fass Erdölproduktion von Pemex kriegt Trafigura dafür 0,18 US-Dollar Verkaufsgebühr. Ein Schelm, der denkt, ob sie wohl beim oben beschriebenen Verkauf des Schweröls an ihre eigene Fabrik in Tamaulipas nochmals kassieren.
Seit Februar 2018 mischt nun auch Glencore auf dem mexikanischen Energiemarkt massiv mit: Zehn Milliarden Liter pro Jahr wird dieser helvetische Multi nach Mexiko importieren, angeliefert an den firmeneigenen Hafen in der ehemaligen Pemex-Hochburg Tabasco. Mit diesem Sprit wird die Glencore-eigene Tankstellenkette G500 beliefert. Die erste Glencore-Tankstelle ging Ende 2017 auf, nächstes Jahr sollen es schon 1400 sein, das Ziel der agressiven Strategie ist mindestens 20 Prozent des Tankstellenmarktes. Währenddessen organisieren sich immer mehr mexikanische Bürgerinitiativen gegen den unkontrollierten Tankstellenwildwuchs im Lande. Der intransparente, korruptionsgetränkte, von Oligopolen dominierte mexikanische Markt ist der ideale Nährboden für die Wachstumsträume der drei Rohstoffmultis mit Schweizer Wurzeln, welche den Weltmarkt dominieren.

…ohne Ende?

Die Multis sind rundum zufrieden mit der Regierung Peña Nieto und deren «Alles muss raus»-Schlussverkauf des Landes, während gleichzeitig Korruption und Kriminalität in Mexiko Urständ feiern. Doch ein Damoklesschwert droht über den Pfründen: Was, wenn tatsächlich Andrés Manuel López Obrador die Wahlen vom 1. Juli gewinnt und sich zusammen mit neuen Mehrheiten im Parlament erfrecht, die «Liberalisierung» zu hinterfragen? Fieberhaft verhandeln deshalb die Wirtschaftsministerien über «Modernisierungen» der Freihandelsabkommen mit Mexiko. Nordamerika mit dem Nafta, aber auch die EU, die Efta und somit die Schweizer Handelsdiplomatie sind daran interessiert, in diesen Wochen Verträge unter Dach und Fach zu bringen. Diese Freihandelsverträge zielen darauf ab, «die Reformen im Energiesektor unumkehrbar festzuschreiben» und so den Handlungsspielraum einer zukünftigen Regierung massiv einzuschränken, wie die Studie «Menschenrechte auf dem Abstellgleis» kritisiert. Erreicht werden soll das Festschreiben des Status quo durch Vertragsklauseln, welche beim Investitionsschutz Mexiko soweit knebeln, dass die Multis den mexikanischen Staat bei Nichterfüllung der Verträge auch auf hypothetische, selbst errechnete «zukünftige Gewinne» verklagen kann. Das werden schnell Milliardenbeträge, die sich keine Regierung leisten kann. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob das Land den Raubzügen der Multis einen Riegel schieben kann.

Dieser Beitrag wurde erstmals im «Vorwärts» veröffentlicht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der freie Journalist Philipp Gerber ist auch Projektkoordinator der Mexiko-Projekte von «Mexico International Schweiz» in Oaxaca.

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Eine Meinung zu

  • am 27.05.2018 um 11:40 Uhr
    Permalink

    Perverse und dekadente Schweiz: Im internationalen Handel sind wir Rosinenpicker und gegenüber der EU sind wir offenbar auf Almosen angewiesen!

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