Kommentar

Lernen von China: Faire Heizperiode

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Peter G. Achten /  Wer wissen will, wie man Heizenergie sparen kann, lernt dies am schnellsten in China. Hier hat Nicht-Heizen Tradition.

Grüne aller Länder vereinigt Euch! China ist zwar eine Dreckschleuder und verpestet ganz nach dem Vorbild der hochentwickelten Industriestaaten Europas, Amerikas, Australiens und Japans die Luft, den Boden und das Wasser. Doch beim Heizen und mithin beim CO2-Ausstoss unternehmen die roten Mandarine wenigstens etwas. Mit andern Worten und fast schon nach Art eines chinesischen Sprichworts formuliert: Rot zu Grün gesellt sich gern.
Das Heizen beziehungsweise das Nicht-Heizen entspringt aber keineswegs der Einsicht der weisen und einer saubereren Umwelt verpflichteten Pekinger Führung. Vielmehr hat das Heizphänomen tiefe Wurzeln in der Tradition. Mit dem Resultat, dass südlich des mächtigen, verdreckten Yangtsestroms nicht geheizt wird, auch und gerade im milden Winter mit Temperaturen zwischen null und zehn Grad. Die Bewohner und Bewohnerinnen nördlich des Yangtses und mithin in der Hauptstadt des Reichs der Mitte dagegen sind da besser gestellt. Schliesslich wird es in Nordchina im Winter auch klirrend kalt mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt. Aber, und das ist ein ganz grosses ABER: es wird nach Datum und nicht nach Wetter geheizt.

Ein Übrigbleibsel der Planwirtschaft

Die Heizperiode beginnt rücksichtslos erst am 15. November und endet gnadenlos schon am 15. März. Dabei ist es vor und danach kalt bis bitterkalt. Am 20. März zum Beispiel fielen in Peking fünfzehn Zentimeter Schnee. Und er blieb liegen. Pekinger im Speziellen und Nordchinesen im Allgemeinen lassen sich dadurch natürlich nicht aus der Ruhe bringen. Sie haben seit Jahrhunderten gelernt, sich in der kalten Jahreszeit Zwiebelmässig zu kleiden, d.h. den Körper Schicht für Schicht für Schicht zu umwickeln. Darum ist es keine Seltenheit, dass auch heute noch Männer, mittlerweile in gutem teuren Tuch gekleidet, Longjohns tragen. Diese langen Unterhosen lugen dann blau, rot, grün oder weiss neckisch aus dem eleganten Beinkleid hervor. Aber wenigstens frieren die Pekinger nicht so wie die Expats. Überhaupt, die Chinesinnen und Chinesen sind noch nicht derart verweichlicht wie die ausländischen Gfrörlis.

17° Celsius sind bereits Luxus

In den Wohnungen misst vor und nach der Heizperiode die mittlere Temperatur rund fünfzehn, herrscht Sonnenschein gar sagenhafte sechzehn bis siebzehn Grad. Die ideale Temperatur, von der viele grün gewirkte Mitteleuropäer, darunter auch Schweizerinnen und Schweizer, in ihren gut geheizten Wohnungen und Häusern gerne tagträumen. Selbstverständlich lässt sich auch bei fünfzehn bis siebzehn Grad im Schatten trefflich überwintern, besonders dann, wenn man die in Birkenstocksandalen gesteckten Füsse in Socken aus Wolle glücklicher Schafe steckt, dazu einen dicken Pullover aus fair gehandelter Schurwolle überstreift und schliesslich eine Mütze aus künstlichem oder notfalls aus Fell von artgerecht gehaltenen Füchsen aufsetzt.
Die limitierte Pekinger Heizperiode ist Nektar für die Luft, versteht sich. Der WHO-Grenzwert für PM2,5, also Feinstaub in Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen, ist – kaum war die Stadtheizung abgestellt – dramatisch gesunken. Der WHO-Grenzwert wird jetzt anstatt zwanzig- nur noch zehn- bis fünfzehnmal übertroffen. Das Atmen fällt merklich leichter.

Aber auch in China gibt es Gleiche und Gleichere

Peking wäre also für die Grünen und den Bundesrat die ideale Stadt, um den in Europa und zumal in der Schweiz propagierten rassigen Atomausstieg ernst- und gewissenhaft zu überprüfen. Weniger Heizung, weniger Energie, weniger Atomabfall sozusagen. Energie-Ministerin Leuthard allerdings müsste sich bei einem allfälligen Besuch in Peking, ungleich von ganz kommunen Grünen, nicht grün-warm anziehen. Im Arbeiterparadies der «sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung» nämlich gibt es Gleiche und Gleichere. Zu letzterer Sorte gehören natürlich die höchsten Staats- und Parteiführer und als Gäste auch ausländische Exzellenzen. In der neuen «Verbotenen Stadt» Zhongnanhai, dem Zentrum der Mächtigen, wird wie in den Diplomaten-Vierteln und Luxus-Hotels nach Wetter und nicht nach Datum geheizt. Zudem gibt es dort qualitativ hochstehende Luftreiniger. In jedem Zimmer. Deshalb fragte neulich ein aufmüpfiger Blogger auf Sina Weibo, dem chinesischen Twitter-Pendant, ob denn «die alten Knacker» in Staat und Partei immer noch Frühsport trieben.

Ab ins Trainingslager für den Atomausstieg

Wer also über Atomausstieg diskutieren will, müsste mindestens drei Wochen vor und drei Wochen nach der Heizperiode in Peking verbringen. Der Bundesrat könnte, aus Spargründen auf eine Reise verzichtend, ganz einfach den Schweizer Botschafter befragen. Bei ihm in der Residenz wird zwar auch nach Wetter und nicht nach Datum geheizt, aber er hat schliesslich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Summa summarum: Für ernsthafte Grüne und atomaussteigende Bundesräte ist dieser Test im schlimmsten Fall doch wohl eine Erkältung wert.


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3 Meinungen

  • billo
    am 24.03.2013 um 13:29 Uhr
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    Nun, Heizen nach Datum, das haben wir in unserem condominio an der nördlichsten Mittelmeerküste auch: ab Anfang November bis Ende März, morgens von 06-10 und abends von 18-22 Uhr, egal, wie stark die kalte Bora zu andern Zeiten um die Hütte chuten mag. Und es geht!

  • am 25.03.2013 um 10:23 Uhr
    Permalink

    Die Verknüpfung mit dem Atomausstieg ist natürlich boshaft, aber ab und zu schadet es uns doch oftmals recht verwöhnten Bewohnern der Schweiz nicht, uns mal mit den Lebensrealitäten anderer Länder zu befassen.
    Auch im kühlen Nordspanien an der Biskaya, wo auf den Bergen und Hügeln auch Schnee fällt, gibt es meist keine Heizungen, und auch doppelt verglaste Fenster sind unüblich.

    Man darf sich schon mal fragen, ob 23 Grad Raumtemperatur wirklich nötig sind. Und ob man im Winter wirklich im TShirt oder der kurzen Bluse arbeiten oder ausspannen muss.

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