Iter_logo_euratom1

Logo des Fusions-Forschungsreaktors Iter: Atomenergie ist Solarenergie © iter

Druckversuch der EU bringt Schweiz zum Kuschen

Kurt Marti /  Mit 250 Millionen Franken subventioniert die Schweiz die europäische Atomforschung. Trotz beschlossenem Atomausstieg.

Es ist kaum zu glauben: Der Ständerat hat am vergangenen Dienstag einstimmig einer Subvention von rund 250 Millionen Franken für das europäische Atomprogramm Euratom zugestimmt. Im Nationalrat ging die Vorlage bereits im Juni mit 151 zu 22 (alle SVP) über die Bühne. Die Atom-Subventionen sind Teil des Schweizer Beitrags an das EU-Forschungsprogramm in der Gesamthöhe von 4,4 Milliarden Franken für die Jahre 2014 bis 2020.

Widerspruch zum bundesrätlichen Atomausstieg

Die zuständige Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) hatte zuvor dem Milliardenkredit inklusive Euratom-Subvention mit 16 zu 2 Stimmen bei 5 Enthaltungen zugestimmt. Eine links-grüne Minderheit versuchte erfolglos das Euratom-Programm vom Gesamtprogramm zu entkoppeln und den Euratom-Kredit zu streichen. Damit war der Widerstand gebrochen. Im National- und Ständerat versuchte die Linke nur noch den Beitrag für die Periode von 2018 – 2020 zu streichen und unterlag erwartungsgemäss. Die Vorlage wurde im Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) vorbereitet, dem Bundesrat Johann Schneider-Ammann vorsteht. Im Hintergrund zog die Forschungs- und Atomlobby der Schweiz die Fäden.

Die Subventionen für das Atomprogramm Euratom stehen nicht nur im Widerspruch zum bundesrätlichen Atomausstieg, sondern auch zum bundesrätlichen Aktionsplan zur Energieforschung. Denn darin stehen die Sicherheit und die Abfallentsorgung der bestehenden Atomkraftwerke bei der Atomforschung im Vordergrund. Entsprechend komme «der Fusionsforschung für die Unterstützung der neuen Energiepolitik auch in mittel- und langfristiger Sicht keine Priorität zu».

Eine Milliarde Subventionen für null Kilowattstunden

Ein Grossteil der 250 Millionen fliesst in die internationale Fusions-Forschung und den Forschungsreaktor Iter in Südfrankreich, an dem sich neben der EU und der Schweiz auch die USA, China, Russland, Indien, Japan und Korea beteiligen. Die internationalen Atomforscher geben sich im südfranzösischen Cadarache ein Stelldichein und bilden eine schlagkräftige Lobbyorganisation.

Hochgerechnet über die letzten 40 Jahre hat die Schweiz rund eine Milliarde Franken in die Fusionsforschung investiert, ohne dass damit netto eine einzige Kilowattstunde Strom produziert worden wäre. Im Gegenteil, es wurden grosse Mengen Energie verbraucht, um die notwendige Temperatur von 200 Millionen Grad zu erreichen. Die Milliarden-Subventionen erstaunen umso mehr, als nicht vor dem Jahr 2050 mit einem Beitrag zur Stromproduktion gerechnet wird, wenn überhaupt. Die technischen Probleme sind riesig. Bei solchen Temperaturen und Strahlungen müssen die radioaktiven Reaktorwände alle paar Jahre ausgewechselt werden.

EU hat die Schweiz unzimperlich unter Druck gesetzt

Im Interesse der europäischen Atomlobby hat die Europäische Kommission die Schweiz ziemlich unzimperlich mit der Forderung unter Druck gesetzt: Ohne Finanzierung des Euratom-Programmes gibt es auch keine Beteiligung am gesamten EU-Forschungsprogramm «Horizon 2020». Bundesrat Schneider-Ammann und seine Beamten haben sich dem Druck der gut vernetzten, in- und ausländischen Atomlobby mit vorauseilendem Gehorsam gebeugt, obwohl sich für den Bundesrat in seiner Botschaft ans Parlament erstaunlicherweise «die Frage aufdrängt, ob die Schweiz als einziges Land eine solche Behandlung akzeptiert.» Denn für andere Staaten wie Norwegen, die Türkei und Israel gilt diese Bedingung nicht. Zudem regte sich in den vergangenen Jahren in Deutschland und Österreich Widerstand gegen die Beteiligung an Euratom und Iter.

Weitermachen , weil man schon seit 1978 dabei ist

Trotzdem folgte der Bundesrat den Interessen der Atomlobbyisten. Die Begründungsversuche sind lausig: Ein Rückzug mache wenig Sinn, weil die Schweiz eine lange Tradition der Euratom-Mitarbeit seit 1978 habe und weil die Schweiz 2012 und 2013 wegen der Budgetüberschreitung des Iter-Projektes höhere Beiträge einbezahlt habe. In der Ständeratsdebatte vom letzten Dienstag gab Bundesrat Schneider-Ammann denn auch unumwunden zu, wer hier die Regie führte: «Ich lege Wert auf die Feststellung, dass auch die Forschenden, die bei den Hearings in der WBK Nationalrat vorsprachen, unisono sagten, es sei richtig, wenn das Euratom-Programm mit im Paket bleibe.» Wer hätte von ihnen ein anderes Bekenntnis erwartet?

Physikstunde mit Bundesrat Schneider-Ammann

Auch dem Bundesrat ist sehr wohl bewusst, dass die Beteiligung an der europäischen Atomforschung im Widerspruch zur Energiestrategie 2050 und zum Atomausstieg steht. Deshalb griff Bundesrat Johann Schneider-Ammann am Dienstag im Ständerat zu atomphysikalischen Betrachtungen: «Ich mache auch darauf aufmerksam, dass es in dieser Forschung um Kernverschmelzung geht, es geht nicht um Kernspaltung.» Und folglich gebe es «keinen Konflikt zu unserer Energiestrategie 2050».

Als ob es dabei nicht auch um Atomenergie ginge, sondern gar um Sonnenenergie, weil ja auch die Sonne ein Fusionsreaktor ist. Es ist eine wissenschaftliche Tatsache, dass auch bei der Kernfusion atomare Energie frei wird. Das zeigt sich eindrücklich bei der Wasserstoffbombe. Anders als in den herkömmlichen Atomreaktoren werden in den Fusion-Reaktoren die Atome nicht gespalten, sondern miteinander verschmolzen. Aber bei beiden Prozessen handelt es sich um atomphysikalische Prozesse und folglich um Atomforschung.

Kein Thema für die Schweizer Medien

Nicht nur die atomphysikalischen Betrachtungen Schneider-Ammanns erstaunen, sondern auch die Reaktion der Schweizer Medien auf die skandalöse 250 Millionen-Subvention für die europäische Atomforschung. Einzig die NZZ, Le Temps und cash online haben über den Entscheid des Ständerates zum EU-Forschungsprogramm berichtet. Von der Euratom-Beteiligung ist nur am Rande die Rede. Der Betrag von 250 Millionen wird von keinem einzigen Medium genannt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.