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Nationale Netzgesellschaft Swissgrid: Warten auf das Bundesgericht © swissgrid

Hochspannung: Swissgrid verplempert weiter Zeit

Kurt Marti /  Der Ausbau der Hochspannungs-Leitung durchs Goms ist angeblich hochdringlich. Trotzdem spielen die Projektanten weiter auf Zeit.

«Gommerleitung: Swissgrid gibt unabhängige Verkabelungsstudie in Auftrag» verkündete die Swissgrid am 11. Februar 2013 (siehe Link unten). Gleichzeitig werde das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ans Bundesgericht weitergezogen, «mit dem Ziel, grundsätzliche verfahrensrechtliche Fragen zu klären». Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) hatte anfangs Januar die Beschwerden mehrerer Gemeinden und Privatpersonen gegen die Hochspannungsleitung Mörel-Ulrichen durchs Goms gutgeheissen und das Bundesamt für Energie (BFE) angewiesen, von der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid eine Verkabelungsstudie von unabhängigen Experten zu verlangen.

Doch die Swissgrid hat – entgegen ihrer Ankündigung vom Februar – den Auftrag für eine Verkabelungsstudie noch gar nicht erteilt, wie sich jetzt herausstellt. Dies bestätigt der Swissgrid-Mediensprecher Andreas Schwander gegenüber Infosperber: «Ein Auftrag ist noch nicht vergeben worden, das kann erst nach dem Urteil des Bundesgerichts erfolgen.»

Swissgrid möchte gar keine Verkabelungsstudie

Obwohl die Swissgrid am 11. Februar per Medienmitteilung verlauten liess, dass eine Verkabelungsstudie «möglichst schnell» in Auftrag gegeben werde und zwar «gleichzeitig» mit der Einreichung der Beschwerde ans Bundesgericht, versucht die Netzgesellschaft auf juristischem Weg eine Verkabelungsstudie zu verhindern. In der Swissgrid-Beschwerde ans Bundesgericht, welche ebenfalls auf den 11. Februar datiert ist, steht nämlich: «Im Falle einer Gutheissung der Beschwerde wird dieses kostspielige und aufwendige Beweisverfahren hinfällig.» Dann gelte die Bewilligung des Bundesamtes für Energie (BFE) vom 30. Juni 2011 für die geplante Freileitung.

Statt also die Verkabelungsstudie möglichst rasch in Auftrag zu geben, um keine Zeit zu verlieren, wartet die Swissgrid nun gemütlich das Urteil des Bundesgerichts ab und hofft etwas blauäugig auf einen positiven Entscheid. Das erstaunt aus zwei Gründen: Erstens ist der Bau der Hochspannungsleitung laut Swissgrid angeblich extrem dringlich und zweitens ist das Risiko ziemlich gross, dass das Bundesgericht einen Entscheid für die Verkabelung fällt, wie es das schon in einem früheren Urteil getan hat (siehe Link unten).

Wanderer auf dem Nufenenpass lebten gefährlich

Der Bummelzug der Stromwirtschaft bei gleichzeitigem Hinweis auf gravierende Lücken im Stromnetz ist keineswegs neu. Bereits Ende der 90er Jahre lebte man als Wanderer auf dem Nufenenpass gefährlich. Es bestand nämlich die Gefahr, dass die Hochspannungs-Leitung Mörel-Ulrichen-Airolo wegen Überlastung durchschmilzt und die Stromdrähte auf die Erde herunterfallen – falls man an die Märchen der damaligen Leitungsbetreiberin Aare-Tessin AG für Elektrizität (Atel) glaubte.

Schon damals schlug die Atel (heute Alpiq) Alarm und verlangte den Ersatz der bestehenden 2×220 kV-Leitung durch eine 2×380 kv-Leitung mit Masthöhen von rund 70 Metern und einer Verzehnfachung der Übertragungs-Leistung. Begründet wurde der massive Leistungsausbau mit dem Ausbau des Wasserkraft- und Pumpspeicher-Kapazität im Unterwallis. Man schrieb das Zeitalter der Veredelung von französischem Atomstrom und der Gier nach schnellen Handelsgewinnen.

Plötzlich kühlten sich die Stromdrähte merklich ab

Gross war deshalb die Verwunderung im Juli 1999, als sich die Stromdrähte durchs Goms und über den Nufenenpass merklich abkühlten und die federführende Atel den Ausbau der Hochspannungs-Leitung plötzlich auf Eis legte, wie die Oberwalliser Oppositionszeitung «Rote Anneliese» damals berichtete. «Bevor das Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) nicht in Kraft ist, nehmen wir keinen Franken in die Hand», erklärte Heinrich Zimmermann, der damalige Atel-Verantwortliche für die Gommerleitung.

Nicht nur die Marktöffnung machte der Strombranche damals zu schaffen, sondern auch die Stromschwemme in ganz Europa und der Strompreiszerfall. Genau wie heute! Zudem machte das Wort NAI (Nicht-amortisierbare Investitionen) die Runde. Der Pleitegeier kreiste bedrohlich über den Wasserkraftwerken. Heute steht die Rentabilität der milliardenteuren Pumpspeicherwerke in den Sternen und der einst lukrative Stromhandel stockt.

«Tendenziell geringerer Bedarf an Übertragungsleitungen»

Im Sommer 1998 konnten die Wanderfreunde im Goms eine weitere, interessante Beobachtung machen: Die 25 Jahre alten Rohre der Erdgas-Leitung durch die Schweiz nach Italien wurden durch beträchtlich breitere Rohre ersetzt. Laut damaliger Auskunft des Bundesamtes für Energie (BFE) reichte der zusätzliche Gas-Transport nach Italien aus, «um jährlich 50 000 Gigawattstunden (GWh) Strom zu produzieren». Das entsprach dem Fünffachen der Produktion der Walliser Wasserkraftwerke und fast dem gesamten Stromverbrauch der Schweiz.

Zutreffend hielt das BFE damals im Bericht zum EMG fest: «Es ist zu erwarten, dass Italien in den nächsten Jahren Stromerzeugungskapazitäten auf der Basis von Gas-Kombikraftwerken schaffen wird. Dadurch dürfte die Bedeutung der Schweiz als Stromtransitland eher zurückgehen. Da es billiger ist, Primärenergie (Gas, Öl) zu transportieren, werden dort Kraftwerke gebaut, wo der Strom nachgefragt wird, was zu tendenziell geringerem Bedarf an Übertragungsleitungen führt.»

BFE und Swissgrid halten stur am massiven Ausbau fest

Trotz dieser richtigen Analyse, setzte das BFE im Verbund mit den Stromkonzernen stur auf den massiven Ausbau der Pumpspeicherwerke und folglich des Transit-Stromnetzes. In dieser Zeit investierten die Schweizer Stromkonzerne Alpiq/Atel, Axpo/EGL und BWK Milliarden in die Gaskombi-Kraftwerke im Ausland, insbesondere in Italien und finanzierten so die ausländische Konkurrenz vor der Haustüre gleich selber mit. Milliardenverluste sind inzwischen das Resultat dieser riskanten Ausland-Strategie.

Während die Atel-Verantwortlichen Ende der 90er Jahre die Notbremse zogen und die Gommerleitung auf Eis legten, halten die heutigen Verantwortlichen unbeirrt am massiven Ausbau der Stromautobahn durchs Wallis fest, namentlich die Swissgrid, die seit Anfang Jahr für die Projektierung zuständig ist. Im Sommer 2011 bewilligte das Bundesamt für Energie (BFE) den Ausbau der Gommerleitung, obwohl die energiepolitischen Rahmenbedingungen noch selten so unsicher und im Fluss waren wie heute. Stichworte dazu sind der Atomausstieg, die Energiewende, die europäische Stromschwemme samt Preiszerfall und die ungeklärte Rolle der milliardenteuren Pumpspeicherwerke.

Swissgrid lässt Kompromissbereitschaft durchblicken

Laut dem Interessenverein Hochspannung unter den Boden (HSUB), welcher sich für eine Verkabelung der Gommerleitung einsetzt, schafft «eine Energiestrategie, die konsequent auf einen raschen Ausstieg aus der nuklearen Stromproduktion und den Zubau von erneuerbaren Energien zielt, eine neue Ausgangslage für die Infrastruktur». Der Verein warnt deshalb vor «ineffizienten Massnahmen und Investitionen» (siehe Link unten).

Die Swissgrid lässt am Schluss ihrer Beschwerde ans Bundesgericht Kompromissbereitschaft durchblicken: «Sollte der Gesetzgeber dem Natur- und Landschaftsschutz beim Aus- und Neubau des nationalen Übertragungsnetzes eine höhere Bedeutung beimessen wollen als der Wirtschaftlichkeit, so wird die Swissgrid AG diesen Auftrag ohne weiteres erfüllen». Seit Jahren waren das BFE und die Stromwirtschaft nicht gewillt, eine stark redimensionierte, unterirdische Kabelleitung durchs Goms aufzugleisen. Jetzt liegt die Verantwortung beim Bundesgericht, ein Machtwort zu sprechen und damit die Weichen richtig zu stellen, damit die Stromlobby im Verbund mit dem BFE keine weiteren Fehlinvestitionen auf Kosten der Stromkonsumenten macht und eine Verschandelung der Landschaft in Kauf nimmt.

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Swissgrid hat falsch kommuniziert und entschuldigt sich dafür

(Red.) Nach der Publikation des Artikels «Hochspannung: Swissgrid verplempert weiter Zeit» hat Swissgrid auf ihrer Homepage die folgende Medienmitteilung publiziert:

«Anfang Januar 2013 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass eine Verkabelung oder Teilverkabelung der Gommerleitung geprüft werden muss. Ziel ist, nun möglichst schnell eine unabhängige Verkabelungsstudie zu erstellen. Dazu arbeitet Swissgrid, die Anfang 2013 die Verantwortung für die Projektierung dieser Leitung übernommen hat, eng mit dem Bundesamt für Energie (BFE) als verfahrensführende Behörde zusammen. Die Verkabelungsstudie soll die Machbarkeit und die Auswirkungen von Verkabelungsvarianten prüfen. Gleichzeitig hat Swissgrid das Urteil an das Bundesgericht weitergezogen mit dem Ziel, grundsätzliche verfahrensrechtliche Fragen zu klären.

Swissgrid ist daran, bis Ende April 2013 ein Pflichtenheft zu erstellen, das definiert, was in dieser Verkabelungsstudie enthalten sein soll. Das Pflichtenheft wird die Grundlage sein für die Studie, die von Swissgrid im Auftrag des BFE ausgeschrieben wird. Dass ein Auftrag erst nach dem Urteil des Bundesgerichts vergeben wird, wurde von Swissgrid gegenüber infosperber.ch falsch dargestellt, wofür sich das Unternehmen entschuldigt. Ziel ist, dass die Studie bis Ende 2013 vorliegt. Swissgrid wird über das weitere Vorgehen informieren.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

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