Einsamer und frustrierender Kampf für die Umwelt

Tobias Tscherrig /  Während 14 Monaten amtete der Umweltaktivist Nicolas Hulot als Umweltminister von Frankreich. Dann resignierte er und trat zurück.

«Brände überall auf der Welt, Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen, (…) rekordhohe Temperaturen in Frankreich…», beginnt der Moderator von «france inter» in der Morgensendung vom 28. August aufzuzählen. Dann unterbricht er sich selber, die Liste der wichtigsten Umweltereignisse und der wichtigsten umweltpolitischen Entscheidungen des Sommers ist zu lang. «Das sind erst die Vorboten dessen, was uns noch erwartet, sagen die Wissenschaftler», so der Moderator.

Dann richtet er das Wort an seinen Studiogast, den französischen Umweltminister Nicolas Hulot, der kurz darauf live seinen Rücktritt aus der Regierung verkündet und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt.


Nicolas Hulot kündigt live im Radio seinen Rücktritt an.

Eigentlich sei zu diesem Thema bereits alles gesagt worden, die Fakten seien bekannt, sagt der Moderator und fragt: «Können Sie mir erklären, warum es keine allgemeine Mobilisierung gegen diese Phänomene und für das Klima gibt?» Hulot zögert keine Sekunde. «Ich habe eine kurze Antwort: ‹Nein› – Ich verstehe nicht, warum wir weltweit einer gut angekündigten Tragödie assistieren (…).»

Im Unterschied zu Hulot weiss «Infosperber» die Antwort und hat sie schon vor dem Rücktritt Hulots gegeben, nämlich am 17. August unter dem Titel «Welt retten in der Just-in-Time-Spirale – aussichtslos».

Aktivist im Politbetrieb
Dieser kurze Gesprächsauszug zeigt die ganze Problematik, der sich Hulot während seiner einjährigen Amtszeit als Umweltminister ausgesetzt sah. Vor seiner politischen Karriere setzte sich Hulot unter anderem als Fernsehmoderator, Filmemacher und Gründer der «Hulot-Stiftung» für die Umwelt ein. Politisch engagierte er sich vor allem im Vorfeld von Präsidentschaftswahlen: 2012 kandidierte er erfolglos für das Amt des französischen Präsidenten und gab als Ziel eine «neue, umweltfreundliche und soziale Gesellschaft» an.

2006 bewegte Hulot fünf Amtsanwärter für die Präsidentschaftswahl 2007 zur Unterschrift unter einen «Pakt für die Umwelt», der von den Unterzeichnenden im Falle einer Wahl eine entschlossene grüne Politik verlangte. 2017 unterschrieben 40’000 Französinnen und Franzosen eine Petition, die Hulot aufforderte, sich als Präsidentschaftskandidat zu bewerben. Hulot lehnte ab. Auch die beiden vorherigen Präsidenten Jacques Chirac und François Hollande liess Hulot auflaufen. Beide wollten den populären Franzosen als Wirtschaftsminister gewinnen.

Nicolas Hulot ist Umweltaktivist, ein Urgestein in der französischen Szene. Auch deshalb galt der 62-jährige Millionär bei vielen als beliebtester Franzose – dem auch Kritik an seinem Steckenpferd, dem Motorsport, seinem grossen Fuhrpark oder ein Vergewaltigungs-Vorwurf nur wenig anhaben konnte.

Der ehemalige Umweltaktivist wollte die grossen Baustellen in Frankreichs Umweltpolitik anpacken: Er wollte die Atomkraft drosseln in einem Land, das zur Energiegewinnung auf die weltweit höchste Dichte an Nuklearanlagen zurückgreift. Er wollte Diesel- und Benzinautos bis 2040 verbieten, Frankreichs Agrarindustrie auf Bio umstellen und endlich den Unkrautvernichter Glyphosat verbieten.

Hulot war sich der Grösse seiner Ziele bewusst. Trotzdem trat er als Minister an, zum Wohle der Umwelt wollte er handeln. «Wenn ich nach zwölf Monaten zu wenig verändert habe, ziehe ich mich zurück», sagte Hulot kurz nach seinem Amtsantritt und machte damit allen klar, was er als Minister nicht sein wollte: Ein Politiker, dessen Daseinszweck aus leeren Reden besteht.

Enttäuschter Minister spricht Klartext
Am 28. August liess Hulot diesem Versprechen Taten folgen. Auf unkonventionelle Art nahm er den Hut, verkündete seinen Rücktritt live in einer Radiosendung – ohne Präsident Emmanuel Macron im Vorfeld informiert zu haben. Auch die Moderatoren wussten nichts, sie waren sichtlich überrascht.

Aus diesem Vorgehen spricht vor allem Frustration. Und die ist nachvollziehbar. Denn obwohl Präsident Emmanuel Macron der Klima- und Umweltpolitik in seinen Reden stets einen grossen Stellenwert einräumt, konnte sich sein Umweltminister mit seinen Anliegen nicht durchsetzen. So wurde zum Beispiel die Schliessung von baufälligen Atomkraftwerken auf unbestimmte Zeit verschoben und, das Glyphosat-Verbot stiess auf massiven Widerstand.
«Haben wir begonnen, die Verwendung von Pestiziden einzuschränken? Die Antwort ist Nein. Haben wir begonnen, das Verschwinden der Biodiversität aufzuhalten? Die Antwort ist Nein», sagt Hulot im Interview mit «france inter.»

Frustriert erklärt er dem Moderator, dass er sich im Kampf für Umweltthemen «völlig allein» gefühlt habe. Er sei in der Regierung isoliert gewesen und habe eine «Anhäufung von Enttäuschungen» erlebt. Ausserdem wolle er nicht länger die Illusion erwecken, dass seine Anwesenheit in der Regierung bedeute, dass die Regierung in Umweltfragen angemessen handle.

Sichtlich gezeichnet sitzt Hulot im Radiostudio und blickt in eine Kamera: «Vielleicht hatte ich nicht genügend breite Schultern, um Minister zu sein.» Trotzdem habe er den Entscheid, Minister geworden zu sein, nicht eine Sekunde lang bereut.

Im Interview kritisiert Hulot die Politik von Emmanuel Macron, für den die Umwelt und der Klimawandel keine Priorität hätten. «Ich weiss, dass ich alleine nichts erreichen werde. (…) Ich habe ein bisschen Einfluss, aber keinerlei Macht.» Weder Frankreich, noch Europa oder die Welt unternähmen genug in Sachen Umweltschutz, so Hulot. Und: Die französische Politik traue sich nicht, aus der «ökonomischen Orthodoxie» auszubrechen.

Auslöser: Die Macht der Lobbys
Der Tropfen, der das Fass für Hulot wohl endgültig zum Überlaufen gebracht hatte, war ein Treffen zwischen Macron und dem französischen Jagdverband im Élysée-Palast gewesen, an dem auch Hulot teilgenommen hatte. Konkret ging es um den Entscheid, dass die Jagdlizenz künftig nur noch 200 Euro – und damit die Hälfte weniger – kosten soll. Bereits im Februar hatte Macron die Jagdsaison auf Graugänse verlängert. Mit solchen Massnahmen umgarnt Macron die rund eine Million Franzosen, die in Frankreich der Jagd nachgehen und die seiner Politik eher skeptisch gegenüberstehen.

Am besagten Treffen habe auch ein Lobbyist am Verhandlungstisch gesessen, der nicht eingeladen gewesen sei. Hulot im Interview: «Diese Präsenz der Lobbys in den Machtzirkeln ist symptomatisch». Ein Problem, das auf den Tisch gelegt werden müsse, da es «ein Problem der Demokratie» sei. «Wer hat die Macht, wer regiert?», fragt Hulot bevor er erklärt, dass dieser Vorfall sicher nicht der Grund für sein Rücktritt sei. Er habe allerdings zu seiner Enttäuschung beigetragen.

Der Rücktritt als Weckruf
Im Interview bekräftig Hulot noch einmal, dass er für Macron und Premierminister Edouard Philippe grösste Bewunderung hege. Er kritisiere niemanden. «Ich hoffe, dass mein Abschied eine tiefgreifende Innenschau unserer Gesellschaft über die Realität unserer Welt auslöst», beschreibt Hulot sein Ziel. «Ich will mich nicht länger selbst belügen», sagt er und weist dann auf drängende Umweltprobleme hin: Der Planet drohe, sich in einen Ofen zu verwandeln.

Mit seinem unkonventionellen Rücktritt und seinen erstaunlich ehrlichen Worten, lässt Hulot tief blicken – und setzt Emmanuel Macron unter Druck. Er kritisiert die Umwelt- und Klimapolitik, Migrations- und Steuerpolitik: Hulot spricht von falschen Prioritäten und vermittelt dabei das Bild eines Mannes, der die Gelegenheit hatte, hinter die Kulisse von Frankreichs nationaler Politbühne zu blicken – und der sich nun resigniert und angewidert abwendet. Das Bild eines Mannes, der dachte, sich auf höchster politischen Ebene für die Umwelt einsetzen und etwas zu ihrem Vorteil verändern zu können – und der gescheitert ist.

Wegen schönfärberischen Worten, ungehaltenen Versprechen, der Macht von Lobbys und der Unvernunft der Politiker, die danach regieren. Wegen hart erkämpften, kleinen Fortschritten, die niemals die grossen Umweltprobleme lösen können. Es scheint, als sei in Hulot die Erkenntnis gereift, dass die Politik den Planeten Erde nicht retten wird.

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3 Meinungen

  • am 12.09.2018 um 11:34 Uhr
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    Der letzte Satz im Artikel trifft voll meine persönliche Sichtweise. Ich glaube nicht mehr an das parlamentarische System. Es ist offensichtlich, dass die Parlamente nur dann zu Änderungen fähig sind, wenn sie damit den Status quo bewahren. Quasi notwendige Anpassungen um das Grundsätzliche nicht anpassen zu müssen.Und wenn es hart auf hart kommt, dann setzt sich die parlamentarische Politik immer!! für die Mächtigen ein, von welchen sie ja auch abhängig sind und Angst haben.

    Ich erwarte keine Veränderungen mehr zum Guten vom Parlament und Politikern, sondern erhoffe mir diese aus der Zivilbevölkerung heraus. Es gibt hunderte, kleine Vereine in der ganzen Welt wo sich tausende Menschen für eine bessere Welt einsetzen. Meine naive Hoffnung: Irgendwann summieren sich die zig tausenden kleinen Bemühungen und kippen quasi das Gedankenmomentum in der Bevölkerung. Wenn der Soldat sich weigert zu schiessen, der Banker sich weigert in Wasser zu investieren, der Gemeinderat sich für die kleine Schreinerei einsetzt und nicht für den Megakonzern, jeder lieber sein Gemüse selber anpflanzt oder direkt beim bio Bauer bezieht als beim Grossverteiler… dann ist Veränderung ohne Gewalt möglich.

  • am 12.09.2018 um 12:43 Uhr
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    Der klimawandel ist realität! Man kann ihn seit vielen jahrzehnten beobachten! Er äussert sich auch durch längere vegetationszeit jährlich! Der menschliche einfluss ist da! Aber in geringen masse! Sonneaktivität, die seit mitte des neunzehnten jarhundert zunimmt, (der zyklus dauert jeweils zirka 200 jahre) taumelnde erdachse, etc. Haben viel grösseren einfluss! Warum machen die länder klimagipfel, die auch ein möglichst grosses wachstum wollen? Ewiges wachstum und globalisierung, dadurch wahnsinnige wie unnötig viele land und schifftransporte, so wie viel zu viel flugverkehr sind genau die menschlichen einflüsse auf die klimaveränderung! Das bisschen autofahren und häuser heizen fällt dagegen wenig ins gewicht! Warum sind die gleichen leute für globalisierung, ewiges wachstum, die auch klinaschutz apostel sein wollen? Total verlogen! Bei der ganzen hysterie geht es vor allem darum den klienen menschen noch mehr geld aus den taschen zu ziehen! Dieses geld in sinnlose klimaschutz projekte zu stecke. Wobei der löwenanteil in den taschen derer versikert, die durch wachstumswahn und globalisierung den menschengemachten anteil am klimawandel ankurbeln!

  • am 14.09.2018 um 09:50 Uhr
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    @werner zuercher
    Ich pflichte Ihnen grundsätzlich bei, was die «Kommerzialisierung» der derzeitigen Klimapolitik betrifft. Eindeutig wird diese von wenigen Mächtigen zu ihrem eigenen finanziellen Vorteil ausgebeutet.
    Wo ich nicht mit Ihnen einig bin ist was den Einfluss des Menschen anbelangt. Alle von Ihnen genannten Faktoren sind vorhanden. Ob diese wirklich grösser sind als der Mensch? Das bezweifle ich ernsthaft!
    Stellen Sie sich folgendes vor: Der Mensch verbrennt bzw pumpt derzeit in EINEM Jahr so viel CO2 in die Atmosphäre, wie die Erde vorher in EINER MILLION Jahren der Atmosphäre entzogen hat. Nur schon dieses Verhältnis macht deutlich, dass der Einfluss des Menschen gigantisch ist! Alle natürlichen Veränderungen (Sonnenzyklen, Erdachse etc.) haben immer schon stattgefunden, sie haben langsam stattgefunden. Die Natur hatte Zeit sich anzupassen und das hat sich auch immer gemacht. Mit der derzeit so rasant schnell stattfindenden Veränderung der Atmosphäre ist die Anpassung aber nicht möglich. Und genau deshalb gibt es primär einen grossen Faktor der im Moment das Klima beeinflusst: Das ist der Mensch!

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