Die Swissgrid setzt weiterhin auf Strommasten

Hanspeter Guggenbühl /  Stromleitungen auf Masten oder in den Boden? Die Wissenschaft ist unentschieden. Der politische Streit geht weiter.

»Es gibt keine allgemeingültige Aussage über Vor- oder Nachteile von Freileitungen und Erdkabeln.» Die Abwägung müsse bei jedem einzelnen Projekt «nach einem standardisierten Verfahren» erfolgen. Das schloss Elektro-Ingenieur Dirk Westermann aus seiner «Metastudie» über Frei- und Erdkabelleitungen im Höchstspannungs-Stromnetz (220 bis 380 Kilovolt), die er kürzlich den Medien präsentierte. Wissenschaftlich bleibt damit der Streit unentschieden, der seit Jahren zwischen Stromwirtschaft und Landschaftsschützern tobt.

Vielfältige Kriterien – wenig eindeutige Resultate

Die von Westermann und weiteren Wissenschaftern der Technischen Universität Ilmenau (Deutschland) erstellte Studie vergleicht über 170 Einzelstudien, die in den letzten zehn Jahren zum Thema Freileitungen und Erdkabel erschienen sind. Bewertet wurden Investitions- und Betriebskosten, Übertragungsverluste, Betriebsstörungen, Magnetische Felder (Elektrosmog), Landschaftsschutz, Bodenschutz, die Eingriffe auf Flora und Fauna sowie die Akzeptanz der beiden Technologien.

Eindeutige Unterschiede gibt es nur bei drei Kriterien: Die Investitionskosten sind bei Freileitungen viel tiefer. Die Erdverkabelung hingegen schneidet punkto Landschaftsschutz und Elektrosmog besser ab – und wird darum auch von der betroffenen Bevölkerung besser akzeptiert. Kein eindeutiges Bild gibt es bei den Übertragungsverlusten und Betriebskosten; diese hängen auch von der Auslastung des Netzes, Marktpreisen, Leitungsdefekten und Reparaturzeiten ab.

Freileitungen bleiben für Swissgrid die «Basis»

»Die Freileitungs-Variante bildet für die künftige Projektierung im Höchstspannungs-Netz (also den grossen Strom-Übertragungsleitungen) weiterhin die Basis.» Das folgert Pierre-Alain Graf, Chef der Swissgrid, der die Studie in Auftrag gegeben hatte, um die zu Debatte um den Leitungsbau «zu versachlichen».

Immerhin will Swissgrid in den nächsten Jahren einzelne «Pilotprojekte» mit 380 Kilovolt Erdverkabelung realisieren, um Erfahrungen mit dieser Technik zu sammeln. Denn im Unterschied zur Verkabelung von Leitungen in den Bereichen 220- und 110-Kilovolt gibt es bei der Verkabelung von 380-Kilovolt-Leitungen wenig praktische Erfahrungen.

Eine Kombination von Freileitung und Erdverkabelung sei «eine gangbare Alternative», sofern der Stromregulator erlaube, die höheren Kosten anzurechnen und auf die Strompreise zu überwälzen, sagte der Swissgrid-Chef weiter. Die politisch zentrale Frage, bei welchen umstrittenen Projekten die Erdverkabelung zum Zug kommt, bleibt aber noch offen.

Ausbau für vier bis sechs Milliarden Franken geplant

Die Swissgrid betreibt seit 2009 das nationale Übertragungsnetz, das sich heute noch im Eigentum der grossen Überland- und Stadtwerken befindet, und wird das über 6000 Kilometer lange Höchstspannungsnetz ab Mitte 2012 auch besitzen. Sie trägt damit nicht nur die Verantwortung für den störungsfreien-freien Betrieb der nationalen Stromautobahnen, sondern künftig auch für deren Ausbau. Dabei handelt es sich um eine ebenso umfangreiche wie schwierige Aufgabe. Denn mit dem schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie, der Förderung von Wind- und Solarkraftwerken mit unvorhersehbar schwankender Produktion sowie dem Bau leistungsstarker Pumpspeicher-Kraftwerke in den Alpen wächst der weiträumige Stromtransport.

Das verändert und erhöht die Anforderungen ans überalterte Stromnetz. Allein bis zum Jahr 2020 müsse die Schweiz Höchstspannungs-Leitungen mit einer Gesamtlänge von tausend Kilometern erneuern, aus- oder neu bauen, rechnet Swissgrid und budgetiert dafür Kosten von vier bis sechs Milliarden Franken.

Widerstand bremst den Bau von Freileitungen

Noch grösser als der Umfang der Kosten ist der Widerstand von Landschaftsschützern und Bevölkerung in den vom Ausbau betroffenen Regionen. Umstrittene Projekte gibt es von Riniken im Aargau über Mühleberg (BE), Yverdon (VD), Galmiz (FR) bis hin zur besonders umstrittenen Verbindung Chippis-Mörrel im Wallis. Die meisten betroffenen Gemeinden haben sich in der Interessengemeinschaft «Hochspannung unter den Boden» organisiert. Das Angebot von Swissgrid, einige Pilotprojekte mit Erdkabel zu realisieren, dürfte nun neu einen regionalen Verteilungskampf um diese Pilotprojekte eröffnen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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