RheinbeiBasel

Nur zwei Prozent des Rheinwassers bei Basel stammt aus der Gletscherschmelze © taxiarchos228/wikmedia commons

«Anteil an Gletscherwasser wird oft überschätzt»

Kurt Marti /  «Die Geschichte des Wassers in der Schweiz ist eine Geschichte des Schnees, nicht der Gletscher», sagt der Experte Klaus Lanz.

ktm. Klaus Lanz leitet das Forschungsinstitut «International Water Affairs», das sich seit 20 Jahren mit internationalen Wasserfragen befasst. Zuvor leitete der Chemiker und Wasserforscher die Wasserabteilung von Greenpeace Deutschland und arbeitete an Universitäten in den USA und der Schweiz.


Wasserforscher Klaus Lanz

Infosperber: Wie gross ist heute der Anteil des Gletscherwassers in den Schweizer Flüssen?

Klaus Lanz: Der Anteil an Gletscherwasser in den Schweizer Flüssen wird oft überschätzt. Zum Jahresabfluss an der Mündung der Aare trägt die Eisschmelze 3 Prozent, am Rhein bei Basel 2 Prozent bei. Weiter flussaufwärts ist der Anteil bedeutender: 13 Prozent des Wassers, das die Aare in den Brienzersee speist, stammt aus der Gletscherschmelze. Die Geschichte des Wassers in der Schweiz ist eine Geschichte des Schnees, nicht der Gletscher. Über das ganze Jahr gemittelt speiste sich der Rhein bei Basel zwischen 1901 und 2006 zu durchschnittlich 39 Prozent aus schmelzendem Schnee.

Welche Folgerung ziehen Sie daraus?

Mit dem Ansteigen der Schneegrenze in den Alpen und dem Alpenvorland wird sich der Beitrag des Schnees zu den Flüssen zurückbilden. Deutlich weniger Wasser wird in der Schneedecke gespeichert und fliesst im Winter direkt ab. Dadurch wird sich die Schneeschmelze vermindern und um bis zu sechs Wochen früher eintreten. Im Frühjahr und vor allem im Sommer werden die Flüsse in der Schweiz weniger Wasser führen als in der Vergangenheit.

Mit welchen Auswirkungen für die Wassernutzungen?

Zu spüren bekommen das alle Wassernutzungen, die direkt von Flüssen abhängig sind, insbesondere die Landwirtschaft und die Versorgung mit Trinkwasser. Besonders betroffen sind jene Städte und Regionen, die überwiegend von Fluss- und Seewasser abhängen (z. B. Genf, Basel, Zürich, St. Gallen, Biel). Aber auch die grossen Grundwasservorkommen im Mittelland und den Alpentälern, die das Rückgrat der Schweizer Trinkwasserversorgung bilden, speisen sich überwiegend aus Flüssen. Bei behutsamer Nutzung sollten sie allerdings eine bedeutende Trinkwasserreserve auch in längeren Trockenzeiten bieten.

Welche Nutzungskonflikte ergeben sich durch die veränderte Wasserführung?

Gehen die Abflussmengen in den Flüssen zurück und werden sie unregelmässiger, intensivieren sich die Konflikte. Im Vordergrund stehen hierbei die landwirtschaftliche Bewässerung, die Nutzung von Kühlwasser und Heizenergie, die Wasserkraft und die Beschneiung. All diese Nutzungen sind zu ganz bestimmten Zeiten auf Wasser angewiesen, Bewässerung und Beschneiung gerade dann, wenn das Wasser in den Fliessgewässern ohnehin knapp ist (Bewässerung in Trockenzeiten, Beschneiung in den natürlicherweise abflussarmen Monaten November und Dezember). Damit kommen Landwirtschaft und Bergbahnen leicht in Konflikt mit den für gesunde Fliessgewässer nötigen Restwassermengen.

Die Trinkwasserversorgung sollte durch Wasserentnahmen anderer Nutzer eigentlich nicht unter Druck geraten. Fragezeichen gibt es allenfalls in den Tourismusdestinationen der Berggebiete, wo während der Saison sehr grosse Wassermengen für Hotels und Ferienwohnungen bereitgestellt werden müssen, während gleichzeitig die Beschneiung Wasser nachfragt. Wo – wie in vielen Destinationen – keine Grundwasserreserve vorhanden ist, sondern nur Quellwasser, kann die Beschneiung von Pisten und Loipen schnell zu Lasten der Trinkwasserversorgung gehen.

Bereits jetzt ertönt der Ruf nach neuen Staumauern beziehungsweise nach der Erhöhung der bestehenden, um den Wassertransfer in den Sommer zu gewährleisten. Was sagen Sie dazu?

Die Hauptansprüche an eine Alimentierung von Fliessgewässern aus Speicherseen kommen von Seiten der Landwirtschaft. Die Trinkwasserversorgung im Mittelland wird bei kluger Planung auch in Zukunft ohne Speicherseen im Berggebiet auskommen. Dagegen könnten Berggemeinden, die ausschliesslich Quellwasser zur Verfügung haben, durchaus von Speicherseen profitieren, eventuell in Kombination mit der Beschneiung.
Genauere hydrologische Berechnungen werden vermutlich zeigen, dass die vom Anstieg der Schneegrenze und dem Verschwinden der Gletscher verursachten sommerlichen Abflussminderungen durch noch so viele Speicherseen nicht ausgeglichen werden können. Es ist dann eine gesellschaftliche Abwägung, in welchem Mass man die alpine Landschaft für einen begrenzten Nutzen in Anspruch nehmen möchte. Denn ebenso gut wären kleinere, dezentrale Wasserspeicher etwa für die Landwirtschaft auch im Mittelland machbar.

Welche anderen Massnahmen schlagen Sie vor, um Nutzungskonflikte zu vermeiden?

Grundlage jeder wasserwirtschaftlichen Planung ist der Abgleich der verfügbaren Wassermengen mit den beanspruchten Mengen. In vielen Fällen zeigt schon die Analyse von verfügbarem Dargebot und Nutzungswünschen, dass nicht alle Ansprüche gleichzeitig erfüllt werden können. Dann bleiben eine zeitliche Staffelung der Wassernutzung, eine Steigerung der Nutzungseffizienz (betrifft vor allem die Bewässerung) und die räumliche Verlegung wasserintensiver Aktivitäten in wasserreichere Regionen. Auch durch eine bessere Organisation und Vernetzung der Wasserinfrastruktur lassen sich Konflikte mitunter auflösen. Und vor allem: je stärker Verschmutzungen der Gewässer vermieden werden, desto mehr Handlungsspielraum gibt es.

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Dieses Interview ist erstmals im «Pro Natura Magazin» vom Juli 2017 erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Klaus Lanz leitet das Forschungsinstitut «International Water Affairs», das sich seit 20 Jahren mit internationalen Wasserfragen befasst. Zuvor leitete der Chemiker und Wasserforscher die Wasserabteilung von Greenpeace Deutschland und arbeitete an Universitäten in den USA und der Schweiz.

Zum Infosperber-Dossier:

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