AKWBeznau

Das AKW Beznau steht auf einer Insel mitten in der Aare. © axpo

Hochwasser-Risiko für Beznau: Odyssee ohne Ende

Kurt Marti /  Seit 2011 wird das Hochwasser-Risiko für das AKW Beznau untersucht. Seither folgt eine Verzögerung der nächsten.

Die Atomkatastrophe von Fukushima 2011 klopfte die Schweizer AKW-Betreiber aus dem Busch, besonders den Stromkonzern Axpo, der das AKW Beznau betreibt. Dieses wurde nämlich auf einer überflutungsgefährdeten Insel mitten in der Aare erbaut, kurz nach dem Zusammenfluss der drei Flüsse Limmat, Reuss und Aare, die das Wasser von 43 Prozent der Schweizer Landesoberfläche sammeln.

Erst Fukushima brachte das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) auf die Idee, von der Axpo Untersuchungen des Hochwasser-Risikos einzufordern. Seither wird das Hochwasser-Risiko für das AKW Beznau untersucht, insbesondere läuft seit 2013 eine Studie «Extremhochwasser an Aare und Rhein» (EXAR), die das Hochwasser-Risiko für sämtliche kritische Infrastrukturen untersucht. Doch die erstmals 2016 angekündigte Publikation der EXAR-Studie wurde mehrmals verschoben. Neuerdings bis Dezember 2020.

Axpo rechnete zuerst mit reinem Hahnenwasser

Doch beginnen wir von vorne: Kurz nach Fuskushima verlangte das Ensi von der Axpo einen Bericht zum Hochwasser-Risiko des AKW Beznau. Die Axpo lieferte eine Gefälligkeitsstudie, die bereits Ende August 2011 vorlag. Wie Infosperber damals berichtete, rechnete die Axpo-Studie mit reinem Hahnenwasser ohne Schwemmgut (Holz, Autos, etc.) und Geschiebe (Geröll, Sand). Im schlimmsten Fall eines 10’000-jährlichen Hochwassers würde laut der Axpo-Studie das AKW-Gelände bloss 37 Zentimeter unter Wasser stehen.

Aufgrund der Hahnenwasser-Studie wagte das Ensi am 7. September 2011 die voreilige Behauptung, dass das AKW Beznau «den Nachweis der Beherrschung des 10’000-jährlichen Hochwassers unter den vom Ensi gesetzten Rahmenbedingungen erbracht» habe. Auf Intervention von AtomkritikerInnen rang sich das Ensi Anfang 2012 zur Aussage durch: «Folgende offene Frage erfordert weitere Abklärungen: Die vollständige Verstopfung der wasserbaulichen Einrichtungen.»

Die weiteren Abklärungen mit Schwemmgut und Geschiebe erbrachten – wen wundert’s? – keine wesentlich erhöhte Gefährdung. Die Überschwemmungshöhe von 37 cm wurde bloss auf 73 bis maximal 103 cm erhöht, wie Infosperber im November 2014 berichtete.

Übrigens hielt damals die Axpo diesen revidierten Hochwasserbericht unter dem Vorwand der «Gefährdung der inneren und äusseren Sicherheit der Schweiz» hartnäckig unter Verschluss, bis Infosperber im Februar 2016 mit Hilfe des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (Edöb) dessen Publikation erzwang.

Publikations-Termine: 2016, 2018, Sommer und Dezember 2020

Im Dezember 2013 kündigte der Bund an, das Hochwasser-Risiko der Aare für die Atomkraftwerke Mühleberg, Gösgen und Beznau zu untersuchen. Das Projekt «Extremhochwasser an Aare und Rhein» (EXAR) war geboren. Unter der Federführung des Bundesamts für Umwelt (Bafu) machten sich die VertreterInnen des Ensi, der Bundesämter für Energie (BFE), Bevölkerungsschutz (BABS) und Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz) daran, «harmonisierte Gefahrenszenarien» auszuarbeiten. In der Medienmitteilung hiess es: «Die Szenarien für extreme Hochwasserereignisse sollten bis 2016 vorliegen.»

Im Februar 2016 erklärte das Bafu die Vorstudien 2013 – 2016 für abgeschlossen und kündigte die «Hauptstudien» an. Auf eine Interpellation des grünen Nationalrats Balthasar Glättli, weshalb es beim EXAR-Projekt zu Verzögerungen komme, erklärte der Bundesrat im April 2017: «Die harmonisierten Gefahrenszenarien für die Aare werden voraussichtlich bis Ende 2018 vorliegen. Sie werden veröffentlicht.»

Das Jahr 2018 verging, ohne dass die EXAR-Resultate vorlagen. Auch das Jahr 2019 zog ohne EXAR-Publikation ins Land. Erst am 20. Mai 2020, also sechseinhalb Jahre nach der Geburt der Studie, konnte man ein Lebenszeichen vernehmen. Gut versteckt in den gesammelten Mitteilungen des Bafu wurde die Publikation «im Sommer 2020» angekündigt.

Doch auch diese Frist ist inzwischen bereits Makulatur. Wie das Bafu auf Anfrage bestätigt, gibt es eine weitere Verzögerung von einem halben Jahr. Die EXAR-Publikation erfolge «voraussichtlich im Dezember 2020».

Auf die Gründe dieser erneuten Verzögerungen angesprochen, verwies das Bafu auf «vertiefte Überprüfungen und Sensitivitätsanalysen» und «eine zusätzliche, ursprünglich nicht geplante Validierungsrunde durch den Expertenbeirat». Diese Arbeiten hätten «deutlich mehr Zeit als geplant» erfordert. Offenbar wurde an den Zwischenresultaten ausgiebig gehobelt und gefeilt. Zudem hat laut Auskunft des Bafu die «Corona-Situation die Fertigstellung des Berichts verzögert».

Bafu übernimmt die Sprachregelung des Ensi

Weil die Untersuchungen bereits seit 2013 andauern, wollte Infosperber vom Bafu wissen, ob eine solch jahrelange Studiendauer verantwortbar sei, wenn man die möglichen Auswirkungen eines Extrem-Hochwassers auf das AKW Beznau und folglich für die Bevölkerung in Betracht zieht.

Die Antwort des Bafu: «Hätten die Teilresultate eine Problematik aufgezeigt, die rasches Handeln erfordert hätte, wären die für die Anlagen zuständigen Behörden unverzüglich informiert worden.»

Nicht nur in dieser Formulierung schimmert die Sprachregelung des Ensi durch, sondern auch in den weiteren Ausführungen des Bafu gegenüber Infosperber: Das AKW Beznau habe «stetig die Hochwasseranalysen verfeinert, indem z.B. relevante Phänomene wie Feststofftransport oder Verklausungen in die Analysen miteinbezogen und verschiedene Szenarien betrachtet wurden».

Die Rede ist von der oben erwähnten Axpo-Hahnenwasser-Studie, mit welcher das Ensi den Nachweis für die Hochwassersicherheit des AKW Beznau schon im August 2011 als «erbracht» ansah sowie von der nachträglichen Studie, welche die Axpo erst auf Druck von Infosperber publizierte.

Ensi sieht nur noch «Verfeinerungen»

Obwohl der EXAR-Bericht und die Risiko-Folgerungen für das AKW Beznau noch nicht vorliegen, erteilte das Ensi schon in seinem Erfahrungs- und Forschungsbericht 2018 (Seite 48) einen Hochwasser-Persilschein: Die Schweizer AKW hätten «beträchtliche Sicherheitsmargen gegenüber diesen Hochwassergefährdungen» und das EXAR-Projekt liefere dazu nur noch «Verfeinerungen der Analysen».

Diese «Verfeinerungen» in Bezug auf das Hochwasser-Risiko der Atomkraftwerke werden laut Ensi nicht in der EXAR-Studie vorgenommen, sondern «in Folgeprojekten, sofern notwendig». Im Klartext: Nach der Publikation der EXAR-Studie geht die Odyssee der Hochwasser-Studien für das AKW Beznau weiter. Publikationstermin unbekannt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).

Zum Infosperber-Dossier:

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4 Meinungen

  • am 16.07.2020 um 12:11 Uhr
    Permalink

    Die Verzögerungen des Berichtes lassen darauf schliessen, dass man sowieso vor hat, Beznau bald zu schliessen und dort keine Gelder mehr investieren will.
    Macht sich Infosperber aber nicht unglaubwürdig, wenn nur Kurt Marti seine Meinung vertritt und keine andere Meinung zu Wort kommt?
    Siehe auch https://www.youtube.com/watch?v=H1Y2idfPEYM&t=76s, das ist zwar Propaganda, genauso wie was Kurt Marti schreibt.

  • am 16.07.2020 um 12:54 Uhr
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    Das grösste Problem, welches ein Land haben kann, ist der Staat.

  • am 16.07.2020 um 15:25 Uhr
    Permalink

    Auf Fotos ist leicht ersichtlich, dass die kompletten Schalt- u- Umspannanlagen völlig offen liegen.
    Unter welchen ‹Annahmen› wurde die Studie über die Hochwasserhöhe denn gemacht ?
    Welche Hochwasserhöhe wurde im nahen Rhein angenommen, bei Jahrhundert-Abflussmenge in diesem Abschnitt der Aaare, wegen dem möglichen Rückstau ?
    Wie lange dauert beim AKW Beznau die geregelte Abschaltung ?
    Die anschliessende Kühlung benötigt trotzdem viel el.Energie aus den Notstromaggregaten oder aus dem Netz über Tage.
    Das AKW Beznau sei ja auch durch Erdbeben gefährdet. Eine ungünstige Kombination von einzelnen, bloss für sich geringen Schadenspotential können auch zur Katastrophe führen.
    Viele Einzelkomponenten sind im AKW Beznau in die Jahre gekommen. Welche Kombinations-Risiken wurden untersucht ?

    Wenn alles wirklich so sicher wäre und die Studien einer kritischen Überprüfung stand halten würden, wären die längst mit viel Medienhip veröffentlicht worden. Alles andere sind faule Ausreden für die undemokratische In-‹Transparanz› in einem existenziellen Sachverhalt.

  • am 15.07.2021 um 13:06 Uhr
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    Wie konnte man nur ein AKW auf eine Insel bauen??? Ich mache mir auch echt viele Sorgen um die Sicherheit dieser Anlage, v.a. wegen dem derzeitigen Jahrhundert-Hochwassers. In den allgemeinen Medien wird das Thema zurzeit total ausgeblendet. Seit 3 Monaten regnet es fast ununterbrochen. Wurden Vorkehrungen getroffen? Gibt es einen Not-Aare-Bypass? Auf Fotos kann man keine Ring-Schutzmauer sehen. Alles liegt offen Ich denke, das AKW Beznau ist zurzeit das allergrösste Problem, dass die Schweiz hat.

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