Kommentar

Sprachlust: Der Kader ist tot, es lebe die Kaderin

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Von den zwei Ländern mit besonderer Affinität zum Kader gibt es nur noch die Schweiz. Mit der DDR verschwand der Kader als Person.

Der Kader ist entlassen worden. Zur Beruhigung (oder Enttäuschung) von Schweizer Leserinnen: Nein, nicht das ganze Kader. Und für Deutsche sowie Österreicher: auch nicht der ganze Kader. Nein, nur «der Kader» als Einzelperson. Er figurierte mindestens von 1991 bis 1996 im Duden-Band Rechtschreibung, wo es in der Definition hiess: «ehem. in der DDR Stamm von besonders ausgebildeten Nachwuchs- bzw. Führungskräften; auch für Angehöriger dieses Personenkreises». Und jetzt ist er also weg, oder wenigstens ins Internet und mehrbändige Duden-Ausgaben verbannt; gedruckt gibt es im Normal-Duden nur noch das Kollektiv, und auf die DDR wird nur noch bei «Kaderleiter» verwiesen. Im Wahrig-Wörterbuch lebt das Kader-Individuum als «veraltet» weiter.
Im Übrigen sind Zusammensetzungen mit «Kader-» besonders häufig in der Schweiz zu finden, wie das Variantenwörterbuch des Deutschen (2004) festhält. Als Einzelperson ist der Kader für keine Region verzeichnet, und in der Schweiz ist er zum Glück nie heimisch geworden. Dabei hätte er sich gut vom Neutrum unterschieden, das wir fürs Führungskollektiv verwenden, wahrscheinlich gestützt aufs Lateinische quadrum, Viereck. Im französischen cadre für Rahmen ist es mit dem Maskulinum verschmolzen und als solches ins Deutsche gelangt.
Aus der DDR in die Schweiz
Im Westen des geteilten Deutschland war, wohl wegen des DDR-Geschmacks, der Kader – als Einzelner oder Gruppe – eher verpönt, jedenfalls abseits von Militär und Sport (die der Duden schon damals als besondere Verwendungsgebiete des Kollektivworts aufführte, wie er es bis heute tut). Von jenem Deutschen, der vor gut zwei Jahrzehnten in einem Schweizer Spital anheuerte und zu seinem Schrecken gleich zum Kaderrapport aufgeboten wurde, war an dieser Stelle schon einmal die Rede.
In einer mittleren Schweizer Zeitungsredaktion, ohnehin ein Nest von Individualisten, wäre es damals als Ungeheuerlichkeit erschienen, die grösseren und kleineren Chefs zusammen als Kader zu bezeichnen. Mit der zunehmenden Ausbreitung von Grossverlagen hielt dieser Sprachgebrauch aber bald einmal Einzug, nicht zum Nutzen des Betriebsklimas. Und damit folgten auch die helvetischen Kombinationen von Kader- und Ausbildung, Anlass, Beurteilung oder Selektion. Die betroffenen Personen indessen mutierten nicht selber zu «Kadern», sondern blieben «-Angehörige». Damit ist praktischerweise auch gleich die weibliche Form gegeben.
Mit Kaderinnen zum Erfolg?
Dagegen gehört zum Individual-Kader mittlerweile, vereinzelt und vor allem in Texten aus linker Feder im Internet, «die Kaderin» (Suchtipp: «Kaderinnen»). Vielleicht wurde sie aus der Rippe eines Kaders geschaffen, entnommen einem der letzten Exemplare vor der Verbannung aus dem Duden. Ihre Chancen, dereinst ebenfalls Aufnahme in die Rechtschreibebibel zu finden, sind nun freilich minim. Sie wirds zu verschmerzen wissen, wenn sie dafür in der Wirklichkeit immer häufiger auftreten darf.
Dabei helfen ihr gewiss die Studien, die hin und wieder vorrechnen, Firmen mit mehr Frauen im Kader seien wirtschaftlich erfolgreicher. Im – sprachlich oft leichtfertigen – Umgang mit solchen Statistiken wird daraus rasch die Analyse, diese Managerinnen brächten den Mehrgewinn. Es könnte freilich auch sein, dass in besonders beweglichen, neuerungsfreudigen Betrieben sowohl die Aufstiegschancen der Frauen als auch die Gewinnaussichten besser sind. Aufschluss könnte eine Studie geben, die den Firmenerfolg (im Branchenvergleich) vor und nach dem Aufstieg von Frauen ins höhere Kader misst. Sollten sich «weibliche» Führungsmethoden vermehrt durchsetzen, so würde vielleicht sogar der Ausdruck «Kader» – ein letztes Mal militärisch gesagt – ins zweite Glied zurückversetzt.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • am 7.09.2013 um 14:52 Uhr
    Permalink

    Danke, Herr Dr. Goldstein
    Meinen Horizont habe ich wieder erweitern können. Es ist immer wieder eine Freude,
    und keine Last, Ihre Sprachlust zu lesen.
    HPH

  • am 9.09.2013 um 15:53 Uhr
    Permalink

    Daniel Goldstein liegt sicher richtig, wenn er die Bezeichnung Kader für Einzelpersonen in der Schweiz ungebräuchlich hält. Mich beschleicht jedoch der Eindruck, dass er nicht weiss, wo der Kollektiv-Terminus herkommt und weshalb er in der Schweiz so verbreitet ist und noch lange gebräuchlich sein wird.

    Mit cadre wird seit der Erfindung und Einführung moderner standardisierter und formalisierter Kampfformationen im 17. Jahrhundert der «Rahmen» von Unteroffizieren und Offizieren genannt, welcher eine in Reih und Glied stehende Kampfformation umgibt und dirigiert. Im 19. Jahrhundert musste angesichts der zunehmenden Wirkung der Feuerwaffen auf offene Kampfweisen übergegangen werden. Le cadre blieb aber für die direkt mit der Truppenführung betrauten Unteroffiziere und Offiziere bestehen. Das militärische Milizsystem durchdrang bis vor kurzem die schweizerische (Männer-) Gesellschaft in hohem Ausmass und war offen für diese ehemals rein militärischen Kollektivbezeichnung des Führunspersonals. Die gesamte Offiziersausbildung der Schweizer Armee untersteht heute der seit 2004 bestehenden «Höheren Kaderausbildung der Armee – HKA» mit Sitz in Luzern.

    Rudolf Jaun

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