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Helmut Kohl und seine zweite Frau Maike Kohl-Richter © cc KAS

Zweimal Kohl

Heinz Moser /  Zwei Erinnerungsbände des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl machen in diesem Winter Furore.

Zum 25-jährigen Jubiläum des Mauerfalls darf die Stimme von Helmut Kohl, dem Kanzlers der deutschen Einheit, nicht fehlen. Doch seit einem schweren Sturz im Jahr 2008, der ein Schädel-Hirn-Trauma zur Folge hatte, sitzt Kohl im Rollstuhl. Die wenigen öffentlichen Auftritte zeigen, dass er sich nach Worten suchend und stammelnd kaum mehr verständlich machen kann.

Die «Deutungshoheit» der Ghostwriter

Es müssen deshalb andere übernehmen, den Altkanzler zu interpretieren. Der Kampf darüber wird mit dem schönen Wort der «Deutungshoheit» ausgefochten. Denn Heribert Schwan, der bereits drei Erinnerungsbände als Journalist und Ghostwriter von Kohl herausgebracht hatte, geriet beim vierten in Streit mit Kohl. Er wurde als Biograf entlassen und sollte die bestehenden Tonbandprotokolle zurückgeben. Um die Rolle der zweiten Frau von Kohl, der Schwan jede Intrige zutraut, kam dann auch der Begriff der Deutungshoheit ins Spiel. Im Vorwort des Buches von Heribert Schwan und Tilman Jens heisst es dazu: «Seine Frau, Maike Kohl-Richter, will sich augenscheinlich die alleinige Deutungshoheit sichern und die Gesprächsprotokolle möglicherweise für Jahrzehnte wegschliessen.»

Gegen den Willen von Altkanzler Kohl wollten dies die Journalisten verhindern und publizierten flugs die Kohl-Protokolle auf eigene Rechnung. Das «Vermächtnis» von Kohl ist als Titel in jeder Hinsicht zweideutig – denn Helmut Kohl lebt ja noch. Und dieses «Vermächtnis» ist auch klar gegen seinen Willen publiziert worden.

Zurück zum Stammtisch

Was zudem als Deutungshoheit inhaltlich das Buch prägt, sind Sottisen Kohls zu politischen Weggefährten: «Frau Merkel konnte ja nicht richtig mit Messer und Gabel essen.» «Blüm war immer ein Wackelpeter.» Oder die Charakterisierung der damaligen Familienministerin Rita Süssmuth: «die Schreckschraube, die sich wegen günstiger Todesfälle in der Frauenunion hochhievte ins Kabinett.»

Kein Wunder wurde das Buch zum Aufreger bei Freund und Feind. Aber inhaltlich bringt das wenig – zumal die Interviews kurz nach dem Spendenskandal der CDU von 1999 geführt wurde, in den Kohl zentral verstrickt war. Tief enttäuscht von seiner eigenen Partei hat er zu Worten gegriffen, die höchstens für den Boulevard interessant sind und von geschürten Emotionen leben. Inhaltlich wird man an Stammtischtiraden erinnert, wenn es zum Beispiel zum Engagement der Bürgerrechtler in der damaligen DDR heisst: «Es ist doch dem Volkshochschulhirn von Thierse (ehemals Bundestagspräsident) entsprungen, dass das auf den Strassen entschieden wurde».

Kohls Appell für Europa

Parallel zu den Kohl-Protokollen hat Helmut Kohl in diesem Herbst aber auch selbst einen Appell zu Europa veröffentlich. Er wollte damit wohl die Deutungshoheit über seine Vergangenheit zurückgewinnen – unterstützt von seiner vielgeschmähten zweiten Frau. Das Buch von Kohl ist ambitioniert. Kohl schreibt seinen heutigen Politikerkollegen ins Stammbuch, dass Politik mit Mut und Entschiedenheit vorangehen müsse. Seine Sorge ist es, dass das von ihm und dem damaligen französischen Präsidenten François Mitterand aufgegleiste Projekt Europa von den Nachfolgern vertan werde. Nicht gut zu sprechen ist er auf die ihm nachfolgende rot-grüne Regierung. Und zur heutigen Ukraine-Krise meint er: «Zum Verhalten Russlands und der Situation in der Ukraine kann der Westen natürlich nicht schweigen, aber auch der Westen hätte sich klüger verhalten können». Nur fehlen konkrete Vorstellungen, wie das zu verwirklichen wäre – ausser, dass die Ukraine aufpassen müsse, nicht alles zu verlieren, was «wir» schon einmal erreicht haben. So bleibt der Appell für Europa weitgehend auf plakative Appelle beschränkt.

Schrittchen- und schnipselweise die Dinge zu betrachten, das dürfte mit der Methode zur Abfassung des Buches zusammenhängen, über die Maike Kohl-Richter bei der Buchpremiere berichtet hat. Sie erklärt gemäss der WELT, dass Kohl nicht mehr so diktieren könne wie früher. «Mein Mann hat das im Kopf. Ich gehe dann in die Archive und such› ihm raus, was er im Kopf hat. Dann lege ich ihm schrittchenweise die Dinge vor, dann redigiert er wie früher.»

So bleibt es bei sentenzenhaftem Pathos: «Ziel muss ein vereintes, am Subsidiaritätsprinzip orientiertes, bürgernahes, demokratisches und handlungsfähiges Europa auf föderaler Grundlage bleiben.» Oder an einer anderen Stelle: «So muss die Politische Union, mit der das Erreichte politisch abgesichert wird, zwar zügig wieder auf die Tagesordnung der EU gesetzt werden.»

Europa mit Rezepten der Vergangenheit beleben?

Das ist alles nicht falsch. Aber ob man Europa mit jenen Rezepten der Vergangenheit vorwärts bringen kann, die Helmut Kohl bis heute vertritt, muss bezweifelt werden. Bei beiden Büchern geht angesichts des Kampfes um die Deutungshoheit über die Kohl-Ära eine fundierte Analyse der Gegenwart verloren, die sich nicht in der persönlichen Abrechnung mit den damaligen Gegnern des Altkanzlers erschöpft. Zwar gefällt der eigene Appell Kohls wesentlich besser als das Vermächtnis der Protokolle. Trotzdem: Ziemlich überflüssig sind beide Bücher.

Bezugsquellen für die zugrunde liegenden Bücher:

Helmut Kohl, Aus Sorge um Europa. Ein Appell. München 2014, Fr. 19.90

Heribert Schwan, Tilman Jens, Vermächtnis . Die Kohl-Protokolle. München 2014, Fr. 29.90


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Eine Meinung zu

  • am 28.12.2014 um 14:05 Uhr
    Permalink

    Bei beiden Büchern geht angesichts des Kampfes um die Deutungshoheit über die Kohl-Ära eine fundierte Analyse der Gegenwart verloren! Ist dem wirklich so, ist die Gegenwart besser als die Vergangenheit? Können wir aus der Vergangenheits nichts mehr lernen? Wer die Vergangenheit nicht versteht, kann die Zukunft nicht deuten!

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