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Alf Arnold, Grünen-Landrat und Alpenschutz-Vertreter © Screenshot SF

«Wer verlagern will, muss in Schiene investieren»

Urs Zurlinden /  Alf Arnold, Geschäftsführer der Alpeninitiative, über die zweite Gotthard-Röhre und den fehlenden Verlagerungs-Willen der Politik.

Herr Arnold, was halten Sie von Doris Leuthard?

Alf Arnold: Doris Leuthart hat mich sehr überrascht mit ihrem Entscheid über den Atomausstieg. Nun hoffe ich, dass sie bei der Sanierung des Gotthard-Strassentunnels ebenso viel Mut für eine umweltverträgliche Lösung aufbringt.

Hört die Verkehrsministerin auf den Chef-Lobbyisten des Alpenschutzes?
Das werden wir sehen. Im Zusammenhang mit der Alpentransit-Börse war unser Lobbying im Parlament offenbar besser als bei Bundesrat und Verwaltung: Beide, Nationalrat und Ständerat haben eine Motion für eine Alpentransit-Börse beschlossen, die der Bundesrat nicht haben wollte.

Noch vor den Sommerferien wird Leuthard im Bundesrat Vorschläge einbringen, wie der Gotthard-Strassentunnel dereinst saniert werden könnte. Was erwarten Sie?
Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten: Der Bundesrat kann entscheiden, dass nur die Grundrichtungen festgelegt werden; er kann eine Vernehmlassung beschliessen mit Varianten; oder er kann bereits einen Entscheid treffen: Wenn der Bundesrat keine zweite Röhre will, kann er die Sanierung selber und ohne Parlament beschliessen.

Auguren gehen davon aus, dass Leuthard eine zweite Tunnelröhre vorschlagen wird.
Ja, das hört man überall! Aber wir wissen nichts sicher – und Bundesrätin Leuthard wird ja nicht alleine entscheiden…

…aber sie wird im Bundesrat wohl den Ausschlag geben pro oder contra zweite Röhre?
Das könnte sein. Bei der heutigen Konstellation könnte es eine Pattsituation mit drei zu drei Stimmen geben – und sie könnte dann den Stichentscheid geben.

Eine zweite Röhre wäre, warnt Ueli Stückelberger vom Verband öffentlicher Verkehr, «ein fatales Signal für Brüssel». Warum denn?
Ein solcher Entscheid könnte der EU zu verstehen geben, dass die Schweiz eben längerfristig doch nicht auf die Schiene, sondern wieder auf die Strasse setzen will. Das wäre ein völlig falsches Signal.

Die Sanierung des Gotthardtunnels wird in spätestens 15 Jahren fällig. Reicht diese Zeit überhaupt für den Bau einer zweiten Röhre?
Gemäss den Studien des Bundesamtes für Strassen reicht diese Zeit nicht. Es müsste eine Notsanierung stattfinden, um den Tunnel einige Jahre länger sicher betreiben zu können. Diese Notsanierung würde ebenfalls eine totale Schliessung des Tunnels während 140 Tagen bedingen – dann allerdings ohne ein Ersatzangebot auf der Schiene.

Die Alternative wäre eine zeitlich befristete Verlagerung des Strassenverkehrs auf die Bahn – also ein Provisorium?
So ist es vorgesehen. Das heisst aber nicht, dass alle Investitionen später verloren wären: Gerade wenn eine lange Rollende Landstrasse von Basel nach Chiasso oder sogar von Deutschland nach Italien eingerichtet würde, könnten die entsprechenden Terminals auch nachher weiter verwendet werden. Für die befristete Lösung wären sicher auch neue LKW-Verladeterminals in Erstfeld und Biasca zu bauen und der Autoverlad durch den alten Bahntunnel auszubauen.

Das ist viel Aufwand für drei Jahre.
Das ist viel Aufwand, aber unter dem Strich immer noch deutlich billiger als der Bau einer zweiten Röhre. Zudem ist zu bedenken: Eine zweite Röhre wird 25 bis 40 Millionen Franken Unterhalt pro Jahr kosten. Und wenn dann in 50 Jahren eine weitere Totalsanierung nötig ist, dann werden zwei Röhren zu sanieren sein und nicht nur eine.

Das Provisorium kostet fast 1 Milliarde Franken, eine zweite Röhre rund 2,1 Milliarden. Wäre so gesehen ein neuer Strassentunnel nicht eine nachhaltige Lösung?
Nachhaltig ist diese Lösung nur dann, wenn man den Strassenverkehr will. Wer aber den Verkehr auf die Schiene verlagern will, der muss in die Schiene investieren und nicht in die Strasse.

Eine Tunnelsanierung ohne wirksamen Ersatz würde eine Verkehrslawine auf die San-Bernardino-Route auslösen – ein klassisches Schwarz-Peter-Spiel?
Das wäre nur dann der Fall, wenn die Kapazitäten des Autoverlades für die PWs und der Rollenden Landstrasse für die LKWs nicht genügen würden. Es gibt aber mehrere Studien des Bundes, die zeigen: Es ist möglich, im verkehrsarmen Winterhalbjahr sämtliche Personenwagen und das ganze Jahr über sämtliche Lastwagen zu verladen – und zwar selbst wenn das Verlagerungsziel noch nicht erreicht sein sollte, also immer noch über eine Million Lastwagen unterwegs sind anstatt eine halbe Million, wie es das Gesetz verlangt.

Was würden Sie für die Dauer der Tunnelsanierung vorschlagen?
Unser Konzept ist im Prinzip jenes des Bundes. Allerdings schlagen wir vor, die Bauarbeiten auf das Winterhalbjahr zu beschränken und den Tunnel im Sommer wieder freizugeben. Für die Lastwagen schlagen wir eine geteilte Lösung mit einer langen Rollenden Landstrasse von Basel nach Chiasso und einer kurzen von Erstfeld nach Biasca vor mit je zwei Zügen pro Stunde und Richtung. So liessen sich die Terminals in den Alpen klein halten.

Und diese Kapazitäten würden genügen?
Dieses Modell würde ermöglichen, mehr als eine Million Lastwagen zu transportieren. Gleichzeitig wäre der Halbstunden-Takt im Personenverkehr, wie er vom Kanton Tessin gefordert wird, ebenfalls möglich.

Gemäss verlässlichen Prognosen wird sich der Lastwagenverkehr in den kommenden 20 Jahren verdoppeln. Einverstanden?
Das hat sehr viel damit zu tun, was in den nächsten Jahren wirtschaftlich geschieht und was mit unserer Umwelt geschieht: Stichwort Klima, Stichwort Erdölverfügbarkeit. Fehlt billiger Diesel, wird man sich darauf besinnen, die Transporte wieder zu reduzieren und das benötigte Material aus der Nähe zu beschaffen anstatt es Tausende von Kilometern zu transportieren.

Eigentlich wäre der LKW-Verkehr seit dem Ja zur Alpeninitiative 1994 radikal auf die Schiene zu verlagern. Ein Wunschtraum?
Die vom Volk angenommene Verfassung schreibt eine Verlagerung innerhalb von zehn Jahren vor. Das wäre also bis 2004 gewesen. Dann wurden wir auf die Fertigstellung des Lötschberg-Basistunnels vertröstet und dann auf die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels. So kann es natürlich nicht weiter gehen. Das Problem ist nicht die Infrastruktur, sondern das entsprechende Verkehrslenkungs-Instrument.

Das Nein des Bundesrates gegen die Alpeninitiative hatte der damalige SVP-Verkehrsminister Adolf Ogi zu vertreten – auch er war ein Bergler…
…und dieser Bergler sagt inzwischen, heute würde er wahrscheinlich der Alpeninitiative zustimmen.

Für SVP-Nationalrat und Transportunternehmer Ulrich Giezendanner ist klar: «Es gibt gar keine Verlagerung». Wie kontern Sie?
Wenn man nicht verlagern will, dann gibt es die Verlagerung auch nicht. Ulrich Giezendanner und seine Partei tun alles, um die entsprechenden Verlagerungsinstrumente zu verhindern. Damit verstösst die Volkspartei gegen einen Volksentscheid und gegen die Verfassung.

Letztes Jahr fuhren erneut deutlich mehr als die anvisierte Million Lastwagen über die Alpen. Versagt der Alpenschutz?
Das Problem ist, dass das Parlament selber im Güterverlagerungs-Gesetz festgehalten hat, die Alpentransitbörse dürfe nur in Absprache mit dem Ausland eingeführt werden. Bei dieser Ausgangslage muss sich das Ausland überhaupt nicht bewegen. Würde diese Passage im Gesetz gestrichen, sodass die Schweiz die Alpentransitbörse auch ohne Absprache mit dem Ausland einführen könnte, dann wären diese Länder zu Verhandlungen mit der Schweiz und zu entsprechenden Konzessionen gezwungen.

Wer auf dem Weg in die Sommerferien im Gotthard-Stau steht, wünscht sich eine zweite Röhre. Verstehen Sie das?
Eine zweite Röhre ohne Kapazitätserweiterung, wie es die Verfassung vorschreibt, wird die Staus nicht verringern. Die Staus liessen sich aber massiv reduzieren, wenn wir konsequent alle Lastwagen mit Fahrverboten aus dem Tunnel ausschliessen würden. Damit würde gleichzeitig die Sicherheit im Tunnel massiv verbessert.

Wo machen Sie Sommerferien?
Während über zehn Jahren machten wir immer im benachbarten Goms und in den letzten drei Jahren per Zug und Schiff in Kroatien Ferien, diesmal fliegen wir in die USA. Wahrscheinlich sind es die letzten Sommerferien, welche die ganze Familie gemeinsam verbringt.

Und wie reisen Sie dort herum?
Leider nicht mit dem Zug, wie wir das sonst immer machen, sondern mit einem Camper.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine. Gekürzte Fassung eines Interviews, das am 25. Juni in der Südostschweiz erschienen ist.

Zum Infosperber-Dossier:

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Auto oder Bahn: Wer zahlt Defizite?

Wer subventioniert wen und wieviel? Kann oder soll man Pendler zur Kasse bitten?

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Eine Meinung zu

  • am 27.06.2012 um 23:21 Uhr
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    Die Würfel sind in gefallen, da gibt es kein zurück mehr, die zweite Röhre kommt laut Bern bestimmt. Also was tun ? Das Volk welches dagegen ist und die Verbände sollten sich im Vorfeld (bis zur Abstimmung), nun pragmatisch und schnell vorbereiten.

    Um auch ein „Ja aber“ und nicht nur ein (nach dem Sinneswandel von Bern, nun riskantes) „Nein“ an der Urne zu ermöglichen, hier ein Paar (zugegeben noch etwas unausgegorene) Ideen.

    1. Eine alternativ Idee wäre die 2. Röhre komplett von Private Investoren (oder zu 49% Privat und 51% vom Staat und Kantonen finanzierte), erstellen zu lassen die dann eine hohe Gebühr (nach dem italienischen Autobahnen System) für die durchfahrt erheben dürfen.
    2. Während der Sanierung des alten Gotthard Tunnels wäre der Bund dann ein befristeter und zahlender „Mieter“ dieser Anlage.
    3. Um nicht mehr Verkehr aus dem Ausland anzuziehen wäre dann die alte Gotthard Röhre nach der Wiedereröffnung auch Gebührenpflichtig (nur fr. 25.- z.B., die Pass durchfahrt wäre weiterhin gratis), und nur noch für den PW Verkehr geöffnet. Der Schwerverkehr müsste zwingend durch die neue (teurere) Röhre, oder eben wenn dies unerwünscht ist (was der Zweck der Übung ist), günstiger mit der neu erstellten Bahn, reisen müssen.

    Der erfolgreiche Franz Weber (mit seiner Zweitwohnung Initiative), auch für dieses ansinnen mobilisieren. Die Frage ist nur ob Brüssel da auch wieder mitreden darf … !

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