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Rechtspopulist im Weissen Haus. Linkspopulist am beliebtesten. © Fox News

Der Populismus ist tot. Es lebe der Populismus.

Lotta Suter /  Populismus ist in den USA kein Schimpfwort. Volkes Stimme meldet sich von links wie rechts und häufig aus der «radikalen Mitte».

«Freunde, der Populismus ist wahrhaftig, offiziell, unleugbar tot», klagte die US-Journalistin Catherine Rampell Ende Jahr in der Washington Post. «Zeitpunkt des Ablebens: Samstag, 2. Dezember 2017, kurz vor 2 Uhr morgens.» Das ist der Moment, in dem der US-Senat der äusserst unpopulären Steuerreform zustimmte. Präsident Trump lobte den politischen Entscheid und damit die massive Umverteilung von Kapital von unten nach oben, von arm zu reich, vom Volk zur wirtschaftlichen Elite.

Brot und Spiele

Man kann Donald Trumps Wandlung vom reaktionären volksnahen Kandidaten zum superreaktionären Neoliberalisten als Schlusspunkt der populistischen Bewegungen werten, die in den USA nach der grossen Wirtschaftskrise vor zehn Jahren entstanden sind. Ein Dämpfer für die Tea Party und ihre «Rebellion gegen die Eliten», die letztlich zur Wahl des Rechtspopulisten Trump geführt hat. Eine ernüchternde Niederlage auch für die Occupy Bewegung, die den überraschenden Achtungserfolg des linkspopulistischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders mitvorbereitete.
Doch der Populismus ist in den USA nicht wirklich tot. Präsident Trumps Wirtschaftspolitik bevorzugt zwar die wenigen Superreichen. Doch er bedient seine Basis weiterhin mit rassistischen, sexistischen, nationalistischen, fremdenfeindlichen und anti-intellektuellen Stammtischsprüchen und Schikanen. Das Volk, gemeint sind vorab die weissen heterosexuellen Christen, soll sich mit Brotkrumen und Schauspielen zufriedengeben, während die Elite schamlos prasst. Diese Art Rechtspopulismus hat zurzeit auch ausserhalb den USA bedrohlich viel Zulauf.

Ein progressiver Populismus

Eher US-spezifisch ist das gegenwärtige Erstarken von linkspopulistischen Positionen. Es ist nach den letzten Wahlen nicht mehr zu übersehen, dass ein grosser Teil der US-Bevölkerung mehr will als die Wahl zwischen republikanischer und demokratischer Partei, zwischen Neoliberalismus und Neoliberalismus light. Es braucht eine fortschrittliche Politik, die klar und deutlich die Interessen des Volkes gegen die Spezialinteressen der Elite verteidigt. Und zwar die Interessen der gesamten Bevölkerung, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung. Die feministische US-Philosophin Nancy Fraser kommt in einem langen Essay über die Zukunft nach Trump zum Schluss: «Der progressive Populismus ist vielleicht bloss eine Übergangsstation auf dem Weg in eine neue post-kapitalistische Gesellschaft», schreibt sie in der Politzeitschrift American Affairs, «doch wenn wir diese Option nicht verfolgen, verlängern wir bloss das bestehende Interregnum.» Eine unheilvolle Zwischenzeit, in der die Leute immer ärmer und kränker, ungebildeter und unsolidarischer werden.

Warnen und beschleunigen

Diese Hoffnung auf einen fortschrittlichen Populismus speist sich unter anderem aus rund 130 Jahren Geschichte, in denen populistische Bewegungen, Parteien und Personen von links, rechts und aus der «radikalen Mitte» fester Bestandteil der US-amerikanischen Politik gewesen sind. «Populists» nannten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts als erste die Farmer im Westen, die sich gegen die Wirtschaftspolitik der Banken und Zulieferer an der Ostküste zur Wehr setzten. Die Bewegung war kurzlebig. Ein Teil ihrer Forderungen wurde von den etablierten Parteien aufgenommen. Bemerkenswert ist, dass diese frühen Linkspopulisten bereits Anstrengungen machten, auch Afroamerikaner und Frauen in ihre Reihen aufzunehmen.
Wenn die herrschenden politischen Werte und die Ängste, Hoffnungen und Sorgen eines breiten Teils der Bevölkerung nicht übereinstimmten, tauchten in den USA jeweils populistische Bewegungen auf. Als frühe Warnung vor einer politischen Krise oder als Katalysator für die etablierte Politik. Es bedeutet eine Zuspitzung der Krise des US-amerikanischen Politsystems, dass im letzten Herbst ein bekennender Rechtspopulist die Präsidentenwahl gewann. Und dass der Linkspopulist Bernie Sanders heute als mit Abstand beliebtester Politiker der USA genannt wird.

«Wir, das Volk»
Die Verfassung der USA beginnt nicht wie in der Schweiz mit den hehren Worten «Im Namen Gottes des Allmächtigen». In der amerikanischen Konstitution aus dem Jahr 1787 steht als erstes selbstbewusst «Wir, das Volk». Allerdings einigten sich die dreizehn Gründerstaaten schnell darauf, dass bloss weisse Männer zu diesem Volk gehören und somit Bürgerrechte haben sollen. 1857 versuchte der Sklave Dred Scott gegen seinen Sklavenhalter zu prozessieren, um die Freiheit zu erlangen. Doch das Oberste Gericht entschied, ein «Neger» – selbst, wenn er in den USA geboren ist – könne prinzipiell keine Rechte haben, «die ein Weisser respektieren muss». 1872 wurde die Frauenrechtlerin Susan Anthony wegen «krimineller Stimmabgabe» verurteilt und gebüsst. Erst im 20. Jahrhundert wurden die politischen Rechte allmählich auch auf Frauen, Afroamerikaner und auf die indigene Bevölkerung des Landes, die Native Americans, ausgedehnt. Doch bis heute versucht die politische Rechte in den USA, ethnische Minderheiten vom Wählen abzuhalten. Die elf Millionen Menschen, die als Sans Papiers in den USA leben, arbeiten und Steuern zahlen, besitzen gar keinerlei politische Rechte.
Diese Kürzestgeschichte der USA illustriert zwei Punkte, die für ein Verständnis des US-amerikanischen Populismus wichtig sind. Erstens nimmt das Volk, das heisst die individuellen Bürgerinnen und Bürger, seit jeher eine zentrale Rolle in der US-Politik ein, noch vor den Parteien, Institutionen und föderalistischen Strukturen. Und zweitens ist das «Volk» seit Gründung der USA eine unbeständige Grösse. In Politik, Kultur und Wirtschaft wird bis heute ausgehandelt, wer zu diesem Volk gehört und wer nicht.

Politik für das Volk

Nicht immer waren und sind populistische Gruppierungen in den USA klassisch links oder rechts einzuordnen. «Populismus ist keine Ideologie, sondern eine politische Logik – eine bestimmte Art, Politik zu denken», schreibt der Publizist und Philosoph John Judis in seinem 2016 erschienenen Buch «The Populist Explosion», in dem er untersucht, wie die Wirtschaftskrise von 2008 die politische Landschaft in den USA und in Europa verändert hat. Und dann liefert der Autor trotzdem eine nützliche – und doch ideologische? – Unterscheidung: Der Linkspopulismus betreibt eine vertikale Politik, in der die unten und in der Mitte sich gegen die ganz oben wehren. Der Rechtspopulismus hingegen stellt das Volk gegen eine Elite, die er dann beschuldigt, eine dritte Gruppe zu verhätscheln und zu verwöhnen: zum Beispiel Immigrantinnen, Muslime oder Fürsorgeempfängerinnen. Der Linkspopulismus ist zweiteilig. Der Rechtspopulismus ist dreiteilig, er schaut nach oben, aber gleichzeitig auch herab auf eine «Outgroup», eine Fremdgruppe.
Die Schwäche des Populismus ist seine Anfälligkeit für solche Sündenbockpolitik. Seine Stärke ist es, offene Konflikte und auch latente Spannungen nicht mit voreiligen Kompromissen zu übertünchen, sondern klar zu benennen. Aktuell ist das die Krise des Neoliberalismus und die Notwendigkeit einer politischen Alternative für das Volk. Für das ganze Volk.

Dieser Text erschien erstmals in Amnesty – Magazin der Menschenrechte.


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2 Meinungen

  • am 12.03.2018 um 17:23 Uhr
    Permalink

    Populismus – das neue Feindbild unserer Eliten

    Sogenannte Populisten stellen die politische Themensetzung und Deutungshoheit der Hauptstrom-Journalisten, Politiker und Kulturgrössen (Eliten) infrage. Wo die dringende Lösung politischer Probleme verschleppt wird oder Probleme verharmlost werden, reagieren diese „Populisten“ und ihre Anhänger verständlicherweise verärgert. Ihr Ärger ist als Aufruf zum Handeln für die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen zu verstehen. Da sie diesen Ärger heute auf den sozialen Medien verbreiten können statt wie früher die Faust im Sack zu machen, meinen unsere Eliten, diese Sorte Leute an den Pranger stellen zu müssen.

  • am 13.03.2018 um 13:26 Uhr
    Permalink

    "Populismus» als Begriff und als Benennung, sind immer nur subjektive Wertungen. Was der einen Person als «populistisch» gilt, ist es bei anderen Personen gar nicht und umgekehrt. Der Begriff an sich, ist «Gummi» und es gibt keinerlei «neutrale» DIN-Norm oder Festlegung, was eigentlich was ist. Dazu fliessende Grenzen, ab wo es angeblich oder tatsächlich zum «Rassismus» weitergeht oder seltsamerweise auch nur zum «Rechtsradikalismus» gehen soll aber – zumindest in Europa – fast nie in Richtung «Linksradikalismus» hin.

    Das gibt zu denken. Auch Menschen, die sich in der Politik eigentlich ziemlich neutral und ungebunden sehen, sehen sich plötzlich als «Populist» beschimpft, nur weil sie mal irgendwas äußern, was gegenteilig denkende andere Mitbürger gleich ärgert.

    Eigentlich müsste man doch JEDEN und JEDE «Populist» nennen, die in Reden versuchen, anderen Leuten ihre Auffassungen aufzupfropfen, ganz egal wie «lechts oder rinks» diese formuliert sind. Die Kaiser Wilheim II und Franz-Josef, waren 1914 «Populisten» als sie ihre «Völker» auf den Weltkrieg einschworen. Lenin und Stalin, waren zweifellos «Populisten» und Adolf Hitler erst recht. War denn Mao in China, kein «Populist"? Was war mit der SED-Leitung der DDR? Wäre die Mauer 1989 so überraschend «gefalllen» wenn nicht ein SED-Funktionär (Schabowski) vor großer Medienversammlung, einen «populistischen Anfall» bekam und darin dann wohl ungeplant die Mauer öffnete? «Populismus» muß also nicht unbedingt SCHLECHT sein!

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