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Die türkische Kampfdrohne FB2 2015 beim Abschuss der ersten Rakete (Videoscreenshot) © Baykar Industries

Türkei holt bei der Herstellung von Killerdrohnen auf

D. Gschweng /  Neben den USA nutzen inzwischen sieben Länder Drohnen, um zu töten. Die Türkei setzt sie gegen die eigene Bevölkerung ein.

Im Dezember 2001 feuerte die erste Predator-Drohne eine Rakete auf fliehende Talibankämpfer ab. Drei Monate nach 9/11 begann damit das Zeitalter der Killerdrohnen oder das «zweite Drohnenzeitalter». Die unbemannten Flugzeuge beschränkten sich nicht mehr aufs Beobachten, sie griffen an. Heute, 18 Jahre später, ist der lautlose Tod aus der Luft kein Privileg der USA mehr. Drohnen fliegen und töten überall.

«Wir sind weit über den Zeitpunkt hinaus, in der die Verbreitung von bewaffneten Drohnen in irgendeiner Weise kontrolliert werden kann», erklärt Chris Woods, Journalist und Leiter der der britischen Organisation «Airwars», dem «Intercept». «Airwars» verfolgt seit mehr als zehn Jahren den Luftkrieg in Konfliktzonen wie Irak und Syrien anhand öffentlich zugänglicher Quellen und dokumentiert, wer welche Angriffe fliegt.

Der Drohnenkrieg wird lokaler

Acht Staaten haben seit 2015 mit Drohnen getötet. Neben den USA gehören dazu
Grossbritannien,
Pakistan,
Saudi-Arabien,
die Vereinigen Arabischen Emirate
Ägypten,
Nigeria und die
Türkei.
Nichtstaatliche Organisationen wie der «Islamische Staat», die PKK und vermutlich die jemenitischen Huthi-Rebellen haben es zumindest versucht. Etwa ein Dutzend Länder verfügen über die entsprechende Technologie. Die Türkei ist das einzige, das bewaffnete Drohnen auf eigenem Boden einsetzt. Das Land ist dabei, die USA und Grossbritannien als Hersteller und Nutzer von Killerdrohnen einzuholen.

Von der türkischen Bevölkerung wird das mehrheitlich begrüsst. Kriegsdrohnen sind nicht nur eine Prestigewaffe, sie bringen der Regierung auch entscheidende Vorteile im Kampf gegen die PKK. Aus eigener Sicht reiht sich die Türkei damit unter den technologisch führenden Ländern ein.

Der Mann, der die Drohne in die Türkei brachte

Selçuk Bayraktar, der «Vater» der türkischen Drohnenlinie, wird im Land verehrt wie ein Held. 2005 stellte der damals 26-jährige Elektroingenieur und Doktorand am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) die erste selbstentworfene Drohne in der Türkei vor. Ein Jahr später orderte das türkische Militär 19 Minidrohnen bei Bayraktars Vater, dessen Unternehmen ursprünglich Autoersatzteile hergestellt hatte. 2007 kehrte der junge Ingenieur in die Türkei zurück

In der Türkei waren zu dieser Zeit ausschliesslich Aufklärungsdrohnen aus den USA im Einsatz. Sie lieferten Videos vom Geschehen am Boden. Der Türkei eine bewaffnete Drohne zu verkaufen, schlossen die USA aus Sicherheitsgründen aus. 2015 stellte Bayraktar die erste bewaffnete Drohne vor. Die Eigenentwicklung namens TB2 war mit einer türkischen Lenkrakete bestückt und konnte aus vier Kilometern Höhe ein acht Kilometer entferntes Ziel treffen. Im gleichen Jahr heiratete er Erdogans jüngste Tochter. Sein Unternehmen Baycar wurde Marktführer für Militärtechnologie in der Türkei.

Fast täglich ein Drohneneinsatz

Heute hat die türkische Armee mindestens 75 TB2-Drohnen im Einsatz, die monatlich auf etwa 6’000 Flugstunden kommen. Fast täglich beschiesst eine Drohne ein Ziel oder liefert Daten, damit es von einem bemannten Flugzeug oder einem Hubschrauber aus beschossen werden kann.

Nach offiziellen Angaben haben TB2-Drohnen allein zwischen Januar und April 2018 im Nordwesten Syriens 449 Menschen direkt getötet. Andere Ziele lagen im nördlichen Irak, wo die Türkei unter anderen einen bekannten PKK-Führer tötete. Die Einsätze sind populär. Videos davon wurden im nationalen Fernsehen gezeigt, einige Drohnen signierte Erdogan selbst. Zu einem besonders heftigen Angriff in der syrischen Provinz Afrin gibt es sogar ein Smartphone-Spiel, in dem der Spieler eine Drohne steuern kann.

Mindestens 400 Tote auf türkischem Boden

TB2-Einsätze im Landesinneren finden ebenfalls breite Zustimmung. Seit die Türkei 2016 zur Drohnenmacht aufgestiegen ist, starben auf türkischem Boden mindestens 400 Personen durch direkte oder mittelbare Angriffe. Die Toten sind gut dokumentiert, denn die türkische Regierung ist stolz darauf.

Eine Transparenz, welche die US-Regierung zunehmend vermissen lässt. Andere Probleme gleichen sich. Der technologische Aufstieg der Türkei ist keine gute Nachricht für die Menschenrechtslage im Land. Da spielt es auch keine Rolle, ob der Tod aus der Luft bejubelt oder wie in den USA eher als notwendiges Mittel abgenickt wird. Nicht jeder, der von einer Drohne getötet wird, ist ein PKK-Terrorist. Mitunter hatte er nur das Pech zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Einer der am besten dokumentierten Fälle geschah im August 2017 in der Provinz Hakkari, nahe der irakischen Grenze. Eine Drohne beschoss vier bewaffnete Personen, die in einem Pick-Up am Dorf Ogul vorbeifuhren. Sie hatten angehalten, um vier Dorfbewohner zu befragen, die unter einem grossen Baum sassen und wollten gerade weiterfahren, als die Bombe einschlug. Die vier Dorfbewohner hatten kurz zuvor einen der dort häufigen Checkpoints passiert, ihre Identität wurde dabei eindeutig festgestellt.

Die Provinzregierung gab anschliessend bekannt, «vier PKK-Mitglieder» seien von einer Bayraktar-Drohne «neutralisiert» worden. Dazu seien drei «Kollaborateure» verletzt worden, ein weiterer sei seinen Verletzungen erlegen. Die PKK gab später bekannt, eines ihrer Mitglieder sei an diesem Tag in Hakkari getötet worden. Der getötete Dorfbewohner Mehmet Temel war ein einfacher Bauarbeiter. Sein Bruder Tahir weiss bis heute nicht, weshalb der Drohnenangriff stattgefunden hat. Weder sein Bruder noch seine drei Freunde, dessen ist er sich sicher, hatten mit der PKK zu tun.

Ein anderer Krieg, die gleichen Argumente

Zwei der Verletzten wurden noch im Spital verhaftet und wegen Mitgliedschaft in der PKK verurteilt. Der dritte Überlebende ist wegen Terrorismus angeklagt. Sezgin Tanrikulu, ein Angehöriger der türkischen Oppositionspartei CHP, hielt eine Pressekonferenz ab, in der er darauf bestand, die vier Männer seien Zivilisten. «Bewaffnete Drohnen schiessen auf Terroristen», beschied ihm Erdogan. Von einem Oppositionspolitiker würde sich seine Armee nicht stoppen lassen.

Wer von einer Drohne getötet wird, ist also per Definition ein Terrorist, selbst im eigenen Land. Das gleicht den Aussagen der USA, die sich mit Opfern, die keine «feindlichen Kämpfer» waren, sehr schwertut (Infosperber: «Im Drohnenkrieg der USA gilt die Schuldvermutung»).


Gebiete, auf denen die Türkei (dunkelrot) bereits bewaffnete Drohnen eingesetzt hat (hellrot) (The Intercept)

Die Türkei setzt die bekannten Argumente durch, nur mit härteren Mitteln. Wer Killerdrohnen kritisiert oder sich in Menschenrechtsfragen engagiert, beleidigt den Nationalstolz. Er kommt leicht in den Verdacht, auf Seite der PKK zu stehen. Dem kurdischen Juristen Tanrikulu wurde eine behördliche Untersuchung angedroht. Eine Gruppe von Menschenrechtsanwälten, welche die Hinterbliebenen befragte, um den Luftschlag zu dokumentieren, sah sich mit einer Anklage wegen Beleidigung der türkischen Nation konfrontiert. Andere Politiker, die sich äusserten, wurden mit Anklagen eingedeckt und teilweise zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Der Präsident der türkischen Menschenrechtsgesellschaft Ozturk Turkdogan hat dazu eine feste Meinung: «Nennen Sie sie, wie sie wollen. Ob ‹Predator› oder ‹bewaffnete Drohne›, die Art, in der sie verwendet werden, sollte per internationalem Recht verboten werden», sagt er. Seine Organisation versucht, die zivilen Opfer von Drohneneinsätzen zu dokumentieren. Dabei ist sie weitgehend auf Aussagen von Opfern und Angehörigen angewiesen. Mit der Transparenz der türkischen Regierung ist es in dieser Hinsicht nicht so weit her.

Manchmal fliegt nicht einmal mehr ein Staat

Das zweite Drohnenzeitalter geht derweil in die nächste Phase. Von der Türkei aus verbreitet sich Drohnentechnologie in weitere Länder. Im Januar kündigte Petro Poroshenko, der inzwischen abgewählte Präsident der Ukraine, eine Bestellung von zwölf TB2-Drohnen aus der Türkei an. Pakistan und Katar sind ebenfalls interessiert.

Auch nichtstaatliche Organisationen versuchen technologisch mitzuhalten, wenn auch bisher auf niedrigem technischen Niveau. Nach Informationen der Investigativplattform «Bellingcat» setzt die PKK seit einiger Zeit bewaffnete Drohnen ein. Im Dezember 2018 führte sie in der türkischen Stadt Sirnak ein Attentat durch, bei dem niemand verletzt wurde. Von den zehn handelsüblichen Drohnen, die mit Sprengstoff und Nägeln bepackt waren, explodierten sieben nicht.
Der IS hat laut «Bellincat» im Jahr 2017 mehr als 200 Drohnenangriffe mit frei verkäuflichen Drohnen durchgeführt, die mit Handgranaten bestückt waren.

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Mehr Informationen im Infosperber-Dossier
«Angriffe mit unbemannten Drohnen»

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Angriffe mit unbemannten Drohnen

Sie sollen Terroristen treffen, möglichst keine Zivilisten. Sie schaffen Feinde und sind oft rechtswidrig.

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Eine Meinung zu

  • am 4.06.2019 um 12:40 Uhr
    Permalink

    In Ihrer Liste haben Sie einen Pionier der Drohnen-Industrie und einen Hauptbenutzer dieser Waffe gegen eine Zivilbevölkerung vergessen: ISRAEL !!

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