Kommentar

kontertext: Deal

Ariane Tanner © A.T.

Ariane Tanner /  Abkommen, Übereinkunft, Vertrag oder Kompromiss – heute heisst alles «Deal». Wann wurde Demokratie in Business übersetzt?

Der Schreck fuhr Tony Schwartz in die Glieder: Soeben hatte Donald Trump seine Kandidatur für das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten bekanntgegeben und damit begründet, dass «ein Führer gebraucht wird, der «The Art of the Deal» verfasst hatte» (The New Yorker, 18. Juli 2016). Schwartz war der Autor bzw. Ghostwriter des Bestsellers aus dem Jahr 1987 und sich gleichzeitig ganz sicher, dass nicht er selbst mit der Kandidatur gemeint war, sondern Donald Trump. Dessen «goldene Erfolgsregeln, destilliert aus seinen besten ‹Deals›» hatte Schwartz im Buch beschrieben, was Trump «zur Marke in den USA» machte (Orell Füssli; «Trump: The Art of the Deal»).

So richtig in Verlegenheit kam Schwartz, als er hörte, wie Trump in seiner Videokandidatur mexikanische Immigranten als Vergewaltiger denunzierte. Jetzt musste er, der inzwischen vom Journalismus zum Coaching gewechselt hatte, sich dringlich überlegen, ob Ignorieren eine gute Strategie sei, auch wenn er die Wahlchancen Trumps, den er ausschliesslich als Unternehmer und Millionär kannte, als sehr gering einschätzte. Ein Jahr später, im Juli 2016, brach Schwartz sein Schweigen und gab gegenüber The New Yorker zu Protokoll, dass ihn ein profund schlechtes Gewissen quäle, Trump mit dem Buch als grossen «Dealmaker» dargestellt und ihm damit geschmeichelt zu haben: «I put lipstick on a pig.»

«Great Deals»

«Es ist nicht das Geld, das mich reizt. Geld besitze ich genug, mehr als ich je ausgeben könnte. Die Kunst, ein Geschäft erfolgreich abzuschliessen, ist es, die mich in erster Linie motiviert. Geschäfte zu tätigen ist meine Art der Selbstverwirklichung. Andere malen fantastische Ölgemälde oder schreiben wundervolle Gedichte. Ich liebe es, Geschäfte anzubahnen, besonders, wenn es sich um spektakuläre Transaktionen handelt» («Trump: The Art of the Deal», dt. Ausgabe, Plassen Verlag 2017, S. 7).

Selbstverwirklichung und Spektakel durch kunstvoll abgeschlossene Geschäfte/Deals, so Trump in den ersten Zeilen des Buchs, seien sein Lebenselixier. Im gleichen Sinne spricht auch dreissig Jahre später Edward McMullen, neuer US-Botschafter in Bern, über seinen Präsidenten, der «ein Geschäftsmann und stets offen für einen Deal» sei (cash, 26.8.2018). McMullen hatte als erster Berater der Präsidentschaftskampagne Trumps den Slogan «Make America Great Again» treu vertreten. Vor seiner diplomatischen Aufgabe, für die er keine Ausbildung mitbringt, war er ebenfalls als Unternehmer tätig, verkaufte aber seine Kommunikationsfirma, ehe er im Dezember 2017 in der Schweiz den Posten antrat.

Die Schweizer Illustrierte war bald darauf bei ihm zu Besuch in Bern: «Die Pflege der engen Zusammenarbeit zwischen den USA und der Schweiz liegt auch Präsident Trump am Herzen, sagt der Botschafter. ‹Ich bin sein Swiss Man.› Als Unternehmer gibt er sein Bestes, die Freundschaft zwischen den Ländern zu vertiefen. ‹Wir werden fantastische Dinge erreichen! Great deals.›» Freundschaften, so McMullen, die er zum Beispiel an einem «great meeting» mit Ignazio Cassis zu knüpfen begonnen habe, nicht nur, weil sie beide die Pflege eines Weinguts teilten: «Wir Amerikaner werden ihn lieben» (Schweizer Illustrierte, 13.1.2018).

«Nervenkitzel»

«Meistens wache ich um sechs Uhr morgens auf und verbringe die erste Stunde des neuen Tages mit der Lektüre der Zeitungen. Um neun Uhr bin ich in meinem Büro – am Telefon. Es gibt selten Tage, an denen ich weniger als fünfzig Telefongespräche führe; oft sind es mehr als hundert. In den Pausen finden Besprechungen statt. Die meisten ergeben sich ad hoc, und nur wenige nehmen mehr als fünfzehn Minuten in Anspruch. (…) Ich versuche, aus der Vergangenheit zu lernen, aber ich plane meine Zukunft, indem ich mich ausschliesslich auf die Gegenwart konzentriere. Hier liegt für mich der Nervenkitzel …, und Geschäftsabschlüsse können ein Nervenkitzel sein, nicht wahr?» («Trump: The Art of the Deal», S. 7).
Kann eine solche Auffassung auf Politik übertragen werden? Der «New Deal» von Franklin D. Roosevelt als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren wurde mitunter mit «die Karten werden neu gemischt» übersetzt. Es ging um sozialen Ausgleich, Arbeitsbeschaffung und längerfristige Reformen. Der aktuelle «Deal» in der Politik ist knallhartes Business, worin keine nachhaltige Balance, sondern der eigene Vorteil gesucht wird.

Ob Trump seinen Tagesablauf heute, dreissig Jahre später, noch so beschreiben würde, jetzt, da sein «Nervenkitzel» mit politischer Macht einhergeht? Jedenfalls hat er inzwischen die Gewohnheit, den Tag mit einer Stunde Zeitungslektüre beginnen zu lassen, abgelegt; ebenso wird gemutmasst, dass seine Aufmerksamkeitsspanne in den letzten Jahrzehnten ein kritisches Minimum erreichte. Trotzdem, auf der Jagd nach «Deals» ist er weiterhin, er hat nur das Revier gewechselt.
Dementsprechend zog er los, um mit China, Mexiko und Nordkorea «Deals» zu machen. Der rhetorische Vorlauf dazu konnte manchmal nicht bombastisch genug sein, so auch bei Nordkorea, wo ein «history-making deal from a history-making dealmaker» versprochen worden war (The Washington Post, 2. Juli 2018).
Bald jedoch sollte sich nicht nur herausstellen, dass die erfolgten Gespräche eine dem Wahlslogan «Make America Great Again» entgegengesetzte Bedeutung erlangen konnten, sondern auch, dass weiter zurückliegende Geschäftsgänge Trumps als Unternehmer reihenweise fehlgeschlagen waren: Universitäten, Casinos, Wodkas und Steaks, die seinen Namen trugen, sind schon lange auf dem Friedhof der gescheiterten Innovationen begraben («Trump was never a great dealmaker, anyway», The Washington Post, 23.1.2018). Gewählt als neuer Präsident und nicht gewillt, seine Steuerunterlagen vollständig offenzulegen, gab es trotzdem bald Berichte über Trumps hohe Verschuldung in der Grössenordnung von Hunderten von Millionen Dollar (Spiegel online, 17.6.2017).

Der semantische Schaden

Auch wenn der Mythos des historischen «Dealmakers» bereits demontiert wurde, der semantische Schaden ist angerichtet: Verträge, Kompromisse, internationale Übereinkünfte und binationale Abkommen tauchen medial allesamt als «Deal» auf. Der Begriff ist gerade dabei, parteiübergreifend installiert zu werden. So übt sich selbst der Bundesrat neu in «in der Kunst des Geschäfts»: «Bundesrat drängt weiter auf Deal mit EU», titelte der Tages-Anzeiger auf der Frontseite vom 22. September 2018. Jahrelange Diskussionen über die Ausgestaltung der bilateralen Verträge bzw. ein funktionierendes Rahmenabkommen mit der EU verschwinden plötzlich in vier Buchstaben, wenn auch von geschichtsträchtigem Format: «Die EU und die Schweiz stehen Zentimeter vor einem historischen Deal, das Rahmenabkommen sei abschlussreif.» Gänzlich in die Geschäftswelt verlegt wird die Berichterstattung zum gleichen Thema, wenn die so genannte Kohäsionsmilliarde zum Geldeinsatz am europäischen Verhandlungstisch wird: «1,3 Milliarden als Zeichen des guten Willens der Schweiz, wirklich zu einem Deal mit der EU zu kommen» (Tages-Anzeiger vom 21. und 22.9. 2018).
Was für die Schweizer Europapolitik gut ist, kann für die nationale Ebene nur recht sein: Seit Wochen wird vom «Steuer-AHV-Deal» oder vom «AHV-Steuer-Deal» gesprochen. Eine Weile lang war noch darüber debattiert worden, ob die Bezeichnung «Kuhhandel» treffend oder ungebührlich oder doch passend wäre, bis sich die englische Variante durchgesetzt hatte und sich nun von der NZZ über den Tages-Anzeiger und die WOZ bis hin zur Republik fest eingebürgert hat.
Gleichermassen kann sich die lokale Politik den «Geschäften» nicht verschliessen. So wird stilblütenecht rapportiert, dass «das Basler Parlament einen umfangreichen Deal zur Umsetzung der Steuerreform geschmiedet» hat (Tages-Anzeiger, 20.9. 2018). Und auf Plakaten in Zürich wird das «Ja» für ein neues Fussballstadion am 25. November mit dem Slogan «Ein fairer Deal für Zürich» beworben.
Auch die aussenpolitische Berichterstattung wartet mit «Deals» auf, sei es, wenn es um Saudiarabien und Geschlechterrollen geht («Damals ging der Staat einen Deal mit dem wahhabitischen Klerus ein») oder im Falle einer Vereinbarung der Kriegsparteien zur Einrichtung von Pufferzonen in der syrischen Provinz Idlib: «So könnte es sein, dass Putin und Assad die langfristigen Profiteure dieses Deals werden.» Gänzlich zur Quizfrage im Stile der Fernsehshow «Deal or No Deal» schrumpft die Politik zusammen, wenn ein Artikel zu den Brexit-Verhandlungen übertitelt ist mit einem Satz von Theresa May, der so im Text gar nicht vorkommt: «Mein Deal oder kein Deal» (Tages-Anzeiger, 18. und 19.9. 2018).

Der Staat, ein Business

Was ersetzt der «Deal»? Selbst wenn diese Medien Donald Trump und seiner Ausübung der Präsidentschaft durchaus auch kritisch gegenüberstehen, bestärkt die inflationäre Übernahme dieses Begriffs seine Art der Politik. Tätigkeiten wie aushandeln, debattieren, argumentieren und verabreden lauten plötzlich alle gleich: «Deal». Verben, die auf ein grunddemokratisches Verständnis schliessen lassen, gehen in einer Geschäftsmetapher auf. Die demokratischen Ausmarchungsprozesse, die hinter den anderen Begriffen steckten, werden zum blossen (baren) Geschäft.
Eine so verstandene Politik hat eine Konzernleitung als Regierung und die BürgerInnen werden zu Aktionären oder Kunden, die auf ihren kurzfristigen Profit warten. Gesellschaftlicher Zusammenhalt ist nicht mehr eine Frage von ausgleichenden Regelungen, sondern wird als gelungene Transaktion verkauft. Das Berufsbild von PolitikerInnen wandelt sich im schlechten Fall zu ernsthaften (und auch erfolgreichen) Geschäftemachern, im schlechtesten Fall zu Leuten, die «ad hoc» entscheiden und keine Verantwortung für ihr (mitunter erfolgloses) Tun übernehmen.
Von der grossspurigen Hemmungslosigkeit eines Trump erzählt auch die Originalfassung seiner frühen Memoiren: Was die deutsche Übersetzung, wie oben zitiert, mit «Nervenkitzel in Geschäftsabschlüssen» wiedergibt, ist im Englischen an der gleichen Stelle schlicht «Spass»: «I try to learn from the past, but I plan for the future by focusing exclusively on the present. That’s where the fun is. And if it can’t be fun, what’s the point?»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

  • Ariane Tanner ist Historikerin und Texterin aus Zürich.

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 4.10.2018 um 13:12 Uhr
    Permalink

    Wiewohl ich neudeutsche Wörter wie «Deal» eher verabscheue, so wie ich die Kolumne von Daniel Goldstein bei Infosperber eigentlich bevorzuge, scheint es mir doch so, dass in diesem Begriff der ältere politologische Terminus des legitimen Interessenausgleichs mit enthalten ist. Wer freilich, wie viele in der praktischen Politik wenig bewanderte und nicht gerade gewerkschaftsnahe Linke in der Politik vor allem die Welterlösung erwartet mit engelhaft metaphysischen Ansprüchen, der oder die wird sich nun mal an einem Begriff wie «Deal» stören. Was damit gemeint ist, hat das einstige Naturrecht u.a. in die Begriffe «iustitia distributiva» und «iustitia commutativa» gefasst, welche Ausdrücke es heute aber kaum mehr in den Staatskundeunterricht der Gymnasien schaffen. Für Hobbes, Pufendorf, Rousseau, Barbeyrac, Burlamaqui und die ganze westschweizerische Schule des Naturrechts, selbst für Marxisten wie Ernst Bloch waren diese Begriffe noch für eine Theorie der Politik und der Gerechtigkeit satisfaktionsfähig. So weit sich ein Friedrich Engels mit praktischer Politik befasst hat, scheint es mir aber, dass er als Fabrikantensohn und Aktienbesitzer, der im Gegensatz zu dem In London beigesetzten Karl Marx sogar die englische Sprache beherrschte, als Kenner von Adam Smith mit dem unterdessen politisierten Begriff «deal» sehr wohl hätte leben können. In der eidgenössischen Politik hat man freilich das alte Wort «Kuhhandel» dem neudeutschen «Deal» noch während langer Zeit vorgezogen.

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