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Gedenktafel für Ho Feng-shan am Museum für jüdische Flüchtlinge in Shanghai. © Tim Riley/flickr.com CC

TV in China: «Das letzte Visum»

Peter G. Achten /  Mit einer Serie über eine Judenrettung in Nazi-Wien versucht China sich in Vergangenheitsbewältigung. Neuere Themen blieben tabu.

Seit Ende Januar läuft auf den Satelliten-Stationen von Peking und der Provinz Jiangsu eine aufwendig produzierte Fernsehserie in 46 Episoden über den Diplomaten Ho Feng-shan. Ho war 1938 bis 1940 chinesischer Generalkonsul in Wien. In Missachtung der Befehle seines Vorgesetzten, des chinesischen Botschafters Chen Jie in Berlin, erteilte er nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland den verfolgten österreichischen Juden Tausende von Visa und rettete so ihr Leben.

Evian

Ohne Visa konnten Juden nicht aus Deutschland emigrieren. Doch Visa waren damals ein rares Gut. Es war eine kritische Zeit, und eine vom amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt 1938 einberufene Konferenz von Evian, an der Vertreter von 32 Staaten teilnahmen, sollte eine Lösung für die Migration der verfolgten deutschen und österreichischen Juden finden. Zunächst wollten sich die Diplomaten in Genf am Sitz des Völkerbundes treffen. Die neutrale Schweiz jedoch liess Frankreich einspringen, weil die Angst vor dem grossen nördlichen Nazi-Nachbarn gross war. In Evian hielt sich die Aufnahmebereitschaft für die bedrohten Juden bei allen vertretenen Staaten in engsten Grenzen. Die Schweiz etwa, so die Berner Delegation, sei allenfalls ein Transitland und könne auch nicht Flüchtlinge ins Land lassen, die über einen Drittstaat eingereist seien.

Die Stimme der Schweiz: Antisemit Rothmund

Die Schweiz wurde durch den langjährigen Chef der Polizeiabteilung im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, Heinrich Rothmund, vertreten. Ausgerechnet, denn Rothmund war ein bekennender Antisemit. Im Januar 1939, kurz nach der Evian-Konferenz, schrieb er etwa: «Wir haben nicht seit 20 Jahren mit dem Mittel der Fremdenpolizei gegen die Zunahme der Überfremdung und ganz besonders gegen die Verjudung der Schweiz gekämpft, um uns heute die Emigranten aufzwingen zu lassen». Der Juden-Stempel «J» in den Pässen deutscher und österreichischer Juden war die logische Folge. Damit konnte die Einreise von Juden in die Schweiz leicht kontrolliert und allenfalls unterbunden werden. Rothmund, der auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch im Amt war, apostrophierte die Juden als «Fremdkörper».

Gegen die Order: Generalkonsul Ho Feng-shan

Der gebildete chinesische Generalkonsul Ho Feng-shan – er doktorierte magna cum laude in Deutschland – kam bereits 1937 nach Wien. Er sprach perfekt deutsch und zählte zu seinem Freundeskreis auch viele Juden. Er stellte bedingungslos Visa für Shanghai aus. Wie viele es waren, ist nicht belegt. Bis zu Hos Abreise aus Wien im Mai 1940 müssen es aber sehr viele gewesen sein. Allein in den ersten sechs Monaten nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland waren es 2000. In den darauf folgenden drei Monaten waren es 1200. Nach Schätzungen sollen insgesamt weit über 10000 Visa ausgestellt worden sein. Ho blieb bis zu seiner Pensionierung im diplomatischen Dienst in verschiedenen Ländern als Botschafter für Taiwan. Dort wurde er jedoch für seine «Dienstpflicht-Verletzung» von 1938-1940 in mehrere Verfahren verwickelt. Von Israel jedoch erhielt er eine Auszeichnung. Ho verstarb 97 Jahre alt in den USA.

TV-Serie «lächerlich unrealistisch»

Die Fernsehserie unter dem Titel «Das letzte Visum» hat gute Einschaltquoten. Die Zuschauerinnen und Zuschauer erteilen auf der Rating-Website Douban mit 6,5 von möglichen 10 Punkten leidlich gute Noten. Bei Kritikern freilich fällt die Soap durch. Im Gegensatz zu andern TV-Serien aus der Zeit der japanischen Besatzung Chinas und des Zweiten Weltkrieges sei «Das letzte Visum» weit neben den historischen Fakten. So werde der Diplomat Ho in der Serie nicht beim Namen genannt. Seine Bemühungen und Taten werden von zwei Charakteren dargestellt. Ho Manli, die Tochter von Ho Feng-shan, nimmt in der Regierungszeitung «China Daily» kein Blatt vor den Mund. Das Ganze sei «lächerlich unrealistisch» und es mangele «an Verständnis sowohl der europäischen als auch der chinesischen Geschichte». Dagegen, so Hos Tochter, «hielt sich Regisseur Steven Spielberg eng an die Geschichte» beim Porträt von Oskar Schindler im Film «Schindler’s List». Der Vergleich kommt nicht von ungefähr. Generalkonsul Ho nämlich wird auch Chinas Schindler genannt.

Chinas zweiter Schindler: John Heinrich Rabe

Im Westen dürfte weniger bekannt sein, dass es neben Ho noch einen zweiten Schindler in China gab. Es war ein Deutscher, dazu noch Nazi-Mitglied. John Heinrich Rabe lebte schon 27 Jahre in der damaligen chinesischen Hauptstadt Nanjing als Repräsentant von Siemens, als die Japaner die Stadt angriffen. Mit den wenigen noch verbliebenen Ausländern organisierte Rabe in führender Position eine Sicherheitszone und verhandelte mit den Japanern. Mit seiner Nazi-Mitgliedschaft appellierte er an die Japaner und hatte Erfolg. Über 200‘000 Chinesinnen und Chinesen verdanken der Nankinger Sicherheitszone ihr Leben.

Auf seinem eigenen Grundstück gewährte Rabe 650 Verfolgten Zuflucht. Ausserhalb der Zone wütete die japanische Soldateska. Mord, Vergewaltigung, Plünderung. John Rabe zeichnet in seinem eindrücklichen Tagebuch die Gräuel akribisch auf. Er schreibt fassungslos von der «Brutalität und Bestialität der japanischen Soldaten». Das Geschehen ging als «Massaker von Nanjing» in die Geschichtsbücher ein. Japan allerdings bekannte sich nie zur beispiellosen Brutalität seiner Soldaten und relativiert bis auf den heutigen Tag. Auch über Rabe gibt es einen Kinofilm, der 2011 auch als zweiteilige Fernsehfassung im ZDF gezeigt worden ist. Als Ansporn für die Zukunft sind Rabe wie Ho Beispiele für rare Zivilcourage in extremen Situationen.

Früher oder später

Ob die chinesische Soap «Das letzte Visum» zur Vergangenheitsbewältigung taugt, wird sich weisen. Kritische Fernsehsendungen oder gar TV-Serien jedenfalls über den «Grossen Sprung nach vorn» (1958-1961) mit der Hungerkatastrophe, über das Desaster der Kulturrevolution 1966-1976 oder gar die Arbeiter- und Studentendemonstrationen auf dem Tiananmen-Platz vor dem Tor des Himmlischen Friedens Tiananmen 1989 habe ich beim Zappen auf den unzähligen chinesischen Kanälen noch keine entdeckt. Irgendwann wird das jedoch passieren. In Japan. In China. Wenn nicht früher so doch später. Mit Sicherheit.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Peter Achten ist seit Jahrzehnten als China-Korrespondent in Peking tätig.

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Eine Meinung zu

  • erich_schmid
    am 17.02.2017 um 13:29 Uhr
    Permalink

    Auch die Schweiz hat mehrere Schindlers, die wie Ho Feng-shan Opfer von Verfahren wegen Kompentenzüberschreitungen wurden, weil sie während der Nazizeit Juden retteten, etwa Carl Lutz, Vizekonsul in Budapest, der 76 Schutzhäuser eingerichtet und rund 62‘000 fingierte Schutzbriefe ausgestellt hatte. Er wurde nach seiner Rückkehr in die Schweiz gerüffelt, degradiert und totgeschwiegen, er starb einsam und verarmt. In Budapest wurde nach ihm ein Boulevard benannt. – Unvorstellbar für die Schweiz, was ich im April 2013 auf dem Carl Lutz Rakpart entlang der Donau filmen konnte: einen Gedenkumzug mit 30‘000 Menschen, die ihm posthum die Ehre erwiesen mit Tausenden von Schweizerfahnen, die in Budapest plötzlich eine ganz andere Bedeutung bekamen als in der Schweiz, wo sie von allen möglichen Fahnenschwingern politisch missbraucht wird.
    http://www.staatenlos-film.ch

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