Kommentar

Selber Politik machen statt Fan der Tigers bleiben

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsSuthakaran Ganapathipillai ist vor 32 Jahren als Kriegsflüchtling aus Sri Lanka in die Schweiz gekommen. ©

Suthakaran Ganapathipillai /  Ein Prozess in Bellinzona erinnert an Sri Lanka. CHer Medien verpassen Chance für kritischen Blick auf Tamil Tigers. Hier ist er.

Red. Suthakaran Ganapathipillai arbeitet als Projekt (LEAN Management) für verschiedene der weltweit grössten Unternehmen in der Medizinaltechnik. 1984 wegen des Bürgerkriegs in die Schweiz gekommen, engagiert sich der Präsident des «Kulturvereins Derendingen d!ngkultclub» und der «SP Migrantinnen des Kantons Solothurn heute» in verschiedenen Freiwilligen-Organisationen («Amnesty International», «Christlicher Friedensdienst», «Radio Rabe» u.a.) «Ich hatte viel Glück in meinem Leben, ein Stück davon möchte ich mit der Freiwilligenarbeit weitergeben.»

Der Strafprozess gegen zwölf tamilische Angeklagte und den Angestellten einer bekannten Schweizer Bank in Bellinzona ruft die leidvolle Geschichte des tamilischen Volkes in Sri Lanka in Erinnerung. Dessen Probleme sind mit dem militärischen Sieg der singalesischen Armee über die Kämpfer der Tamil Tigers alles andere als gelöst. Weiterhin werden die Menschenrechte der Tamilen in Sri Lanka missachtet; sie werden unterdrückt, diskriminiert und Vertriebene erhalten ihr eigenes Land nicht zurück. Obschon schwerste Kriegsverbrechen begangen worden sind, arbeitet kein Gericht die leidvolle Geschichte auf.
Vor diesem Hintergrund ist im tamilischen Volk die Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit ungebrochen. In Bellinzona geht es insofern um weit mehr als die Frage, ob die 13 Angeklagten unter Begehung von Straftaten wie Betrug, Falschbeurkundung, Geldwäscherei und Erpressung die Tamil Tigers (LTTE) finanziert haben. Ein Befreiungskrieg bildet keinen Freipass für Delikte. Es geht deshalb auch um die Frage, wer für das anhaltende Leid der Tamilen mitverantwortlich ist und wer das Recht hat, in ihrem Namen öffentlich aufzutreten.

Alleinvertretungsanspruch Tamil Tigers durchgesetzt

Die Frage nach der legitimen Vertretung des tamilischen Volkes ist nicht neu. Sie wird seit Jahrzehnten äusserst kontrovers diskutiert. Bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 1983 gab es unter den Tamilen eine Vielzahl von politischen Parteien und Organisationen. Diese Pluralität bestand in einer ersten Phase des Krieges vorerst fort. Die LTTE setzte jedoch ihren Alleinvertretungsanspruch mit eiserner Faust durch und räumte alle rivalisierenden tamilischen Befreiungsorganisationen aus dem Weg. Als stärkste militärische Kraft beanspruchten die Tigers in der Folge auch die politische Führung aller Tamilen.
Dies bekam auch die weltweite Diaspora zu spüren. Hier setzte die LTTE ihren alleinigen Führungsanspruch in einem Klima der Angst durch. Die Tigers beherrschten das politische, religiöse und kulturelle Leben. Alle tamilischen Läden, Schulen, Kulturanlässe und die meisten Tempel wurden von ihnen kontrolliert.
Dieser soziale Druck liess etwas nach, als die singalesische Armee die LTTE 2009 unter Begehung schwerster Kriegsverbrechen niederrang. Zwar versucht eine Vielzahl von Tiger-Nachfolgeorganisationen weiterhin, mit Lügen- und Verleumdungskampagnen ihren Alleinvertretungsanspruch aufrechtzuerhalten. Viele Tamilen lassen sich inzwischen aber nicht mehr einschüchtern und halten an ihrer zurückgewonnene Freiheit fest.
Umso mehr irritiert, wie kritiklos viele Schweizer Medien nach wie vor die Nachfolgeorganisationen der LTTE als einzige legitime Vertretung der Tamilen wahrnehmen. Es irritiert, weshalb die Tigers auch in grossen Medien kommentarlos Gelegenheit erhalten, ihre Lügengeschichten zu erzählen. Denn eigentlich würde der Prozess in Bellinzona eine hervorragende Gelegenheit bieten, um endlich Licht in das Dunkel des LTTE-Systems zu bringen.
Deren rigoroses Kontrollsystem hatte das einzige Ziel, der tamilischen Diaspora Geld abzunehmen. Es floss über ein streng hierarchisches und völlig intransparentes System in die Taschen einer im Exil niedergelassenen Führungsclique der LTTE. Klar kaufte sie damit vor allem Waffen. Sie bereicherte sich aber auch persönlich – auf Kosten jener tamilischen Kleinstverdiener, die bis heute unter der Last der Hypotheken leiden, die sie zugunsten der LTTE aufgenommen haben.
Wer im Ausland die Finanzen beschaffte, diktierte bis 2009 auch in Sri Lanka das Vorgehen. Die LTTE beging am eigenen Volk zahlreiche Verbrechen, um ihren Führungsanspruch durchzusetzen. Es ist ein Alptraum sich auszudenken, was passiert wäre, wenn diese Kriegsverbrecher tatsächlich an die Macht gekommen wären. Denn die LTTE zerstörte auch in Sri Lanka jenen öffentlichen Raum, in dem sich die tamilische Bevölkerung hätte politisch organisieren und äussern können. Erst heute nimmt sie ihr Schicksal allmählich wieder in eigene Hände und spricht ihre tatsächlichen Bedürfnisse auch politisch aus.

Politik nicht den Tamil Tigers überlassen

Nur allzu lange traten an Stelle der Politik die Eigeninteressen jener, die sich im Exil an der Spitze der Tigers ein Leben in Saus und Braus eingerichtet haben. Dank ihrer grossen Finanzkraft beherrscht diese Führungsclique bis heute die meisten tamilischen Medien. Sie diktiert nach wie vor, was in diesen publiziert wird und geht mit Lügen, Verleumdung sowie sozialem Druck gegen abweichende Meinungen vor. Bis heute nutzen sie die Spendengelder aus der tamilischen Diaspora nicht für humanitäre Projekte. Sie lindern auch nicht die Not der Hypothekarschuldner. Vielmehr verwenden sie das Geld überwiegend für teure Gedenkanlässe zur Glorifizierung der LTTE.
Das alles ist eigentlich längst bekannt. Ich hätte deshalb erwartet, dass die Schweizer Medien in ihrer Berichterstattung über den Prozess in Bellinzona ein etwas differenzierteres Bild zeichnen würden. Zu Wort kommen auf tamilischer Seite aber fast allein die Vertreter und Vertreterinnen der sattsam bekannten Nachfolgeorganisationen der LTTE vom Swiss Tamil Coordination Committee (STCC), dem tamilischen Volksrat (SCET) und dem Tamil Movement. Es ist höchste Zeit, dass sich auch jene politisch äussern können, die von den Tigern an den Rand der Gesellschaft gedrückt wurden. Nur so kann es gelingen, das anhaltende Klima der Verleumdung und Einschüchterung endlich zu durchbrechen.
Sowohl in Sri Lanka als auch in der tamilischen Diaspora im Ausland sind viel zu viele Probleme ungelöst, als dass die Tamilen in der Rolle einer Fan-Gemeinde der zutiefst undemokratisch strukturierten LTTE und ihrer Nachfolgeorganisationen verharren dürften. Es gilt, dem sozialen Druck zu widerstehen und endlich wieder in aller Freiheit selber Politik zu machen.
Nur wenn die Tamilen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen, werden sie jene Freiheit und Gerechtigkeit erlangen, die dem tamilischen Volk in seiner schmerzhaften Geschichte seit jeher verweigert worden ist. Die Tamilen müssen wieder lernen, mehr zu sein als ein Fan-Club der Tigers. Es gilt, selber Politik zu machen und für die Freiheit einzustehen. Nur wer die Freiheit benutzt, wird Freiheit erringen. Denn der Weg ist auch das Ziel.

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Suthakaran Ganapathipillai ist vor 32 Jahren als Kriegsflüchtling aus Sri Lanka in die Schweiz gekommen.

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2 Meinungen

  • am 26.01.2018 um 11:54 Uhr
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    Der ganze Prozess in Bellinzona scheint mir völlig unverhältnissmässig. Da stehen 12 arme Schlucker vor Gericht, die aus patriotischer Überzeugung der Tamilischen Befreiungsarmee ein paar Franken aus ihrem Tellerwäscher-Lohn überwiesen haben. Dafür wird ein riesiger Justizapparat mit x Laufmetern Akten in Bewegung gesetzt. Tamilen sind friedliche, fleissige Arbeitskräfte, und wie ich im Krishna-Tempel erfahren durfte, sehr fromm und gottesgläubig. Martin A. Liechti, Maur

  • erich_schmid
    am 26.01.2018 um 16:33 Uhr
    Permalink

    Während der Bombardierungen im tamilischen Norden Sri Lankas, in den dunklen Erdlöchern, welche die Menschen als primitive Bunker in die Vorgärten gegraben hatten, erhielt ich die letzte Gewissheit, weshalb die tamilische Bevölkerung die Tamil Tigers mehrheitlich unterstützte: von ihnen ging keine unmittelbare Lebensgefahr aus, während die singhalesische Regierungsarmee flächendeckend bombardierte, indiscriminate killing, nannte man es, ohne Rücksicht auf die Gesinnung und nur, weil man tamilischer Herkunft war. Wer konnte, floh ins Ausland. Wie über eine Million Tamilen leben im Exil, insofern hat diese Art von ethnischer Säuberung Erfolg gehabt, während Hunderttausende im eigenen Land umherirrten, als Vertriebene zwischen den Kampfgebieten. Es waren weniger die leider zunehmend militarisierten LTTE, die die Menschen einschüchterten, als vielmehr die singhalesische Mehrheit, die dafür sorgte, dass alle Hoffungen der Tamilen auf einen eigenen Staat auf den Tamil Tigers ruhten, ohne beschönigen zu wollen, dass diese nicht auch Fehler begingen. Bei aller Kritik darf man nicht vergessen, von wo der Terror hauptsächlich ausging.

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