Sprachlupe: Vor der nächsten Vorlage «Antirassismus plus»

Daniel Goldstein /  Das Volk sagt Ja: Auch Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist geächtet. Wie weiter mit Artikel 261bis?

Der strafrechtliche Schutz vor Aufrufen «zu Hass oder zu Diskriminierung» gilt nach dem Volksentscheid nun auch dann, wenn eine Person oder eine Gruppe wegen ihrer «sexuellen Orientierung» zum Ziel gemacht wird – wie schon bisher, wenn es wegen «ihrer Rasse, Ethnie oder Religion» geschieht. So weit, so gut, aber auch weiterhin so problematisch wegen des selektiven Schutzes und wegen der Sprachvergehen, denen er gilt. Für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass weitere bedrängte Menschengruppen nach gleichem Schutz rufen, drängen sich einige Überlegungen sprachlicher Art auf.
Denn beim Artikel 261bis des Strafgesetzbuchs, über den abgestimmt wurde, geht es auch darum, «was man sagen darf». Die Behauptung des Referendumskomitees, mit diesem «Zensurgesetz» werde «die Meinungsfreiheit bedroht», war zwar weit überrissen, wies aber auf die Grundproblematik hin. Umso wichtiger wären sprachlich klare Formulierungen im Gesetz – und diesem Anspruch genügen hier nicht alle Sätze. Bei der Aufzählung der geschützten Gruppen ist schon «Rasse» ein Begriff, dessen Anwendung auf Menschen unheilvoll ist und «wissenschaftlich nicht mehr haltbar», wie Wikipedia zu Recht schreibt. «Rasse» taugt nur zu Hass und Diskriminierung – oder notfalls zum Schutz davor und zur Wiedergutmachung dafür.

Die Bundesverfassung ist klarer

«Ethnie» ist insofern weniger problematisch, als sich Völkerschaften gern selber als solche definieren; ob jemand dazugehört, ist aber auch nicht immer eindeutig. Selbst «Religion» ist nur bei staatlich anerkannten Gemeinschaften eine rechtstaugliche Kategorie, bei manchen anderen ebenfalls unbestritten, aber nicht bei allen, die «religiös» auftreten. Noch am klarsten ist das neue Kriterium «sexuelle Orientierung» umrissen; gemäss «Bundesbüchlein» zur Abstimmung geht es ums Hingezogenfühlen, aber «nicht gemeint sind die Geschlechtsidentität oder sexuelle Vorlieben und Praktiken». Der Schutz etwa von Trans- oder Intersexuellen wurde im Parlament abgelehnt – er könnte also in einer späteren Abstimmung drankommen.

Einfacher wäre es gewesen, man hätte sich von Anfang an am Artikel 8 der Bundesverfassung orientiert, Absatz 2: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.» Mit «namentlich» ist auch gleich gesagt, dass die Aufzählung nicht abschliessend ist: Diskriminierung ist nicht automatisch erlaubt, wenn sie wegen einer in der Verfassung nicht aufgezählten Eigenschaft erfolgt.

Wozu überhaupt aufzählen?

Im Strafgesetz werden mit Artikel 261bis bestimmte Akte der Diskriminierung strafbar, seien es Akte mit Worten oder mit Taten. Dass der Schutz nur für Angehörige bestimmter Gruppen gilt, wird meistens damit begründet, diese fielen auch besonders oft anderen Straftaten zum Opfer; den Boden dafür bereite eben die Diskriminierung. Soll man andere Gruppen erst davor schützen, wenn sie ebenfalls das Ziel von Gewalttätern werden?
Statt die Aufzählung zu erweitern, bis sie (mindestens) jener in der Verfassung entspricht, könnte man auch ganz darauf verzichten und die Strafnorm so beginnen lassen: «Wer öffentlich gegen eine oder mehrere Personen wegen einer angeblichen oder tatsächlichen Gruppenzugehörigkeit oder -eigenschaft zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft …» Die weiteren Absätze wären entsprechend zu formulieren, und nebenbei wäre so auch eine Unklarheit bei der Leugnung von Völkermord beseitigt – nämlich ob sie nur strafbar sei, wenn zwecks Diskriminierung begangen (siehe dazu tiny.cc/261bis). Gewiss, auch die hier vorgeschlagene Formulierung gäbe den Gerichten zu beissen, vielleicht sogar mehr als die geltende – aber sie würde nicht mehr zwischen aufgezählten und anderen Opfergruppen diskriminieren.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • am 22.02.2020 um 15:52 Uhr
    Permalink

    Sprachlupe, eine Kolumne, die ich immer mit grossem Interesse lese. Ich habe mich beim Lesen gefragt, welche Bedeutung dem Wort «oder» bei «zu Hass oder zu Diskriminierung» aus sprachlicher Sicht zukommt und ob mit Blick auf die Anwendungspraxis nicht viel eher ein «und» stehen müsste, weil ja primär der Aufruf zu Hass geahndet wird und weniger Diskriminierung, sofern nicht eindeutig negativ. Dies umso mehr, als dass Diskriminierung ja vom lateinischen Verb «discriminare» (unterscheiden, absondern …) abstammt und in unserem Staat alltäglich ist. Denken wir nur an die Unterscheidung ("Diskriminierung") in Bürger mit Schweizer Pass und an solche ohne oder bei der Wehrpflicht, die zwischen Männern und Frauen unterscheidet.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 22.02.2020 um 22:13 Uhr
    Permalink

    Das «oder» im Vorschlag entspricht der Formulierung im geltenden Gesetz. Stünde «und», so wäre ein Aufruf nur strafbar, wenn er beides beträfe, also Hass und Diskriminierung – mit «oder» reicht eines davon. Auch «Diskriminierung» ist so gemeint wie im Gesetz; aus dem gesamten Artikel 261bis sowie seiner Entstehungsgeschichte, fachlichen Kommentierung und gerichtlichen Anwendung wird deutlich, dass der «Wille des Gesetzgebers» jenen Bedeutungen entspricht, die der Online-Duden (duden.de/rechtschreibung/diskriminieren) unter 1) und 2) anführt :
    1) durch [unzutreffende] Äußerungen, Behauptungen in der Öffentlichkeit jemandes Ansehen, Ruf schaden; jemanden, etwas herabwürdigen
    2) (durch unterschiedliche Behandlung) benachteiligen, zurücksetzen; (durch Nähren von Vorurteilen) verächtlich machen
    3) unterscheiden (fachsprachlich)
    Von der lateinischen Grundbedeutung hat sich «diskriminieren» also recht weit entfernt – ein sprachgeschichtlich durchaus üblicher Vorgang. «Der Lateiner» kann das in diesem Fall bedauern und muss es im eigenen Sprachgebrauch nicht übernehmen, wird es aber bei andern akzeptieren müssen. In der «Sprachlupe» vom 20.7.2019 habe ich daher geschrieben, es könne sich auf den Online-Duden berufen, «wer für ‹verunglimpfen› nicht das präzise ‹diskreditieren› verwendet, sondern das ominöse ‹diskriminieren›. Letzteres tönt so schlimm, wie es wirklich ist, wenn es schlechtere Behandlung bezeichnet, etwa wegen des Geschlechts oder der Herkunft."

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