Kommentar

Ist Russland am Verzweifeln?

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Das russische Aussenministerium hat bekanntgegeben, eine formelle Delegation der AfD empfangen zu haben. Das ist eine Katastrophe.

Wer in Russland Verwandte, Freunde oder auch nur ferne Bekannte hat, der weiss es: In Russland leidet nicht nur die politische Führung, sondern auch die politisch interessierte Bevölkerung darunter, vom Westen fast als Monster behandelt, ja von vielen regelrecht gehasst zu werden. Aggressiv, jeder Zeit bereit, einen Krieg zu beginnen, Länder zu erobern.

Warum eigentlich? In Syrien wurde Russland formell zu Hilfe gerufen. Auf der Krim wurde die Abstimmung über die Wiedervereinigung mit Russland zwar ohne Zustimmung der Regierung in Kiev durchgeführt, das Resultat zeigte aber trotzdem klar: Ja, die Bevölkerung, die nach Kievs Vorgaben nicht einmal mehr die eigene Muttersprache, das Russische, hätte lernen und sprechen dürfen, wollte zurück zu Russland. Die überwältigende Mehrheit sagte Ja, und dies, ohne dass auch nur ein einziger Schuss fiel. Wer immer sich getraut, auf die von Wirtschaftssanktionen geplagte Krim zu fahren und herumzuhören, weiss es. – Die USA und die NATO aber haben seit 1990 in etlichen Regionen der Welt sogenannt präventiv zugeschlagen und richtige Kriege begonnen. Doch die USA und Europa werden von Russland bedroht, so die Behauptung vieler Politiker.

Nachdem Deutschland sich bereit erklärt hatte, den vermutlich eines Giftanschlages wegen im Koma liegenden russischen Oppositionellen Alexei Navalny medizinisch zu behandeln, dabei aber jede Zusammenarbeit mit den russischen Medizinern verweigerte und den Fall zum Anlass nahm, Russland erneut als Staatsfeind zu brandmarken, und nachdem die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer unaufhörlich eine engere militärische Zusammenarbeit mit den USA propagiert, hat Russland in gewissem Sinne kapituliert. «Wir wissen, dass wir in Europa nichts mehr zu gewinnen haben», so der Grundtenor der Kommentare in den russischen Medien. «Wir müssen uns darauf einstellen, auf uns selbst gestellt zu sein und mögliche Freunde andernorts als in Europa zu suchen.»

Ein schwarzer Tag

Jetzt, am 11. Dezember, zeigt das russische Aussenministerium öffentlich, wie es eine Delegation der deutschen rechtspopulistischen Partei «Alternative für Deutschland», der AfD, zum Gespräch empfangen hat. Ausgerechnet.

Aussenminister Sergei Lawrow betonte, dass das Gespräch nicht auf seinen Wunsch stattgefunden habe, sondern auf Wunsch der Delegation der AfD. Aber wenn das «offizielle» Deutschland jede Kommunikation verweigere, müsse eben jede andere Gelegenheit benützt werden, mit Deutschland im Gespräch zu bleiben.

Als russischer Aussenminister muss Lawrow das politische Parteiprogramm der AfD kennen. Auch die Biographie der Leute in der AfD-Parteileitung kann ihm nicht entgangen sein. Und auch er weiss, was AfD-Fraktionschef Alexander Gauland zum Zweiten Weltkrieg gesagt hat: «Die Hitler-Zeit war nur ein Vogelschiss in der 1000-jährigen Erfolgsgeschichte Deutschlands». Ein «Vogelschiss», der auf Seite der Sowjetunion 27 Millionen Kriegsopfer gefordert hat. Ist Lawrow bewusst, was die direkte Folge dieses Treffens mit der AfD sein wird? Dass nämlich noch mehr Leute ohne näheres Hinsehen Russland als Gesprächs- und Handelspartner ablehnen werden? Russland noch mehr verachten oder gar hassen werden?

Und was bezweckt die AfD mit diesem Treffen? Will sie international zeigen, dass sie nicht nur eine innenpolitische Minderheitspartei ist, sondern ein ernst zu nehmender Faktor der deutschen Politik? Will sie daran erinnern, wie im Deutschland der 1930er Jahre Rechtsextremisten fähig waren, an die Macht zu kommen?

Das Treffen der AfD-Delegation im Kreml hinterlässt vordergründig Irritation, wenn nicht gar einen Schock der Enttäuschung. Es braucht wohl ein paar Nächte, um darüber schlafen und das Treffen näher analysieren zu können. Eine erste Interpretation kann nur die sein: Russland ist nicht nur immens enttäuscht über das Verhalten Deutschlands Russland gegenüber (das geopolitisch tatsächlich als katastrophal bezeichnet werden muss), Russland ist nachgerade am Verzweifeln. Der Empfang der AfD-Delegation kommt einem Hilferuf gleich. Russland sucht nach jedem Grashalm, wieder ins Gespräch mit Deutschland zu kommen. Und wenn es auch nur über die Opposition geht, ohne genauer hinzuschauen, welches üble Parteiprogramm diese Leute haben.

Deutschland muss endlich in sich gehen

Als die USA, aufgrund der erlogenen Begründung unterstützt von etlichen anderen Ländern, im Jahr 2003 den Irak zu bombardieren begannen, hatten Deutschland und Frankreich den Mut, nicht mitzumachen. Es bestand die Hoffnung, dass sich diese zwei Länder und damit später vielleicht ganz Europa aus den Fesseln der USA lösen würden. Das Gegenteil ist eingetroffen. Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer, aber auch die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sie politisieren, als wären sie bezahlte US-Agenten. In der Ukraine und neu auch in Belarus spielen sie in nicht zu verantwortender Weise mit dem Feuer. Warum werden sie verbal und mit Sanktionen immer aggressiver gegen Russland? Warum sind sie nicht bereit, mit Russland wenigstens das Gespräch aufzunehmen, wissend, dass Russland das Gespräch seinerseits ausdrücklich sucht?

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Siehe dazu

«Russland ist von Westeuropa tief enttäuscht – mit gutem Grund» (auf Infosperber)

«Deutschland initiiert eine neue Wende – eine Wende zurück» (auf Infosperber)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Zum Autor deutsch und englisch.

Zum Infosperber-Dossier:

Putin_FlorisLooijesteijn_DSC01202_cc

Der Umgang mit Putins Russland

Russland zwischen Europa, USA und China. Berechtigte Kritik und viele Vorurteile.

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8 Meinungen

  • am 12.12.2020 um 11:53 Uhr
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    Hören Sie doch auf, Russland zu verteidigen! Seit dem Verrat am Sozialismus ist doch dieses Land zu einer imperialistischen Supermacht verkommen. Oder haben Sie die Geschichte der letzten 70 Jahre verschlafen? Zugegeben, dieses Land spielt hinter den USA und China nur die zweite Geige im Kampf um Vorherrschaft und Ausbeutung der Welt. Aber sie spielt diese Geige.

  • am 12.12.2020 um 12:18 Uhr
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    Mir bleibt die Luft weg, lieber Herr Müller. Der Empfang der AfD-Delegation als «verzweifelter Versuch», wieder mit DE ins Gespräch zu kommen? Ich bitte Sie. Wenn Putin das wirklich möchte, hätte er genau das nicht tun dürfen. Für mich zeugt dieses Treffen einmal mehr von seiner Geringschätzung demokratischer Grundsätze, und es ist ja nun x-mal belegt, wie Russland mit Sticheleien in verschiedenster Hinsicht versucht, im Ausland das Vertrauen in eine liberale Gesellschaftsordnung zu untergraben. Nicht Europa hat sich von Russland abgewendet, Herr Müller, sondern umgekehrt. Aber da werden wir uns wohl nie einig.

  • am 12.12.2020 um 14:50 Uhr
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    Jetzt hat der Kreml endgültig eine rote Linie überschritten. Aussenminister Lawrow empfängt mit der Delegation der AfD die Vertreter einer offen neonazistischen deutschen Partei. Unheimliche Erinnerungen an jenen unseligen Tag Anno 1939 werden wach, als der sowjetische Aussenminister Molotow in Moskau seinen (nach Kriegsende als Kriegsverbrecher gehängten) deutschen Amtskollegen Ribbentrop empfing, die beiden den Hitler-Stalin-Pakt unterzeichneten und Völkerfreundschaft zwischen den beiden totalitären europäischen Grossmächten feierten. Einen Honeymoon zwischen zwei verbrecherischen Diktaturen, welcher kaum zwei Jahre später in den verheerendsten Krieg der Menschheitsgeschichte mündete.

    • am 26.12.2020 um 15:38 Uhr
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      offen neonazistischen
      Derartige Aussagen sorgen dafür, dass tatsächlich rechtsextreme Typen versuchen in die Partei einzutreten. Ansich ist die Bezeichnung «Nazi» in heutiger Zeit eine bodenlose Gemeinheit und ein miserables Geschichtswissen. Das eigentliche Problem ist, dass ausgerechnet völlig verblendete Halbwissende den Ruf der AfD schädigen. Die deutsche Regierungspresse hat mit ständigen Wiedeholungen, dass diese Partei rechtsextrem sei, diese «Rechtsextremen» in die Partei geschrieben.
      Wie schwer es ist, diese Typen aus einer Partei zu entfernen, wissen alle anderen Partei auch.
      Der «führende Vertreter» Hampel wird im nächsten Bundestag nicht vertreten sein. Wegen Unfähigkeit wurde er und seine Gefolgsleute in Niedersachsen nicht mehr nominiert.

  • 20132PortrtU_Gut
    am 12.12.2020 um 15:01 Uhr
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    Die Unterstützung Russlands für das Rassemblement National und die AfD beruhe auf einem Grundsatzentscheid, den Aussenminister Lawrow persönlich bekanntgegeben habe. Dies ist einem Bericht der «Frankfurter Allgemeinen» vom 9.12.20 über einen Besuch zweier führender AfD-Politiker in Moskau zu entnehmen. Das fördert Transparenz, im Interesse der Wählerinnen und Wähler. Mehr dazu hier: https://politreflex.ch/europa-internationales/russlands-partnerschaften-mit-parteien-westeuropaeischer-laender/

  • am 17.12.2020 um 23:22 Uhr
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    Dass Russland eine Bedrohung sei für Europa und USA, kann und muss man als Propaganda durchschauen. Deswegen muss man nicht den Anschluss der Krim propagieren als eine Rechtmässigkeit, die von Europa zu akzeptieren sei. Europa weigert sich nach bittersten Erfahrungen, pseudohistorische und ethnische Begründungen für die eigenmächtige Verschiebung von Grenzen zu akzeptieren, die durch gültige Staatsverträge gesichert sind. Die Behauptung, das Elsass oder Schlesien seien «schon immer» deutsch gewesen und gehörten deshalb «eigentlich» zu Deutschland, würde zu Recht die Alarmglocken klingeln lassen. Die Krim gehörte nicht «schon immer» zu Russland, sondern 1783-1956, und eine «ethnische» Unterscheidung von Russen und Ukrainern ist unwissenschaftlich. Die Rus des Mittelalters war weder Ukraine noch Russland. Auch wenn Zürich kulturhistorisch «deutsch» ist, begründet das keine Zugehörigkeit zu einem deutschen Staat. Es ist an der Zeit, dass der Infosperber sich auf diesen europäischen Rechtsstandpunkt stellt, um sich von Propaganda abzugrenzen, die immer hinter ethnisch begründeten Anschlüssen steht. Dass die Ukraine das Sprechen der russischen Sprache verboten hätte, ist ebenfalls russische Propaganda. Die Abstimmung unter Aufsicht der russischen Armee entsprach nicht europäischen Rechtsansprüchen. Seriöse Medien formulieren angesichts gefährlicher Konfliktlagen präzis, um den Leser zu informieren. Das lässt sich bei den Aussagen Christian Müllers über die Krim nicht sagen.

  • Christian Müller farbig x
    am 17.12.2020 um 23:48 Uhr
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    @Peter Lüthi: Es ist ja unbestritten, dass das damalige Referendum auf der Krim 2014 von «Kiev» nicht gestattet war. Insofern darf darüber diskutiert werden, ob die Abstimmung völkerrechtlich korrekt war. Tatsache aber ist, das haben auch meine eigenen Recherchen vor Ort auf der Krim in aller Deutlichkeit gezeigt, dass die grosse Mehrheit der Bevölkerung der Krim die Wiedervereinigung mit Russland wollte. Vielleicht nicht völkerrechtlich, aber inhaltlich, im Sinne der «Selbstbestimmung», war das Resultat des Referendums klar. Dass jetzt aufgrund eines UNO-Beschlusses – «dank» Ministaaten wie San Marino oder Liechtenstein und Andorra – die Bevölkerung (!) der Krim mit Wirtschaftssanktionen bestraft wird, ist eine Tragödie und ein Skandal zugleich. – Ich werde mich demnächst zum Thema «Selbstbestimmung der Völker» auch noch grundsätzlich äussern. Mit freundlichem Gruss, Christian Müller (der sich nicht entmutigen lässt, für die Interessen der kleinen Völker, seien es die Sahraouis oder die Palästinenser oder die Kubaner, einzustehen).

    • am 18.12.2020 um 21:35 Uhr
      Permalink

      Es freut mich, dass Sie für die Interessen kleiner Völker eintreten, im Blick auf jedes der genannten Beispiele. Das steht auch in Übereinstimmung mit den Werten von Infosperber. Unbegreiflich bleibt für mich, dass Sie und damit Infosperber konsequent für die «Rechte», besser gesagt Interessen eines Imperiums glauben eintreten zu müssen. Dass auch die Russische Föderation ein Imperium sei und entsprechend weltpolitisch ohne Rücksicht auf untergeordnetes Völkerrecht auftrete, ist keine Behauptung russlandfeindlicher NATO-Medien, sondern das stolze Selbstverständnis von Putins Politik. Kremlmedien veröffentlichten selber einen Videobeitrag mit dem Titel «Imperator Vladimir Putin» (17.8.2016: youtube/-1thqDvdPSo). Jedes Imperium behandelt kleine Völker als Manövriermasse und kann grundsätzlich deren Selbstbestimmung nicht anerkennen, höchstens sie propagandistisch nutzen, wenn es ins imperiale Konzept passt. Ich sehe keinen moralischen Ausweg als sich zu entscheiden: Entweder Sie verteidigen die Rechte kleiner Völker auf Selbstbestimmung oder die sog. Rechte eines Imperiums.

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