Kommentar

Bern begräbt kantonale Energiewende und schwächt Klimapolitik

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Die Energiewende im Gebäudebereich erlitt gestern einen neuen Rückschlag: Das Berner Volk lehnte das kantonale Energiegesetz ab.

«Die Politik erhört die Klima-Jugend», meldete gestern die NZZ am Sonntag, nachdem sie erfahren hatte, dass Umweltministerin Simonetta Sommaruga eine Delegation der klimastreikenden Jugend zum Gespräch einlädt. Das ist ja schön und populär. Wirksamer wäre allerdings, wenn die SP-Bundesrätin mit Wohnsitz in Bern die Wirtschaftsverbände und Hauseigentümer ihres Kantons ins Bundeshaus zitierte, um ihnen die Leviten zu lesen. Denn diese Lobby, im Parlament vertreten durch SVP und FDP, sorgte in Bern und sorgt in weiteren Kantonen dafür, dass ein wesentlicher Teil der Schweizer Energiewende und Klimapolitik blockiert bleibt.

Die Hälfte des Energiekonsums regeln die Kantone

Dabei handelt es sich um die Massnahmen im Bereich Gebäude, die Bundesrat und Parlament in ihrer (vom Volk 2017 befürworteten) neuen Energiestrategie an die Kantone delegiert hatten. Diese Delegation, die ebenfalls auf Druck von Wirtschaftsverbänden und Kantonsregierungen erfolgte und von der bürgerlichen Mehrheit durchgesetzt wurde, war und ist von Belang. Denn der Anteil der Gebäude am gesamten Schweizer Energieverbrauch beträgt annähernd 50 Prozent, und rund ein Drittel aller CO2-Emissionen entweicht aus Wohn- und Industriebauten. Weil die Lebenszeit von Gebäuden sowie die Sanierungszyklen sehr lang sind, wirken sich energetische Massnahmen oder Unterlassungen in diesem Bereich besonders stark aus.

Die Energiepolitik in den Kantonen basiert auf Mustervorschriften mit dem Kürzel MuKEn, welche die Konferenz der Energiedirektoren periodisch beschliesst; dies tat sie zuletzt 2014. Diese MuKEn verlangen für Neubauten oder bei Sanierungen von Altbauten wahlweise eine Abkehr von fossilen Heizungen, eine teilweise Nutzung von erneuerbarer Energie oder eine bessere Wärmedämmung (Mehr Details darüber auf Infosperber vom 11. Juni 2018) . Damit liesse sich die Energieeffizienz in Gebäuden stark steigern und der Anteil der erneuerbaren Energie deutlich erhöhen. «Liesse» steht bewusst im Konjujnktiv, denn verbindlich werden diese Musternormen erst, wenn die 26 Kantone sie in ihren Energiegesetzen verankern.

Umsetzung verhindert oder verzögert

Hier harzt es: Bis heute, so zeigt eine Aufstellung der Energiedirektoren, haben erst die kleinen Kantone Basel-Stadt, Basel-Land, Obwalden, Luzern, Jura sowie die Waadt die MuKEen von 2014 im Energiegesetz ganz oder teilweise festgeschrieben. Die Kantone Uri und Solothurn lehnten die Übernahme dieser Mustervorschriften schon früher ab. Und gestern unterstützten wie erwähnt auch die Abstimmenden im Kanton Bern das Referendum gegen die Gesetzesrevision.

In allen andern Kantonen sind die entsprechenden Reformen der Energiegesetze hängig oder noch gar nicht eingeleitet worden. Und in den meisten dieser Kantone zeichnet sich ebenfalls ein erbitterter Widerstand von Wirtschaftsorganisationen und Rechtsparteien ab. Das bestätigt die Befürchtung, dass das Prinzip Freiwilligkeit, das die Kantone mit ihren unverbindlichen Mustervorschriften hoch halten, die Ziele der nationalen Energiestrategie zu frommen Wünschen degradiert.

Ein Hohn für die vom Klimawandel betroffene Jugend

Die knappe Ablehnung der Revision im Kanton Bern (50,6 % Nein-Stimmen) ist ein besonders herber Rückschlag für die Schweizer Energie- und Klimapolitik. Denn Bern ist nach Zürich der Kanton mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, und er war einst Pionier bei der Förderung von erneuerbarer Energie. Ein Hohn ist der negative Entscheid insbesondere für die Jugendlichen, die seit Wochen auf der Strasse für eine griffige Klimapolitik (Null CO2 schon ab 2030) demonstrieren. Denn sie werden unter den negativen Folgen des Klimawandels viel länger leiden als der Durchschnitt der Nein-Stimmenden im Kanton Bern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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8 Meinungen

  • am 11.02.2019 um 00:36 Uhr
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    Knappe Ablehnung des Berner Energiegesetzes. Pech. Und ein falsches politisches Signal.
    Vielfältige Gründe dürfen für die Ablehnung vermutet werden. Wenig klare Vorlage bezüglich Zielen und vor allem Massnahmen. Wären neue Bewilligungsverfahren eingeführt worden? Welche und für was genau? Welche Rollen hätten die 12 Sanierungsvarianten gemäss MuKen gespielt? Sind diese wirklich sinnvoll? Wie hätten anderweitig Anreize für CO2-freie Gebäude geschaffen werden können. Ebenfalls blieben klare Antworten bezüglich Kosten für MieterInnen und Investoren aus. Der Schlagabtausch zwischen Gegner und Befürwortern bewegte sich auf den üblichen Allgemeinplätzen (Bürokratie contra Umwelt) mit wenig Tiefgang und Breitenwirkung. Es ist zu hoffen, dass sich die willigen Kräfte für einen CO2 freien Gebäudepark zusammensetzen und Klärungen für offene Fragen herbeiführen, u.a.: Welche Standards für Gebäude sind heute erstrebenswert? Wie können Energie-, CO2- und Wirtschaftseffekte analysiert und beurteilt werden? Welche Massnahmen sind nötig, um Investoren für ein verantwortungsvolles Handeln zu motivieren? Ausgetretene Wege sind zu verlassen oder zumindest zu revidieren. Wenn das knappe Nein zu einem neuen Aufbruch führt, dürfte Hoffnung wieder einkehren.

  • am 11.02.2019 um 11:34 Uhr
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    Der Vorlage wurden ja bereits in der parlamentarischen Behandlung Zähne gezogen, trotzdem wurde das Referendum ergriffen. Man kann jetzt weiter zuwarten und den Karren an die Wand fahren. Vor über 10 Jahren hätte man beispielsweise entscheiden können, dass in allen Mehrfamilienhaus-Neubauten Saisonspeicher für solar erwärmtes Warmwasser einzubauen seien. Die Firma Jenni in Oberburg beweist seit über 15 Jahren, dass dies zu vertretbaren Kosten möglich ist. Eine solche Vorschrift ist aber wohl in unserer Demokratie noch länger nicht mehrheitsfähig. Vernuünftige und naheliegende Lösungen haben ja eh keine Chance gegenüber Hi-Tec. Wer glaubt, dass das Heizproblem mit Wärmepumpen und Biogas zu lösen sein wird, kann weiter träumen.

  • am 11.02.2019 um 12:17 Uhr
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    Es ist immer noch bezeichnend wie jetzt in Bern jeder sich selbst noch der Nächste ist wenns ums Portemonaie geht! Viele haben noch nicht begriffen, dass es nicht um sie geht sondern um die nächsten Generationen !! Der Klimawandel ist da und da nutzt keine Vogelstrausspolitik! Es ist wie mit dem Wolf in Uri – sie sind da, da nützt das Ignorieren der Tatsachen und dass der Schutz der Haustüre nötig ist, auch nichts. Die Realität ist schon vor der Haustüre und nicht enet des Kontinents – auch das Klima!!!

  • am 11.02.2019 um 12:52 Uhr
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    Dreifachverglasung ist im Kt. Bern schon jetzt Pflicht. Auf der Sonnseite wird so auch die Wärmestrahlung abgehalten und Dreifach-IV-Elemente leben maximal halb so lang wie zweifachisolsierte Fenster. Die Lebensdauer der Fenster wird per Gesetz auf bis einen Drittel reduziert. Ist das sinnvoll? Analoges gilt für Fassadenisolationen: Schimmel, Algenbefall, daher massiver Einsatz von Bioziden an den Fassaden, Spechtlöcher in den Putznetzchen, bei Verwendung von Styropor grosse Brandrisiken. Das GIBB-Schulhaus in Bern ist im Sommer ein Brutkasten, im Winter eine Eisgrube, Lehrer und Schüler leiden. Neubau der Sanitätspolizei Bern: Gleiches Problem. Im Sommer können die Feuerwehrleute zur Angewöhnung an die Hitze bei der SanPol vorbei. In Höhen um 1200 m und mehr machen Luft-Luft-Wärmepumpen kaum Sinn, man kann fast so gut elektrisch heizen. Erdwärmesonden sind die einzige Alternative. Wo aber ein Hang in Bewegung ist, werden die abgedrückt. Minergie-Häuser erfordern eine penible, aufwändige Wartung und Desinfektion der Lüftung, was teuer ist und jährlich gemacht werden muss. Sonst breiten sich Keime in den Lüftungen aus. Legionellen, Pilze, sonstige Bakterien. Ich bin überzeugt, dass wir in 10 Jahren ein neues Krankheitsbild haben, den Minergismus, weil die Leute in diesen Plasticboxen krank werden. Betagte, die in Bauernhäusern wo der Wind durch die Ritzen pfiff, lebten, leiden sehr, wenn sie in ein minergie-zertifiziertes Altersheim müssen, das Wohnklima behagt ihnen nicht.

  • am 11.02.2019 um 15:57 Uhr
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    Schülergemeinschaften, einzelne Klassen, sollten basisdemokratisch über die Raumtemperatur in ihrem Klassenzimmer bestimmen dürfen, in einem Rahmen von
    18°-24°C, heute angeblich 22°-24°C. Jeder in der Klasse schreibt nach einer ausführlichen Diskussion eine Zahl zwischen 18-24. Die Thermostate, wenn es wenigstens die gibt, sind entsprechend auf den Durchschnittswert einzustellen.
    Die Lehrer haben das Urteil ihrer Schüler zu respektieren, auch die autoritäten.
    Nebeneffekt, frühzeitig wird partizipatives demokratisches Verhalten eingeübt.

    Die Schüler können auch mit ihren Eltern über eine Reduzierung der Raumtemperatur in den Gemeinschaftsräumen der Familie diskutieren. Im eigenen Zimmer machen sie es hoffentlich und es ist nicht unter ihrer Würde sich etwas wärmer anzuziehen.
    Ein Selfie in Instagram so warm angezogen u. der Zimmertemperatur kann was bewirken, selbst wenn bei der Zimmertemperatur etwas geschummelt wird.
    Der Firmen-Energieberater hat gesagt, dass eine Senkung von 22°-24° auf 18° je nach dem Zustand der Baulichkeiten 20-40% einspart.

    Auch wenn die Schweiz im globalen Mass-Stab bei der CO2-Einsparung relativ wenig direkt beitragen kann, ist ein gutes Vorbild nötig, was möglich ist. Üsi Zukunft wird trotzdem beeinträchtigt wenn andere Bevölkerungen nichtumdenken, gegen die arglistigen Täuschungen des fossilen Big Business.
    Der längste Weg beginnt mit vielen kleinen Schritten.

  • am 11.02.2019 um 16:12 Uhr
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    Hoffen wir, dass der Aufbruch zu einer klareren und überzeugenden, neuen Vorlage führt. Sonst muss man annehmen, die Energiewende soll sabotiert werden.

  • am 11.02.2019 um 18:32 Uhr
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    Lieber Hanspeter
    Ich finde es gut, dass das Energiegesetz in Bern abgelehnt wurde, denn ich habe Dir schon vor 39 Jahren erzählt, dass die Energiegesetze in der Schweiz fehlerhaft sind.
    Die Solarenergie wird bei den aktuellen Systemen nicht genutzt und die Thermodynamik wird nicht berücksichtigt.
    Bis heute hat sich kein Journalist an diese Problematik gewagt!
    Herzliche Grüsse
    Paul Bossert

  • am 11.02.2019 um 22:54 Uhr
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    Ein Wärmepumpenboiler hält keine 10 Jahre, denn er kann nicht entkalkt werden! Der Wirkungsgrad sinkt drastisch, je mehr Kalk drin ist und das Legionellenrisiko steigt. Berücksichtigt man die graue Energie, sind Wärmepumpenboiler nur mit destilliertem Wasser sinnvoll. Bereits vor 20 Jahren konnten sich viele Rentner ihr Häuschen kaum mehr leisten, wegen der erdrückenden Steuerlast. Der Kt. Bern ist eine Steuerhölle. Mit dem neuen Energiegesetz müssten viele weniger gut situierte Rentner sehr viel Geld in kurzlebige Haustechnik investieren. Einem Rentner wird keine Bank eine Hypothek finanzieren, für die wärmetechnische Sanierung seines «Lebenswerks». Vielleicht ist das Nein auch Folge einer viel zu hohen Staatsquote, neben Vermögens-, Liegenschafts-, Eigenmietwertbesteuerung und übrigen Abgaben haben viele nicht die Mittel, energetisch zu sanieren, es geht also um schleichende Enteignung! Meine Eltern lebten in Bern, in einem Hochhaus, das wärmetechnisch saniert wurde, indem Dreifachverglasung nachgerüstet wurde. Von da an hatten sie Schimmel, weil die Storenkästen 15 mm Novopan auf Aussenseite haben. Nicht mal die Heizkosten sanken, der Vermieter konnte die Sanierung steuerlich abziehen und verlangte 200.– mehr Miete / Monat. Für weniger Wohnfläche bezahlten sie mehr Heizkosten, als ich für mein ganzjährig bewohntes Chalet mit zwei Wohnungen und Zweifachverglasung auf 1300 m. Nota bene ist da der untere Stock nicht einmal isoliert, blosser Block-Holzbau. Aber Sonnseite.

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