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Centurion-Tower in Brugg-Windisch: Planerische Rahmenbedingungen bis zum Letzten ausgereizt © Wolfgang Hafner

Siedlungspolitik Brugg/Windisch: Zurück in die 70er-Jahre

Wolfgang Hafner /  Höher, dichter, autofreundlicher: Wie rechtsbürgerliche Parteien die Siedlungspolitik im Raum Brugg/Windisch bestimmen.

An der SVP-Delegiertenversammlung im Kanton Zürich schlossen der Präsident der SVP-Zürich, Benjamin Fischer, und der Präsident der SVP Aargau, Andreas Glarner, eine Wette ab: Welcher Kanton wird in Zukunft die neue Leuchtturmsektion der SVP sein – Aargau oder Zürich? Dank der Entwicklung im Raum Brugg/Windisch hat der Aargau Chancen diese Wette zu gewinnen. Nirgends sonst spitzen sich die politischen und ökonomischen Gegensätze um die zukünftige Gestaltung der aargauischen Gesellschaft dermassen zu wie in diesem Raum: Im Zentrum stehen dabei die Siedlungsentwicklung und der damit verbundene Ausbau des Angebotes für den Privatverkehr.
Während sich beispielsweise die Region Baden erfolgreich gegen einen Ausbau der Strassenkapazitäten vom süddeutschen Raum hin zur A1 wehrt, stimmten die Exekutiven der Gemeinden Brugg und Windisch dem entsprechenden Projekt durch ihre Gemeinden zu. Dieses – zum Teil untertunnelte – Strassenprojekt soll vorwiegend dem Durchgangsverkehr sowie der Erschliessung des beim Bahnhof Brugg liegenden Areals der Brugg Kabel AG für den Privatverkehr dienen. Dieser Autobahnzubringer würde mitten durch das Siedlungsgebiet führen.
Die Brugg Kabel AG hat ihre Produktionseinrichtungen unterdessen verkauft. Das rund 6 Hektaren umfassende Grundstück samt Gebäuden verblieb hingegen im Besitz der Brugg Immobilien AG, die hier gemäss den Exekutiven von Brugg und Windisch «dicht gesetzte Hochhäuser» bauen kann. Der Verkauf der Produktionsanlagen markiert das Ende der industriellen Ära im Raum Brugg.
Neoliberale Kräfte dominieren
Die Entwicklung des Raumes Brugg/Windisch findet vor dem Hintergrund einer verstärkten rechtsbürgerlichen politischen Ausrichtung der aargauischen FDP sowie ihrer Bündnispolitik mit der SVP statt. Hier ist ein Wandel im Gange. Ende 2019 löste sich die von Eugen Bircher im Geist der Freikorps 1918 gegründete Aargauische Vaterländische Vereinigung unter dem Präsidium von SVP-Nationalrat Andreas Glarner mangels Interesse stillschweigend auf. Ihre Funktion als rechtsbürgerliche Sammlungsorganisation übernahm der 2012 gegründete Verein Perspective CH, der vor allem zur Unterstützung von Mitgliedern bei Wahlen in Erscheinung tritt und Vorträge mit Christoph Blocher organisiert. Prominent ist im Verein Perspective CH auch die CVP mit ihrem Regierungsrat Markus Dieth vertreten. Mit dem Untergang der Vaterländischen Vereinigung und dem Aufschwung von Perspective CH verlor die Blut-und Boden-Ideologie an Bedeutung und wurde ersetzt durch neoliberale Inhalte.
Die politische Bewegung Perspective CH unter dem Präsidium des SVP- und AUNS-Mitgliedes Otto Suhner versteht sich als «Forum für Weltoffenheit und Souveränität», konkret: grösstmögliche Mobilität für Güter und den gehobenen Mittelstand. Das entspricht dem neoliberalen Konzept. Die prägende Figur von Perspective CH, Otto Suhner, dominiert wirtschaftlich den Raum Brugg-Windisch: Er ist Verwaltungsratspräsident der Brugg Holding, Verwaltungsratspräsident des Medizinischen Zentrums Brugg und war bis vor kurzem auch Vizepräsident des Verwaltungsrats der Effingermedien AG, die das regionale Publikationsorgan herausgibt.
Centurion-Tower: Rendite steht vor Ästhetik
Ein Mahnmal dieser Entwicklung ist das klotzige Hochhaus Centurion-Tower (Panzerturm) der Brugg Immobilien AG in Windisch. Hier wurden ungeachtet aller ästhetischen Kriterien die planerischen Rahmenbedingungen bis zum Letzten ausgeschöpft – und sogar überschritten. Anstatt beispielsweise den im Gestaltungsplan vorgesehenen Platzcharakter rund um das Gebäude zu erhalten, wurde eine Abfahrt in ein Untergeschoss erstellt. So konnte ein zusätzliches Stockwerk gewonnen werden. Der Panzerturm ist ein Beispiel für die praktische Umsetzung der Ideen von Perspective CH: Oben Eigentumswohnungen für den gehobenen Mittelstand, in der Mitte kleine Zweitwohnungen für mobile Ex-Pats und Professoren der nahen Fachhochschule sowie unten ein Hotel mit aargauischen Spezialitäten.
Dieses Konzept, das sich der eigenen Kultur nur noch als oberflächliches PR-Instrument bedient und sonst grossräumig im Zeichen der Profitmaximierung tabula rasa vorsieht, soll nun rücksichtslos durchgesetzt werden. So gibt es beispielsweise intensive Bestrebungen, den Denkmalschutz beim Verwaltungsgebäude der Brugg Kabel AG – einem «herausragenden Beispiel der Architektur der 50er Jahre» – aufzuheben. Das Gebäude soll abgerissen und durch ein rund 60-Meter hohes Hochhaus ersetzt werden.
Patriarchal geprägte Politik
In Windisch besteht eine starke Opposition gegen all diese Versuche der Brugg Kabel AG, eine rücksichtslose Modernisierung im Stile der 70er Jahre zu realisieren. Denn das würde eine hohe Priorität des Privatverkehrs und die siedlungspolitisch fragwürdige «dichte Setzung von Hochhäusern» bedeuten. In Brugg hingegen ist die Stimmung diffuser, auch stärker geprägt von Machtkämpfen unter Patriarchen. Sogar die grüne Stadtpräsidentin wurde in diesem Zusammenhang vermännlicht. Der (weibliche) Stadtschreiber beschied ihr bei Amtsantritt: «Bei uns heisst es ‹der Stadtschreiber› und folglich auch ‹der Stadtammann›.» So blieb es bis zum kürzlich erfolgten Rücktritt der Stadtschreiberin.
Und bis vor ein paar Wochen fand ein wahres Kesseltreiben gegen die politischen «Weicheier» der bürgerlich dominierten Schulpflege statt. Unter einem freisinnigen Präsidenten und bei klarer bürgerlicher Mehrheit wählte die Schulpflege von Brugg den ehemaligen grünen Nationalrat und Stadtammann von Baden, Geri Müller, zum Schulleiter. Ein rechtsaussen politisierendes FDP-Mitglied sowie ein SVPler organisierten daraufhin eine breite Kampagne sowohl gegen die Wahl Müllers als auch zunehmend gegen die Schulpflege, deren Abwahl sie neuerdings fordern.
Möglich, dass auch in anderen aargauischen Kleinstädten ein ähnliches Klima herrscht. Doch in Brugg mit dem Sitz des traditionell patriarchal geprägten Bauernverbandes und als Kasernenstandort dürften sich diese Tendenzen stärker abzeichnen. Es ist nur folgerichtig, dass sich auch das siedlungspolitische Leitbild nach diesen Männerphantasien richtet. Brugg soll zukünftig männlich klar, dominierend erscheinen und gegen den Himmel ragen: Hochhäuser eben, und dicht gesetzt sollen sie sein.
Demokratische Mitsprache unerwünscht
Antipode dieser Entwicklungsstrategie ist – mit einer starken Fraktion der SP – der Einwohnerrat der Gemeinde Windisch. Hier ist es ein Kampf zwischen der Legislative und der Exekutive unter Führung der SVP-Gemeindepräsidentin. Dabei versucht die Legislative angesichts der rechtsbürgerlichen Dominanz in den Gremien des Kantons und der unklaren Situation in Brugg demokratische, partizipative Vorgehensweisen durchzusetzen. Dies stösst auf den starken Widerstand des rechtsbürgerlichen Blockes in der Gemeinde und insbesondere der SVP-Gemeindepräsidentin. Diese versucht mit Unterstützung des Gemeinderates praktisch im Alleingang die Vorstellungen der Investoren zu verwirklichen. Noch vor Corona wurde beispielsweise zweimal ein «Runder Tisch» zur Klärung von Fragen zur Siedlungspolitik abgehalten. Das Ergebnis des Runden Tisches entsprach jedoch nicht den Erwartungen des Gemeinderates. Daraufhin wurde die Bedeutung dieser Veranstaltung abgewertet. Es hiess, die Sitzungen hätten bloss dazu gedient, Befindlichkeiten abzuholen.
Daneben schloss der Gemeinderat – zusammen mit der Exekutive von Brugg – Planungsvereinbarungen mit der Brugg Kabel AG, weiteren Grundeigentümern sowie dem Kanton ab, deren Inhalt unbekannt ist. Auch betreffend dem geplanten Schwerverkehrskorridor schotten sich die Exekutiven von Brugg und Windisch gegenüber demokratischer Mitsprache ab: Man verstehe ohnehin nicht, auf welcher «Flughöhe» – so die Gemeindepräsidentin – die Sache abgewickelt werde.
0:1 für Andreas Glarner
Angesichts dieser Phalanx von Gegnern einer demokratisch abgestützten Planung stellt sich die Frage, ob sich der widerständige Geist in Windisch halten kann. Bis jetzt trotzte das Fähnlein der Aufrechten den rechtsbürgerlichen Vorstössen. Und mittelfristig ist aufgrund der Zuwanderung aus städtischen Gebieten eher mit einer Stärkung der liberal-grünen Tendenzen zu rechnen. Doch fragt sich, mit welchen Mitteln Kantonsbehörden und Gemeindeexekutiven weiter versuchen die neoliberalen Vorstellungen der Investoren autoritär durchzusetzen. Gelingt dies nicht, würde das ein 0:1 für Andreas Glarner bedeuten.

Siehe auch:

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Mitglied einer Quartierentwicklungsgruppe in Windisch und unterstützte die SVP-Gemeindepräsidentin bei ihrer Wahl – in der Hoffnung auf eine volksnahe und bodenständige Politik.

Zum Infosperber-Dossier:

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Parteien und Politiker

Parteien und Politiker drängen in die Öffentlichkeit. Aber sie tun nicht immer, was sie sagen und versprechen.

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2 Meinungen

  • am 10.09.2020 um 12:42 Uhr
    Permalink

    Da die Schweiz keine Angriffsarmee hat, verfassungsrechtlich keinen Eroberungskrieg führen darf, wird man mit dem Landangebot innerhalb der heutigen Grenzen auskommen müssen. Die Schweiz ist – wenn man nicht besiedelbare Gebirge und Seen von der Landesfläche abzieht – mit das dichtest bevölkerte Land Europas. Damit einher gehen wachsender Ressourcenverschleiss und Abfallberg, Überbeanspruchung der Verkehrsflächen auch im öV und steigender Energieverbrauch. Will man an der verfehlten Wachstumspolitik festhalten, kommt man nicht umhin, Menschen in Wohnbatterien unterzubringen, also gewissermassen in Käfighaltung. Hauptsache, alle kaufen Eier von glücklichen Hühnern. Die Diskussion müsste sich um die Endlichkeit der Ressourcen und des Wachstums drehen, um die Akzeptanz von Grenzen und darum, dass Überbevölkerung die Wurzel der allermeisten Übel ist. Wir bauen Minergieschulhäuser, in denen keine Fenster geöffnet werden können und pferchen Pendler in überfüllte Züge – COVID-19 sollte als Weckruf verstanden werden, eine massvolle Siedlungs- und Einwanderungspolitik zu verfolgen. Wachstum ist nicht alles, Lebensqualität, Lebensraum, Abbau von Dichtestress und Reduktion des Verkehrsaufkommens, auch im öV, wären zentrale Elemente weitsichtiger Politik. Ich habe das Privileg, die 4.5-Millionenschweiz erlebt zu haben und kann nur sagen: «Gute, alte Zeit». Natürlich war damals nicht alles besser, aber die grassierende Überreglementierung war damals auch nicht nötig.

  • am 10.09.2020 um 21:56 Uhr
    Permalink

    Infoschnipsel aus einem Vortrag 1991 von M. Friedmann:

    "Wenn wir es nicht wagen, die Geldadelsherrschaft anzugreifen, wird es nur noch so viel Demokratie geben, dass sich das Großkapital nicht davon gestört fühlt. Milton Friedman sagte 1991 in einer Rede: „Politische Freiheit (…) hat die Tendenz, die wirtschaftliche Freiheit zu zerstören“.
    Milton Friedman ist nicht irgendwer. Er ist einer der Hauptarchitekten und Vordenker des heute fast weltweit verbreiteten Neoliberalismus und dürfte damit der einflussreichste Ökonom der letzten 50 Jahre sein. Er stellt in dieser Rede eine wichtige Frage: Ob wirtschaftliche und politische Freiheit miteinander vereinbar sind oder nicht. Hat eine neoliberale, wenig regulierte, wenig soziale Marktwirtschaft die Tendenz, die politische Freiheit und die Demokratie zu zerstören?

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