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In Washington regieren Lobbyisten © cc

«Das organisierte Geld übernimmt die Macht»

Red. /  George Packer: Seit dem Neo-Liberalismus unter Reagan bleibt eine skrupellose Elite und eine machtlose Mittel- und Unterschicht.

«Die innere Geschichte des neuen Amerika» heisst der Untertitel des «New York Times»-Bestsellers «Die Abwicklung». NYT-Mitarbeiter und Sachbuchautor George Packer zeigt aufgrund von eindrücklichen Biografien den Zustand der heutigen USA auf.


Die Biografien gleichen der Vivisektion einer Nation von fast 320 Millionen Menschen, die sozial, wirtschaftlich, politisch und normativ auseinanderdriften. Die Roosevelt-Republik mit ihrer staatlichen Vorsorge, ihren Gewerkschaften sowie Einschränkungen monopolistischer und finanzwirtschaftlicher Machtansprüche löst sich seit mehr als zwei Jahrzehnten auf: «Die Lücke schloss eine Macht, die in Amerika immer zur Stelle ist: das organisierte Geld
Sechs Erben besitzen so viel wie 30 Prozent der US-Gesellschaft

Unter Packers exemplarischen US-Bürgern finden sich Bill und Hillary Clinton, Newt Gingrich, der als populistischer Oppositionsführer den US-Präsidenten in der Lewinsky-Affäre an den Rand seiner Absetzung drängte. Oder die Milliardärin Oprah Winfrey. Oder der Erfinder der Supermarktkette Wal-Mart, Sam Walton, dessen sechs Erben nach Angaben Packers heute genauso viel Vermögen besitzen wie die unteren 30 Prozent der amerikanischen Gesellschaft.
Der isolierte Aussenminister Colin Powell

Oder der erste schwarze Generalstabschef und spätere Aussenminister Colin Powell. Wegen seines Pflichtbewusstseins rechtfertigte er wider besseres Wissen den zweiten Irakkrieg. Er versuchte, innerhalb der institutionellen Strukturen zu funktionieren, und merkte nicht, dass die Regierung längst durchsetzt war mit Ideologen und Handlangern, welche die tragenden Institutionen verachteten. Er merkte zu spät, dass sie ihn isoliert hatten, dass er verloren hatte.

Antiamerikanismus lässt Packer nicht gelten
Den Vorwurf, mit seinem Buch einem verbreiteten Antiamerikanismus Vorschub zu leisten, wehrt der Autor ab. Er stütze seine Kritik auf die demokratischen Versprechen der amerikanischen Verfassungsgeschichte:

  1. Gleichheit vor dem Gesetz;
  2. Gerechtigkeit vor Gerichten;
  3. pluralistische Repräsentation aller Bürger in den Parlamenten und im Senat.

An diesen drei Forderungen misst Packer die Realität seines Landes. Als konservativer Analytiker äussert er seine Enttäuschung über die verheerenden Lebensbedingungen in den verrottenden Gegenden ehemaliger Industriezentren im Mittelwesten.
Die Sünde Präsident Clintons
Hart ins Gericht geht Packer mit Bill Clinton, weil dieser während seiner zweiten Amtszeit die bewährte Regulierung der Banken aufhob, nämlich das «Glass-Steagall-Gesetz», das den Handel mit Derivaten der Börsenaufsicht unterstellt hatte. Das Gesetz hatte kurz nach der Weltwirtschaftskrise nach 1929 eine feste Mauer errichtet zwischen den Konten privater Sparer und dem Investmentgeschäft der Banken. Seit Clintons Schleifen dieser Mauer hat die Finanzlobby mit Erfolg verhindert, dass sie wieder errichtet wird. Deshalb trugen die Sparer das Risiko mit, als Grossbanken Schwindlern lukrative Milliardenkredite gaben, die damit überteuerte Schrottimmobilien kauften.
Paradefall Jeff Connaughton

Es sei hier noch aus einer Biographie zitiert, die den heutigen Zustand der USA besonders gut illustriert: Jeff Cannaughton. Er arbeitete bei der Investmentbank Smith Barney, bevor er sich 1987 als Fundraiser für den Präsidentschaftskandidaten Joe Biden anstellen liess. Cannaugthon war vom charismatischen Biden so stark eingenommen, dass er eine erhebliche Lohneinbusse in Kauf nahm.
Als jedoch auskam, dass Biden Teile seiner Reden andern abgeschrieben hatte, zog dieser seine Kandidatur zurück. Cannaughton studierte darauf Rechtswissenschaften in Stanford und begann 1994 für Abner Mikva, den Vorsitzenden des Berufungsgerichts in Washington zu arbeiten. Er folgte Mikva, als dieser als Rechtsberater mit Clinton ins Weisse Haus einzog. Dort beobachtete Cannaughton, wie Clinton seine angekündigten Pläne zur Regulierung des Finanzsektors langsam schubladisierte und immer mehr den Forderungen der Wall Street nachgab.
1996 liess sich Cannaughton bei der Anwaltskanzlei Arnold & Porter anstellen. Es sei normal geworden, dass Leute aus hohen Posten ausscheiden und Lobbyisten werden. Es habe das «goldene Zeitalter des Lobbyismus» begonnen.
Als sich Joe Biden im Jahr 2009 erneut um die US-Präsidentschaft bemühte, folgte ihm Cannaughton wieder. Er hatte mit Subprime-Papieren überbewerteter Immobilien selbst viel Geld verloren und war empört, dass die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Die Zeit war günstig, dachte er wie viele, für ein Aufräumen, denn die Finanzkrise hatte die Probleme ans Tageslicht gebracht. Die Politik brauchte nur zu handeln.
«Wallstreet Always Wins»
Als Biden Vizepräsident wurde, erbte dessen Stabschef Ted Kaufman den Senatssitz und stellte Cannaughton in seinem Senatsbüro als Leiter ein.
Doch als Kaufman eine Gesetzesinitiative starten wollte, um die Macht der Finanzelite zu begrenzen, kam er nicht weit. Es passierte nichts. Frustriert schrieb Cannaughton ein Buch mit dem Titel «The Payoff: Why Wallstreet Always Wins».
Für Autor und NYT-Redaktor George Packer ein weiterer Beweis dafür, dass heute in Washington mehr denn je die Lobbys das Sagen haben.

Siehe auch
«Was die Wachstumszahlen in den USA vernebeln», 16.5.2015


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

George Packer ist Autor der Zeitschrift «The New Yorker» und schreibt als freier Journalist für «The New York Times» und für das «Harper's Magazine».

Zum Infosperber-Dossier:

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Macht und Einfluss von Lobbys

Für Anliegen zu lobbyieren ist legitim. Doch allzu mächtige Lobbys korrumpieren Politik und Gesellschaft.

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Politik in der Hand von Konzernen

Weltkonzerne sind mächtiger als manche Regierungen. Parlamente haben sie mit Lobbyisten und Geld im Griff.

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5 Meinungen

  • am 3.08.2015 um 13:51 Uhr
    Permalink

    Das war doch schon immer so!?!

  • am 3.08.2015 um 14:07 Uhr
    Permalink

    Ich habe 14 Jahren in den USA gelebt. In 2010 entschied such die US Supreme Court im Citizen United Fall fuer die Corporations. In der CH ist die Menge Geld mit dem Lobbying entsprechend hoch. Ob in den USA, Italien, Spanien, Griechenland oder unserer kleinen SeifenBlase (CH) sind die AktivistInnen, die meistens auch politisch wach sind, dieser Tatsache wohl bekannt. Nun ist die Frage inwieweit es nuetzt das was wir schon als das Hauptproblem wissen weiter zu hammern, wenn wir in der Welt, in der Linken, among Progressiven, CH-Foederalisten, oder sonst wie auch man sie nennt, nicht faehig sind, sich hinter die simpelste von Ideen zu versammeln und die Spiel Regelnd der Demokratie einfach und schnell, global wieder herzustellen? Wer offen fuer neue Strategien ist, suchst sie, wie repeace dot com, Z.B. (bald fuer die CH?). Ansonsten macht man das gleiche weiter, wieder und wieder, und erwartet ein Wunder (wie Einstein sagte).

  • am 19.08.2015 um 13:52 Uhr
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    Diese Idee, dass das Lobbying eine eher neue Bedrohung an die Demokratie sei, ist aber irrtuemlich. David Graham Phillips, wrote eine Serie im U.S. Cosmopolitan in 1906(!!). Es hiess «the Treason of the Senate» in der Serie, die Sie Googlen koennen, schrieb er:

    "Treason is a strong word, but not too strong, rather too weak, to characterize the situation which the Senate is the eager, resourceful, indefatigable agent of interests as hostile to the American people as any invading army could be, and vastly more dangerous: interests that manipulate the prosperity produced by all, so that it heaps up riches for the few; interests whose growth and power can only mean the degradation of the people, of the educated into sycophants, of the masses toward serfdom.

    The Senators are not elected by the people; they are elected by the «interests». A servant obeys him who can punish and dismiss. Except in extreme and rare and negligible instances can the people either elect or dismiss a senator? The senator, in the dilemma which the careless ignorance of the people thrusts upon him, chooses to be comfortable, placed and honoured, and a traitor to oath and people rather than to be true to his oath and poor and ejected into private life."
    — David Graham Phillips, Cosmopolitan (March, 1906)

    Die mangelnde Transparenz in allen Laendern, kann in einer globalen Nachfrage nach Transparenz umgesetzt werden. Das wird zurzeit auf English in den USA durch die repeace.com Kampagne getan.

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