Jinping

Er führt die KP seit November 2012 © Screenshot

Parteichef Xi Jingping: Dieser Mann kommt an

Peter G. Achten /  Chinesen sind zynisch und respektlos, wenn es um Politiker geht. Doch mit der neuen Führung hat sich fast unmerklich was verändert.

Spricht man mit einem Taxichauffeur, einer klugen Pekingerin oder einem Nudel schlürfenden Pekinger in einem der vielen kleinen Strassenrestaurant, dann hat sich in Gesprächen über Politiker und Beamte gegenüber früher der Ton merklich ins Positive verändert. Natürlich werden noch immer politisch inkorrekte Witze über die kommunistischen Bürokraten gerissen, je höher umso frecher.

Doch die ersten Auftritte und Reden von Parteichef Xi Jinping nach dem entscheidenden 18. Parteitag in Peking Mitte November haben Wirkung erzielt. Bei einem Auftritt entschuldigte sich Xi sogar wegen seiner 45-minütigen Verspätung. So etwas hat man in China von einem hohen Funktionär noch nie gehört. «Doch, doch», sagt Xiao Zhang im Dongfeng-Restaurant im nördlichen Pekinger Chaoyang Distrikt, «was Xi sagt, hat Hand und Fuss». Am Nebentisch meint Lee Wang etwas altklug: «Den Worten müssen Taten folgen».

Ein Minimum an ideologischen Floskeln

Immerhin, gegenüber seinem Vorgänger, Parteichef Hu Jintao, der immer ab Blatt seine langen Reden verlas und ziemlich hölzern wirkte, bringt Xi Jinping seine Botschaft selbstsicher, freundlich, entspannt und mit voluminöser Bariton-Stimme an seine Landsleute. Dazu frei und ohne Manuskript, in angemessener Kürze. Auch inhaltlich hat sich in den wenigen Wochen seit Xi Partei- und Militärchef ist, einiges geändert. Von Chinas Apparatschiks fordert Xi Jinping nichts weniger als alte, eingefahrene Abläufe auf den Kopf zu stellen. Also weniger Rote Teppiche, weniger Phrasen und leere Worte, weniger Bankette, weniger Frivolität, kürzere Konferenzen und Sitzungen, weniger Reden, mehr Diskussionen und vor allem mehr harte Arbeit. Xi geht bei seinen parteilichen aber auch öffentlichen Interventionen noch einen Schritt weiter. Er verwendet ein Minimum an ideologischen Floskeln und streut da und dort Zitate aus klassischen Gedichten ein. Zum Beispiel von Li Bai, dem grossen Dichter der Tang-Dynastie aus dem 7. Jahrhundert. Die Botschaft eines dieser Gedichte, von Parteichef Xi genüsslich zitiert, heisst: die weisen Führer müssen auf ein angenehmes Leben verzichten und sich mehr Gedanken darüber machen, welcher Weg für das Land einzuschlagen ist.

Vorgelebt hat Xi Jinping seine Gebote gleich selbst. Bei seiner Südtour nach Kanton und in die Sonderwirtschaftszone Shenzhen keine roten Teppiche, keine Worthülsen und Phrasen, keine Bücklings – nur harte Arbeit. Mit der Suedtour hat Xi dem grossen Revolutionär und Reformer Deng Xiaoping seine Referenz erwiesen. Deng nämlich entfachte mit seiner Südtour vor genau zwanzig Jahren einen neuen Reformschub mit ganz ähnlichen Slogans wie jetzt Xi. Auch die jährliche Wirtschaftskonferenz präsidierte der neue Parteichef mit schon fast beängstigender Effizienz, ein klares Zeichen an sämtliche Kader vom kleinsten bis zum höchsten Funktionär. Das skizzierte Wirtschaftsprogramm ist gut chinesisch pragmatisch: mehr Reformen, mehr Konsum, mehr Binnennachfrage, mehr Innovation, weniger grosse Kluft zwischen Reich und Arm, proaktive Fiskal- und vorsichtige Geldpolitik, höherer Lebensstandard. Am Nationalen Volkskongress muss es zwar noch abgesegnet werden, was natürlich in der kommunistisch-konfuzianischen Demokratie chinesische Prägung kein Problem ist. Ohne Firlefanz ist die Reform kaum ein Monat nach dem Parteitag auf gutem Wege.

Fast nur Lob auf Weibo, dem chinesischen Twitter

Die allmächtige Partei wird wird von Xi Jinping zwar erwähnt, aber noch mehr die Menschen. «Das Volk», so Xi, «hat Geschichte gemacht. Die Menschen sind die wahren Helden. Das Volk ist die Quelle unserer Macht und unserer Stärke».

Nicht nur auf der Strasse wird bislang Xis Auftritt wohlwollend kommentiert. Auf Weibo, dem chinesischen Pendant von Twitter, erhält Xi fast nur Lob. Allerdings war dort auch zu lesen: «Wer ist Xi Jinping?». Die Antwort kam prompt: «Xi ist Peng Liyuans Ehemann». Frage und Antwort sind unterdessen in China zum viel erzählten, liebevollen Witz geworden. Bis vor kurzem nämlich war Xi nur Parteikadern, Intellektuellen und allenfalls den politisch Interessierten bekannt. Peng Liyuan hingegen ist als Sängerin von Volks- und Revolutionsliedern seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts ein Mega-Star.

Das Politbüro der «starken Sieben»

C’est le ton qui fait la musique – also auch in China. Aber nicht nur. Der neue Parteichef wird als Primus inter Pares mit seinen sechs Mitstreitern im Ständigen Ausschuss des Politbüros – «den Starken Sieben», dem obersten Machtzentrum der Volksrepublik – in den nächsten Jahren gewaltige Probleme lösen müssen. Xi sprach bedeutungsschwanger aber gelassen von der «Grossen Erneuerung der Chinesischen Nation» zu einem «starken und wohlhabenden Land».

Ein neues, nachhaltiges Wirtschaftsmodell ist gefragt, also weniger Investitionen in Infrastruktur und weniger Abhängigkeit vom Export hin zu mehr Konsum und Binnennachfrage. Oben auf der Traktandenliste stehen weitere Reformen des Finanz- und Bankensystems und der Staatsbetriebe sowie politische Reformen und Umweltfragen.

Die Wunschliste des Durchschnittschinesen

Liu Shengjun, Kolumnist der Shanghaier Caixin-Medien, brachte die Herausforderungen Chinas in einer Wunschliste konkret und farbig auf den Punkt. Erstens: nicht mehr nach Übersee reisen, um sauberes Baby-Milchpulver kaufen zu können. Zweitens: Die Möglichkeit haben, im Supermarket saubere, sichere Lebensmittel zu kaufen. Drittens: Angestellte sollen nicht mehr länger zu Hypotheken-Sklaven reduziert werden. Viertens: die Umweltverschmutzung soll nicht noch schlimmer werden. Fünftens: Die Kluft zwischen Arm und Reich soll nicht noch grösser werden. Sechstens: Privat-Unternehmer sollen nicht mehr Emigration wählen. Siebtens: Möglichst wenige korrupte Beamte. Achtens: Die Börse soll sich von einer Geldwäschmaschine zu einem Ort der legitimen Wertvermehrung wandeln. Neuntens: Der Familien-Hintergrund soll für Menschen keine Rolle mehr spielen. Zehntens: Die Staatsmacht soll auf Grundlage des Rechtes ausgeübt werden.

Die Wunschliste von Kolumnist Liu ist ziemlich komplett. Für Parteichef Xi Jinping wartet also eine Riesenaufgabe. Laobaixing, wie der Durchschnittschinese genannt wird, lässt sich aber nicht so leicht ein X für ein U vormachen, besonders nicht in der Hauptstadt Peking. Die Arbeiter und Angestellten werden «jenen da Oben» in den kommenden Monaten und Jahren genau auf die Finger schauen. Wenn Chinas neuer Parteichef Xi Jinping halten kann, was er jetzt verspricht, wird Laobaixing am Ende von Xi Jinpings zehnjährigen Amtszeit 2022 vielleicht fragen: «Wer ist Peng Liyuan?». Und lachend wird man antworten: «Die Frau von Parteichef Xi».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Flagge_China

Chinas Innenpolitik

Hohe Wachstumszahlen; riesige Devisenreserven; sozialer Konfliktstoff; Umweltzerstörung; Herrschaft einer Partei

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