Kommentar

Nach der (Un)Sicherheitskonferenz: Verkehrte Welt?

Erich Gysling © zvg

Erich Gysling /  Drohungen statt konstruktiver Dialog: Rückblickend wirkt die «Münchner Sicherheitskonferenz» streckenweise wie absurdes Theater.

Israels Premier, dessen Militär über mindestens 150 Atomsprengköpfe und zielgenaue Langstreckenraketen verfügt, bezichtigt Iran, das keine Atombombe hat, der nuklearen Bedrohung. Die USA, mit einem Militärbudget von mehr als 700 Milliarden Dollar und 780 Basen weltweit, beschuldigen Russland (Militärausgaben im letzten Jahr von etwas mehr als 70 Milliarden, Basen im Ausland zwischen 20 und 25), die westliche Welt und deren Werte massiv zu gefährden. Sogar der ehemalige US-Vizepräsident Joe Biden (ein Mann der Obama-Administration!) erklärte, Russland sei DIE grosse Bedrohung des Westens. Die britische (Noch)-Premierministerin, Theresa May, erhielt grosses Lob für ihr «Versprechen», auch nach dem Brexit mit den EU-Ländern eine Sicherheits-Allianz zu bilden. Warum? Weil Europa der Bedrohung von aussen, konkret vom Osten, noch konkreter von Russland, entschlossen entgegentreten müsse. Russland sei dabei, massiv aufzurüsten und bedrohe den Westen tagtäglich. Das Votum des deutschen Noch-Aussenministers Gabriel, man müsse sich überlegen, die Sanktionen gegen Russland stufenweise zurückzufahren, fiel im Münchner Gremium förmlich ins Leere: Wie kann man nur …
Das soll nicht heissen, dass Russland gegenüber dem Ausland «harmlos» sei: Nein, der Kreml sorgte dafür, dass sich russische Freischärler, massiv unterstützt durch die Regierung, im Konflikt der Ostukraine engagierten und weiterhin engagieren. Aber so ganz schwarz / weiss ist die Sachlage im Osten der Ukraine nicht – Poroschenko und sein Team tragen eine Menge Mitverantwortung für die desolate, ja sich erneut verschärfende Lage. Und ja, Putin arrangierte 2014 das Referendum in der Krim und annektierte die Halbinsel schliesslich in Missachtung von internationalen Verträgen – aber die damalige Führung der Ukraine tat ja auch (mit Unterstützung der USA) das ihre, um die Russen vor den Kopf zu stossen. Sie wollte so bald wie möglich der Nato beitreten, was bedeutet hätte, dass die russische Marinebasis Sewastopol auf der Krim zumindest indirekt unter die Kontrolle der den Russen nicht freundlich gesinnten Nato gelangt wäre.
Man kann lange argumentieren, die Nato stelle keine Bedrohung für Russland dar – für Russlands Führung, ja auch für die überwiegende Mehrheit der russischen Bevölkerung aber hat der Westen insgesamt, verkörpert vor allem durch die Nato, Russland mehr als zwei Jahrzehnte lang konsequent gekränkt. Wir können auch spekulieren, ob und wie massiv russische Cyber-Angriffe den US-amerikanischen Wahlkampf beeinflusst haben – aber es waren ja nicht russische «Trolle», die gut zehn Tage vor dem Tag der US-Präsidentschaftswahl im Herbst 2016 problematische Informationen über die E-Mail-Nutzung von Hillary Clinton veröffentlichten, sondern es war der damalige FBI-Chef, James Comey. Und schliesslich darf den Amerikanerinnen und Amerikanern für ihre Entscheidung am Wahltag auch noch eine gewisse Eigenverantwortung zugemutet werden – oder hatten die russischen «Trolle» auch da noch so viel Macht?
Für die in den westeuropäischen Ländern verantwortlichen Politiker / Politikerinnen stellt sich nach der Münchner (Un)Sicherheitskonferenz die Frage, ob sie dem Drängen der USA auf Erhöhung der Ausgaben für das Militär nachgeben wollen oder nicht. Oder konkreter: Ob sie in den Chor jener einstimmen sollen, die einen neuen Kalten Krieg als unausweichlich, ja oft schon als bereits unwiderlegbare Tatsache darstellen. Hat Europa, haben wir, nicht andere Prioritäten?

Siehe auch:


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

Kalter_Krieg

Der Kalte Krieg bricht wieder aus

Die Grossmächte setzen bei ihrer Machtpolitik vermehrt wieder aufs Militär und gegenseitige Verleumdungen.

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