Sperberauge

Überraschende Offensive des Bundesrats

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

Urs P. Gasche /  Konzerne sollen endlich für Transparenz sorgen und Angestellte in Verwaltungsräten mitbestimmen lassen.

Eine staatliche Kontrolle der multinationalen Grosskonzerne wie Nestlé, Hoffmann-La-Roche, die Grossbanken und die Versicherungen forderte Bundesrat Johann Schneider-Ammann an einem Treffen zwischen hohen Chefbeamten des Bundes und Spitzenvertretern der Privatwirtschaft in Luzern.
Mangels Transparenz sei es heute «den Konsumenten nicht möglich, zwischen den Angeboten nach wirtschaftlichen Kriterien auszuwählen und damit ihre marktregulierende Rolle zu spielen». Der Wirtschaftsminister nannte das Beispiel der Lebensversicherungen: «Wer eine solche abschliessen möchte, kann die Unterschiede der Leistungen unmöglich vergleichen.»

Der Staat verliert Kontrolle

Konzerne könnten auch staatlichen Aufgaben in die Quere kommen. Internationale Konzerne und Grossbanken könnten «Kapital lenken und dem Markt entziehen und sich damit staatlichen Eingriffsmöglichkeiten, die konjunktur- und wirtschaftspolitisch notwendig sind, weitgehend entziehen».
Der Bundesrat muss es wissen: «Die politische Willensbildung der Regierung kommt nicht mehr oder nur teilweise zum Tragen.» Über die politische Einmischung von multinationalen Konzernen sowohl in Industriestaaten wie auch in Entwicklungsländern sei schon genügend geschrieben worden. Und der Einfluss von Schweizer Unternehmen auf die nationale Gesetzgebung sei seit 1947 im «vorparlamentarischen Vernehmlassungsverfahren» institutionalisiert.

Für Arbeitnehmervertretungen in den Verwaltungsräten

Schneider-Ammann sprach auch die «Too big to fail»-Problematik an. Bankrotte Konzerne müssten vom Staat über Wasser gehalten werden: «Der Staat muss das Unternehmerrisiko mittragen und im Falle des finanziellen Zusammenbruchs gegebenenfalls öffentliche Mittel bereitstellen, um viele andere Existenzen vor dem Ruin zu bewahren.»
Deshalb sei es gerechtfertigt, von den Konzernen und Grossbanken eine «öffentliche Rechnungsführung» zu verlangen. Zudem forderte der Bundesrat ein «ausgewogenes und angemessenes Mitbestimmungsrecht» der Arbeiter und Angestellten im Verwaltungsrat. Denn – so der Bundesrat weiter – ein Rückschlag oder Zusammenbruch eines modernen Konzerns treffe nicht nur Manager und Aktionäre, sondern Tausende von Arbeitern und Angestellten. Doch diese wüssten heute nicht, «mit welchen Karten die Manager spielen».
Schneider-Ammann wollte sich jedoch nicht darauf festlegen, ob er eine minoritäre, paritätische oder qualifizierte Mitbestimmung in den Verwaltungsräten ins Auge fasst. Jedenfalls müssten Vorschläge über ein «ausgewogenes und angemessenes Mitbestimmungsrecht» der Angestellten im Verwaltungsrat vorangetrieben werden.
Die obigen direkten und indirekten Zitate sind alle wahrheitsgetreu wiedergegeben. Aber sie stammen nicht vom heutigen Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, sondern vom früheren Justiz- und dann Wirtschaftsminister Kurt Furgler aus dem Jahr 1972. Zitate aus der Berichterstattung im «Der Landbote» vom 9.11.1972 und in der «Basler AZ» ebenfalls vom 9.11.1972.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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