Kommentar

Sprachlust: Saarland zwei-, Elsass einsprachig?

Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Daniel Goldstein /  Am Rhein begegnen sich Sprachen, aber auch politische Systeme. Deutschland weicht die Sprachgrenze auf, Frankreich härtet sie.

Europa mag kriseln, aber im Saarland ist die europäische Idee lebendig: Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) verfolgt seit 2014 eine «Frankreich-Strategie», um ihr Bundesland «als Brücke nach Deutschland und als Tor zu Frankreich unentbehrlich» zu machen. Innert einer Generation soll Französisch als zweite Umgangssprache etabliert werden; schon jetzt will sich das Saarland als bevorzugter Standort für grenzübergreifende Institutionen und Unternehmen profilieren. Nach einer wechselvollen Geschichte hatte das Stimmvolk 1955 das zwischen Paris und Bonn ausgehandelte «europäische Statut» mit wirtschaftlichem Primat Frankreichs wuchtig verworfen. Die Zugehörigkeit zu Deutschland ist seither wohl endgültig besiegelt, aber sprachlich soll nun die Grenze noch durchlässiger werden, als sie in der EU ohnehin ist.
Als Königsweg zur Zweisprachigkeit dient schon jetzt die Schule. Bereits in der Hälfte der Kitas findet die Betreuung gleichermassen in beiden Sprachen statt, und in der Schule wird Französisch von der ersten Klasse an angeboten. Dieser Unterricht soll obligatorisch werden, aber das stösst auf Widerstand: Wohnortwechsel würden erschwert, weil in den andern Bundesländern Englisch Priorität hat. Nur ganz am Rand wurde grundsätzliche Kritik laut: So verschiebe man die Sprachgrenze ostwärts. Davon kann keine Rede sein, nur schon weil Deutsch die alleinige Amtssprache bleiben soll. Kommt die Zweisprachigkeit im Alltag zustande, so wird der Begriff «Sprachgrenze» hier zum Museumsstück.
Paris mit Grand Est
Nun stelle man sich vor, etwas weiter südlich, in Lothringen oder im Elsass, rufe eine Regionalregierung eine ähnliche «Deutschland-Strategie» aus – durch Frankreich ginge ein Aufschrei gegen derlei «revanchistische Machenschaften», und Paris würde jeder Verwirklichung einen Riegel schieben. Allerdings haben die erst 1982 geschaffenen französischen Regionen im Bildungswesen ohnehin nicht viel zu sagen, und die Regionen Elsass sowie Lothringen gibt es seit Anfang dieses Jahres gar nicht mehr. Sie sind mit Champagne-Ardenne, bis ans Pariser Umland reichend, zu einer einzigen Region verschmolzen worden, die Grand Est heissen soll.
Der Regionalrat des neuen Gebildes tagt zwar in Strassburg, aber für die elsässische Minderheit werde es «schier unmöglich» sein, weiterhin Geld für Deutschunterricht lockerzumachen. Das schreibt der Elsässer Claude Otto, Dozent für Germanistik an der Universität des Saarlands, in der Zeitschrift «Sprachspiegel». An Elsässer Schulen gab es bisher mehr Deutschangebote als im übrigen Frankreich, bis hin zu zweisprachigen Klassen an der Primarschule. Doch man kann alle Stufen auch durchlaufen, ohne Deutsch zu lernen.
Deutsch nur noch fremd
Deutsch wird damit im Elsass zunehmend zu einer Fremdsprache wie eine andere auch. Der Dialekt, auf dem der Deutschunterricht aufbauen könnte, ist am Verschwinden: Gemäss einer Umfrage von 2012 sprechen ihn nur noch 3 Prozent der Kinder. Zwar ist «alsacien» (ohne «allemand») als Regionalsprache anerkannt, aber ohne die vollen Rechte, die Minderheitensprachen gemäss Europarat zustehen: Frankreich hat die entsprechende Konvention nicht in Kraft gesetzt. Die «eine und unteilbare» Republik definiert sich gerade auch über die französische Staatssprache.
Der Idee, in einer Grenzregion die Zweisprachigkeit zu fördern, steht in Frankreich nicht nur der Sprachnationalismus entgegen, sondern auch der Zentralismus: Trotz Bildung und Umbildung von Regionen hat Paris in fast allem das letzte Wort, auch in der Bildung (und Unbildung). Damit wird es dem Elsass und dem traditionell ebenfalls deutschsprachigen Teil Lothringens verwehrt, dem Beispiel des Saarlands nachzueifern. Und die europäischen Institutionen in Strassburg stehen in einem Umfeld, das sich sprachlich gesehen immer weiter davon entfernt, ein Vorbild europäischen Zusammenlebens zu bieten.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlust»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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