Kroatien

Am Bahnhof Tovarnik ist die Situation heute ruhig. Flüchtlinge auf dem Weg nach Ungarn © Joris Jehle

Türe offen, solange die Hintertür offen ist

Matthias Strasser /  Kroatien schleust Flüchtlinge möglichst rasch in andere Länder weiter. Das geht gut, solange die Grenzen der Folgeländer offen sind

Wohin fährt der Zug? «Ich weiss es nicht. Weg, einfach weg!» Der Polizist am Bahnhof in Tovarnik beantwortet die Frage nicht zum ersten Mal. Den Flüchtlingen gibt er manchmal eine klare Antwort. Mal sagt er «Slowenien», mal «Ungarn». Sie sollten nur schnell in den Gratis-Zug der kroatischen Regierung steigen.

Der Zustrom an Flüchtlingen, welche die serbisch-kroatische Grenze überquerten, hielt in den vergangenen Tagen unvermindert an. Alleine am vergangenen Freitag kamen nach Angaben des Innenministeriums 10’000 Schutzsuchende in Kroatien an – ein Rekord, seit das Land vor zwei Wochen zum Transitland auf der Balkanroute geworden ist. 77’000 Flüchtlinge haben das Land nach Angaben des Innenministeriums bis Montag durchquert. Das improvisierte Flüchtlingslager Opatovac hat lediglich eine geschätzte Kapazität von 4’000 Personen.

Angesichts dieser Zahlen hat das Land seine Strategien zur Bewältigung des Flüchtlingsansturms optimiert. Die Situation am Bahnhof Tovarnik und beim Flüchtlingslager in Opatovac haben die Behörden besser unter Kontrolle, als noch vor zwei Wochen. Bus für Bus werden die Flüchtlinge aus dem Aufnahmelager Opatovac nach Tavornik zum Bahnhof gefahren und zum Zug begleitet. Oder die Busse fahren direkt vom Lager an die ungarische Grenze. Die tumultartigen Szenen vom Bahnhof sind Geschichte. Diese Beruhigung kommt auch den Flüchtlingen zugute.

Ein bisschen Registrierung

Internationale Verträge hält Kroatien indes nur teilweise ein. Zwar werden die Flüchtlinge im Aufnahmelager Opatovac registriert. Und so wie es das Dublin-Abkommen vorsieht, würden auch Fingerabdrücke genommen, erklärte Innenminister Ranko Ostojić vergangene Woche bei einem Augenschein vor Ort. Allerdings lässt sich diese Angabe nicht überprüfen, das Lager bleibt für Medien geschlossen. Die kroatische Regierung behält sich zudem vor, die Fingerabdrücke zunächst nicht in die Eurodac-Datenbank einzuspeisen. Damit wird die Registrierung für die anderen Dublin-Länder zur Makulatur. Denn ohne Eintrag in die Datenbank, kann später die Zuständigkeit für die Asylgesuche nicht ermittelt werden.

Nach der Aufnahme in Opatovac werden die Flüchtlinge so rasch als möglich weiterverfrachtet. Teilweise wurde die Aufenthaltsdauer im Lager in den vergangenen Tagen auf wenige Minuten gesenkt, berichten Helfer vor Ort. Dennoch weiss niemand, wie lange die von Kroatien gefundenen Lösungen zum Weitertransport Bestand haben werden. «Heute funktioniert das», erklärt Innenminister Ostojić. Aber die Lage könne sich von Tag zu Tag ändern. Und wenn Ungarn die Grenzen schliesst, dürfte sich die Lage in Opatovac und in anderen Flüchtlingslagern in Kroatien dramatisch zuspitzen. Das Militär hat in Opatovac bereits Massnahmen ergriffen, in den vergangenen Tagen wurde die Infrastruktur ausgebaut. «Ich glaube, die stellen sich auf noch viel mehr Flüchtlinge ein», vermutet Eliane Amstad. Die Schweizerin ist für Greenpeace vor Ort.

Das Weiterreichen der Flüchtlinge an Ungarn dürfte nur so lange gut gehen, wie Ungarn die Flüchtlinge direkt nach Österreich abgeben kann. Und das ist der Fall, solange Wien sein Not-Regime aufrecht erhält und auch Deutschland Asylgesuche unabhängig der Dublin-Regeln selbstständig behandelt. Wenn Österreich die Grenze wieder schliesst und Ungarn die Flüchtlinge nicht mehr weiterreichen kann, wird es auch keine neuen Flüchtlinge aus Kroatien mehr akzeptieren. Der Zaun an der kroatisch-ungarischen Grenze befindet sich bereits im Bau.

Offene Grenze als Strategie

Ostojić sagt zu dieser Möglichkeit, was sich kroatische Regierungsvertreter dieser Tage ebenso auf den Spickzettel geschrieben haben wie die Grenzpolizisten: «Die Flüchtlinge mögen keine Zäune.» Das ist einerseits die simple Antwort eines ganzen, relativ kleinen Balkanlandes. Andererseits ist es die diplomatischere Formulierung von: Die bisherige Flüchtlingspolitik der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten hat versagt. Die Menschen lassen sich von Zäunen allenfalls umleiten. Stoppen lassen sie sich nicht.

Letztlich ist es aber vor allem Teil einer Strategie, die Kroatien gewählt hat, um mit dem riesigen Ansturm fertig zu werden: Kroatien erklärt sich für nicht zuständig. Dass diese Strategie auch im Interesse der Flüchtenden ist, erhöht deren Kooperationsbereitschaft. Und Kroatien kann sich als hilfsbereit darstellen. Immer hereinspaziert, und hinten wieder raus, lautet das Motto. Die bessere Organisation am Bahnhof von Tovarnik und im Lager Opatovac hat vor allem das Ziel, das Problem Flüchtling effizienter ins nächste Land auf der Fluchtroute zu verlagern – und zwar möglichst bevor diese Länder die Grenze wieder schliessen.

Viele der Flüchtlinge im bis auf den letzten Platz gefüllten Zug am Bahnhof von Tovarnik wollen weiter, nach Deutschland oder Skandinavien. Was aber die nächste Station ihrer Reise sein wird, wissen sie noch nicht. Und auch nicht, ob sie schon bald wieder vor einer geschlossenen Grenze stehen. Der Polizist drückt die Zugtür ins Schloss. Für ihn und für sein Land ist die Aufgabe damit vorerst erledigt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Migrantinnen, Migranten, Asylsuchende

Der Ausländeranteil ist in der Schweiz gross: Die Politik streitet über Asyl, Immigration und Ausschaffung.

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