Konflikte um Erdöl auch in der EU

Jürg Müller-Muralt /  Ölquellen geben auch innerhalb der EU Anlass zu Streit: in der Nordsee und im Schwarzen Meer.

Erdöl ist immer noch zentrales Schmiermittel der Weltwirtschaft und zusammen mit geopolitischen Interessen ein hochexplosives Gemisch. Um Öl werden Kriege geführt, es dient als politische Waffe, und allein schon die Angst vor einem Konflikt in einer ölreichen Region lässt den Preis für das schwarze Gold sprunghaft ansteigen. Fossile Energieträger sind zwar ökologisch längst in Verruf geraten, doch an der Tatsache, dass unsere Wirtschaft nach wie vor im Übermass am Tropf des Erdöls hängt, hat sich bisher wenig geändert. Die Aussicht auf sagenhaften Reichtum gehört ebenso zum Mythos Erdöl wie sein Konfliktpotenzial. Das jüngste Beispiel sind die wieder aufgeflammten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Südsudan und Sudan, wo die Kontrolle ums Erdöl eine zentrale Rolle spielt. Aber auch im Nordwesten und im Südosten Europas spielen handfeste Ölinteressen eine nicht unbedeutende politische Rolle.

«it’s Scotlands oil»

In der zunehmend schärfer geführten Debatte um die Loslösung Schottlands vom Vereinigten Königreich bahnt sich auch ein Ölkonflikt an. Die schottischen Nationalisten wollen die Einkünfte aus dem Nordseeöl ganz in die Kassen Schottlands fliessen lassen. Das wollen sie zwar schon lange, bereits seit 1974 lautet der Schlachtruf der Scottish National Party: «It’s Scotlands oil». Doch seit die SNP im vergangenen Jahr die absolute Mehrheit errungen hat, wird die Sache konkreter. Bis im Herbst 2014 will Schottlands Premierminister Alex Salmond das Volk über die Abspaltung des Nordens Grossbritanniens abstimmen lassen. Noch nicht völlig klar, ob das Referendum überhaupt zulässig ist und wie die Fragestellung genau lauten wird. Doch die Planspiele laufen.

Üppige Träume um schwarzes Gold

Und die Träume schiessen üppig ins Kraut. Denn dank des schwarzen Goldes könnte Schottland eines der reichsten Länder der Welt werden. Nach Norwegen ist Grossbritannien der zweitgrösste Erdölförderstaat Europas – und das kostbare Gut liegt zu fast 90 Prozent im Meer vor Schottland. Dabei geht es um stolze Summen. Ins Finanzministerium in London sind in den vergangenen 40 Jahren umgerechnet rund 440 Milliarden Franken an direkten Steuern und Abgaben aus der Ölindustrie geflossen. Allein im Jahr 2010 waren es stolze 13 Milliarden. Die Fördermenge ist zwar rückläufig, doch wird dies durch den steigenden Ölpreis mehr als nur kompensiert. Trotz verminderter Produktion kündigten führende Ölkonzerne Ende letzten Jahres massive Investitionen zur Erschliessung neuer Quellen an. Der schottische Finanzminister John Swinney rechnet vor, dass gemäss Expertenschätzungen die Öl- und Gasvorkommen seines Landes umgerechnet rund 1,4 Billionen Franken wert seien.

Salmond will Ölfonds

Dass solche Zahlen Begehrlichkeiten wecken, liegt auf der Hand. «London hat genug am schottischen Öl und Gas verdient», sagte Premier Salmond jüngst, nun sollten auch die Schottinnen und Schotten endlich den ihnen zustehenden Gewinn erhalten. An einer Veranstaltung der London School of Economics erklärte Salmond im Februar, das Vereinigte Königreich sei das einzige Öl produzierende Land, das nicht über einen von den Öleinkünften gespiesenen Staatsfonds verfüge, der Mittel für die Zeit nach dem Ölzeitalter bereitstellen soll. Salmond plant im Falle der Unabhängigkeit einen solchen Fonds. Als Vorbild dient den Schotten dabei Norwegen, das seit 1990 einen Ölfonds mit einem heutigen Wert von umgerechnet rund 470 Milliarden Franken angelegt hat.

Sechstreichstes OECD-Land?

«Wenn wir erst einmal unabhängig sind, werden wir für Schottland den besten Nutzen aus den unvergleichlichen Energiereserven ziehen können», erklärte Salmond gemäss BBC News. Der Premier denkt dabei nicht nur an fossile Energien, sondern vor allem auch an erneuerbare: «Wir verfügen über ein Potenzial von 25 Prozent von Europas Gezeitenstrom, von 25 Prozent der Offshore-Windkraft und 10 Prozent der Wellenkraft – nicht schlecht für ein Land mit einem Anteil von weniger als einem Prozent der europäischen Bevölkerung.» Die grossen Ressourcen an erneuerbarer und fossiler Energie sowie andere Industriezweige – etwa Whisky – würde Schottland zum sechstreichsten Land der OECD machen, wie Salmond vorrechnet. Auch die britische Wochenzeitung «The Observer» fragt: «Could crude, Whisky and wind make Scotland richer than England?» (Könnten Erdöl, Whisky und Wind Schottland reicher machen als England?).

Rechnung mit vielen Unbekannten

Ob diese Rechnung dereinst aufgehen wird, bleibt allerdings ungewiss. Sicher ist allein, dass der Ton zwischen Edinburgh und London schärfer wird. Noch ist unklar, ob es je eine schottische Unabhängigkeit geben wird. Allein schon das Verfahren eines Referendums ist umstritten, von der Legalität einer solchen Volksabstimmung über die konkrete Fragestellung und die genauen Modalitäten des Referendums bis hin zur konkreten Ausgestaltung einer allfälligen Unabhängigkeit. Auch die einmal erreichte Unabhängigkeit wäre mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Experten weisen etwa darauf hin, dass sich Probleme bei den Bohrlizenzen ergeben könnten, die durch die britische Regierung erteilt worden seien. Auch müsste Schottland volle eigene staatliche Strukturen aufbauen. Zudem würden Transferzahlungen Londons wegfallen. Ungelöst sind auch die Währungsfrage und vor allem die genaue Grenzziehung: Denn der vorerst noch hypothetische Reichtum eines unabhängigen Schottlands hängt genau davon ab. Diesen Grenzverlauf vor der Küste dürften London und Edinburgh wohl nicht exakt gleich beurteilen.

Konflikt um Schwarzmeerküste

Seegrenzen sind häufig sehr umstritten, vor allem, wenn Bodenschätze vor der Küste liegen. Um Fragen der Grenzziehung geht es denn auch in einer ganz anderen Region Europas – und auch dort spielen Ölinteressen die zentrale Rolle. Ein seit zwei Jahrzehnten ruhender Konflikt zwischen Bulgarien und Rumänien um 17 Quadratkilometer im Schwarzen Meer, wo man reiche Erdöl- und Erdgasvorkommen vermutet, ist vor wenigen Wochen wieder an die Oberfläche gespült worden. Der Disput wird offiziell unter dem Deckel gehalten und nicht zu stark aufgekocht; die beiden jüngsten EU-Mitgliedstatten haben derzeit andere und vor allem auch viele gemeinsame Probleme. So gab der rumänische Aussenminister Cristian Diaconescu der Wiener «Presse» zu Protokoll, es gebe «keinen territorialen Konflikt» zwischen Sofia und Bukarest, und die Sache sei «keine Frage des Streits, sondern von Gesprächen». Es handle sich um eine rein technische Frage.

Sensibles Gebiet

Trotzdem schwelt der Konflikt seit 1994. Doch die beiden Staaten hatten auch deshalb kein Interesse, den Konflikt an die grosse Glocke zu hängen, weil ein zwischenstaatlicher Territorialkonflikt die Aufnahme in die EU gefährdet hätte. Ende letzten Jahres scheiterte allerdings bereits die 14. Verhandlungsrunde, Mitte April haben die beiden Staaten wieder einen Anlauf genommen. Die Lösungsversuche «werden jedoch durch wirtschaftliche Interessen erschwert und durch die europäischen geostrategischen Interessen verkompliziert», schreibt die ungarische Tageszeitung «Pester Lloyd».

Im vergangenen Oktober habe die EU-Kommission der bulgarischen Regierung erlaubt, für eine Zone, zu der die umstrittenen 17 Quadratkilometer gehören, Öl- und Gasexplorationskonzessionen zu vergeben. Bulgarien verhandle bereits mit dem Ölkonzern Exxon. Auch das «Bulgarische Wirtschaftsblatt» schreibt unter Berufung auf anonyme diplomatische Quellen, dass Bulgarien mit Exxon Verhandlungen führe «über die Erkundung von Erdgasvorkommen in einem Teil des bulgarischen Schwarzmeer-Festlandsockels, auf den Rumänien Anspruch erhebt.» Rumänien wirft Bulgarien vor, Fakten zu schaffen. Für die EU ist das umstrittene Gebiet nicht zuletzt deshalb energiepolitisch und geostrategisch von grosser Bedeutung, weil dort auch die geplante Southstream-Pipeline verlaufen soll. Southstream ist die russische Konkurrenz zur Nabucco-Pipeline, mit der die EU unabhängiger von russischem Erdgas werden möchte.

Scharfmacher profitieren

Wie heikel das offiziell als «technische Frage» behandelte Problem ist, zeigt die Reaktion nationalistischer Scharfmacher. Die rechtsradikale bulgarische Partei Ataka forderte Staatspräsident Borissov auf, gegenüber Rumänien EU-Sanktionen zu fordern. «Eine friedliche und völkerrechtlich saubere Lösung, die einen Interessensausgleich beinhalten müsste, würde die von vielen angezweifelte EU-Reife der beiden Länder bestätigen», schreibt «Pester Lloyd».

Friedlich und völkerrechtlich sauber: Dieser Weg ist den beiden ölgetränkten, einerseits völlig unterschiedlichen und im Kern doch ähnlichen Konflikten im Nordwesten und Südosten Europas zu wünschen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Bohrinsel_ST33VO

Wir hängen am Tropf von Rohstoffen

Rohstoffe lagern in der Erde noch viele. Doch deren Ausbeutung schafft Risiken und wird fast unbezahlbar.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.