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In nur 30 Jahren auf "Netto Null" Treibausgase - Energieperspektiven ohne Gewähr © BFE

Klimaziel erfordert radikale Wende unserer Energieversorgung

Hanspeter Guggenbühl /  «Netto Null» Klimagase bis 2050: Die neuen Energieperspektiven zeigen, was es technisch braucht, um dieses Ziel zu erreichen.

«Die Hauptergebnisse der Energieperspektiven 2050+ liegen auf dem Tisch. Sie zeigen, dass die Schweiz ihre Energieversorgung bis 2050 klimaneutral umbauen und gleichzeitig die Energieversorgungssicherheit gewährleisten kann.» Mit dieser vollmundigen Ankündigung beginnt die Medienmitteilung, mit der das Bundesamt für Energie (BFE) gestern Donnerstag die neusten Energieszenarien präsentierte.

Szenarien zeigen, was es braucht, nicht was wird

Diese Szenarien zeigen allerdings nur, welche technologischen Wege die Schweiz in den nächsten 30 Jahren beschreiten müsste, um das bundesrätliche Ziel «Netto Null Treibhausgas-Emissionen» im Jahr 2050 zu erreichen. Ob Politik, Wirtschaft und Bevölkerung tatsächlich auf diesen Weg umschwenken, ist ungewiss. Denn der notwendige energetische Kurswechsel ist radikal – radikaler als die früheren Energieperspektiven aus dem Jahr 2012. Zusätzlich erschwert wird das Ziel durch die Faktoren Menge und Zeit.

So gehen die Szenarien von einem weiteren Wachstum der Bevölkerung, der Wirtschaft, des Verkehrs sowie der Menge an umbautem Raum und Energieanwendungen aus. Gleichzeitig läuft die Zeit davon. Denn das Zieljahr 2050 liegt heute näher als vor acht Jahren, als der Bund die vorherigen Energieperspektiven mit tieferen Anforderungen an die Energiewende präsentierte. Und über die Umlenkungs-Instrumente, die es braucht, um die klimaneutrale Schweiz zu verwirklichen, brütet die Wissenschaft und streiten politische Parteien und Wirtschaftsverbände weiterhin.

Die Versäumnisse der Schweizer Klimapolitik und die Anforderungen an die Energiewende hat Infosperber seit 2011 regelmässig analysiert (siehe Links am Schluss dieses Artikels) und wird es in Zukunft weiterhin tun. Heute beschränken wir uns darauf, einige wesentliche Informationen stichwortartig aus dem gestern veröffentlichten, 98-seitigen «Kurzbericht Energieperspektiven 2050» herauszupicken:

Die Wachstumsfaktoren bis 2050

Den Szenarien liegen bis 2050 folgende Wachstumserwartungen zu Grunde; dies immer im Vergleich zum Ausgangsjahr 2019: Die Bevölkerung in der Schweiz wird um 18 Prozent auf 10,3 Millionen Personen zunehmen. Doppelt so stark wie die Bevölkerung, nämlich um 38 Prozent, wächst im gleichen Zeitraum die Wirtschaft, gemessen am teuerungsbereinigten BIP. Die Energiebezugsfläche (beheizte und/oder gekühlte Flächen in Gebäuden) und der Personenverkehr nehmen um je 17 Prozent, der Güterverkehr um 28 Prozent zu.

Diese Annahmen gelten für alle Szenarien. Eine Wirtschaft, die in einem der reichsten Staaten der Welt nicht mehr weiter wächst, oder eine Gesellschaft, die ihren Konsum pro Kopf nicht mehr weiter steigert, sehen die Verfasserinnen ebenso wenig vor wie ein genügsameres Verhalten, also Suffizienz. Sie setzen allein auf heutige und künftige Technik.

Weitere Steigerung der Energieeffizienz nötig

Trotz Wirtschaftswachstum erwarten die Szenarienmacher von 2019 bis 2050 einen weiteren Rückgang des End-Energieverbrauchs, nämlich um insgesamt 31 Prozent beim Szenario «Netto Null Treibhausgase». Dabei gehen sie von einer weiter steigenden Energieeffizienz von Gebäuden, Motoren, industriellen Prozessen und Verkehrsmitteln aus. Der bisherige Trend müsste sich damit noch verstärken: Schon von 2000 bis 2019 hat der End-Energieverbrauch in der Schweiz dank Effizienzsteigerung um rund 18 Prozent abgenommen; dies allerdings nicht insgesamt, sondern pro Kopf der Bevölkerung (mehr dazu auf Infosperber vom 22. Juli 2020)

Innerhalb des Energiekonsums rechnen die Szenario- Autorinnen mit einer massiven Verlagerung, nämlich weg von den fossilen Energieträgern Öl und Gas, die heute noch weit mehr als die Hälfte des Schweizer Energiekonsums decken, hin zur Elektrizität. Als Folge davon werde der Elektrizitätsverbrauch – trotz Effizienzsteigerung – bis 2050 stark zunehmen, nämlich um 45 Prozent. Ein Teil dieses Zuwachses beim Strom verursacht der prophezeite Umstieg auf Elektroautos und Elektro-Wärmepumpen, der andere Teil resultiert aus Energieverlusten durch Speichertechniken, insbesondere den Ausbau der Pumpspeicherung und die Umwandlung von Sommerstrom zu Wasserstoff.

Steile Zunahme der erneuerbaren Stromproduktion

Das klimapolitische Szenario «Netto Null» (im Bericht «Zero» genannt) und die damit verknüpfte Energiewende erfordern nicht nur einen Umstieg von Öl und Gas auf Elektrizität, sondern innerhalb der Elektrizität im Gefolge des Atomausstiegs auch einen Umstieg auf erneuerbare Stromproduktion. Und hier setzen die Szenarien Quantensprünge voraus, deren Gelingen höchst fraglich ist. Konkret:

o Die Stromerzeugung aus Wasserkraft soll von 2019 bis 2050 um 18 Prozent auf jährlich 45 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) steigen, und dies, obwohl die meisten Gewässer in der Schweiz bereits verstromt werden. Diese Ausbaupläne in Form von zusätzlichem Stauseevolumen und zusätzlicher Pumpspeicherung stehen im Konflikt mit dem Naturschutz und stossen auf massiven Widerstand von Umweltorganisationen und zum Teil auch auf rechtliche Hürden. So hat das Bundesgericht am gleichen Tag, als das BFE seine neuen Energieperspektiven vorstellte, eine Einsprache gegen den Höherstau des Grimsel-Stausees teilweise gutgeheissen.

o Die Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie neben der Wasserkraft, insbesondere aus Solar- und Windkraft sowie Biomasse, soll in den nächsten 30 Jahren auf 39 Mrd. kWh und damit auf annähernd das Zehnfache gegenüber dem Stand von 2019 gesteigert werden. Das ist – gelinde gesagt – ehrgeizig, wenn man bedenkt, dass diese erneuerbare Stromproduktion aus Solarkraft plus erneuerbarem Kehricht trotz starker ideeller und finanzieller Förderung in den vergangenen 30 Jahren lediglich auf 4 Mrd. kWh gestiegen ist. Der massive Ausbau der Solarkraft-Nutzung mittels Fotovoltaik stellt aber nicht nur ein Mengen-, sondern auch ein Verteilproblem dar. Denn Fotovoltaikanlagen produzieren ihren Strom heute zu drei Vierteln im Sommerhalbjahr, während der Ausstieg aus der Atomenergie eine Versorgungslücke vor allem im Winterhalbjahr öffnet. Diese saisonale Kluft soll wie erwähnt durch einen massiven Ausbau der Stromspeicherung in Stauseen und mittels Umwandlung von Strom in Wasserstoff gestopft werden, was grosse energetische Verluste verursacht.

Treibhausgase «netto» heisst: Noch ein Viertel

Der Ausstoss der Treibhausgase soll netto auf null abnehmen, wobei die Szenarien den internationalen Flugverkehr ausschliessen. «Netto» bedeutet: Die Emissionen werden gegenüber heute auf einen Viertel und damit auf immer noch 12 Millionen Tonnen CO2-Aequivalent im Jahr 2050 sinken.

Diese 12 Millionen Tonnen CO2-Aequivalent (zu einem bedeutenden Anteil Methan aus der Landwirtschaft) wollen die Szenario-Verfasser mittels Aufforstung sowie Filtertechnik eliminieren. Solche Filterverfahren sind technisch zwar erprobt, aber ihr Beitrag zur CO2-Reduktion in der Atmosphäre bewegt sich heute im Bereich von weniger als einem Millionstel Promille. Ob der Ausbau dieser aufwendigen Technik genügend schnell voranschreitet, ist ebenfalls ungewiss.

Ziele und Szenarien ohne Gewähr

30 Jahre sind eine relativ kurze Zeit, um den Umstieg von der heute dominierenden fossilen auf erneuerbare Energie umzusetzen, ohne die Versorgungssicherheit und das Wachstum der Wirtschaft einzuschränken. Doch im Leben eines Menschen und einer Generation von Regierungsleuten sind 30 Jahre relativ lang. So werden alle Mitglieder des heutigen Bundesrats, der das Ziel «Netto Null» bis 2050 setzte, und die meisten Verfasser der hier präsentierten Energieperspektiven das Pensionsalter im Jahr 2050 erreicht haben und nicht mehr im Amt sein. Sie tragen damit keine Verantwortung, falls die Schweiz das gesetzte Ziel verfehlen sollte. So besehen bleiben Klimaziel und Energieperspektiven ohne Gewähr.

Das heisst allerdings nicht, dass die Schweiz nicht alles Mögliche unternehmen – oder unterlassen – soll, um die katastrophale Erderwärmung auf irgend einem Weg zu begrenzen.

Weitere Artikel zu diesem Thema auf Infosperber:

– DOSSIER: Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

– DOSSIER: Klimapolitik – kritisch hinterfragt

– DOSSIER: Schutz der Natur und der Landschaft

– DOSSIER: Die Politik der Stromkonzerne


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Hanspeter Guggenbühl ist Autor des Buches "Die Energiewende, und wie sie gelingen kann", Somedia-Verlag 2013

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

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Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

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Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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Schutz der Natur und der Landschaft

Nur so weit es die Nutzung von Ressourcen, wirtschaftliche Interessen oder Freizeitsport zulassen?

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7 Meinungen

  • am 27.11.2020 um 12:47 Uhr
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    «Klima-Politik» ist so unsinnig, wie «Weltall-Politik». Vielleicht liefern die Herrschaften mal zuerst eine Definition des Begriffs «Klima». Leider wird in unserer neo-totalitären schein-liberalen Kultur jede Diskussion unterdrückt.
    https://www.eike-klima-energie.eu/2020/05/18/klima-und-scheinwissenschaft-teil-1/
    https://www.eike-klima-energie.eu/2020/05/19/klima-und-scheinwissenschaft-teil-2/
    https://www.eike-klima-energie.eu/2020/05/20/klima-und-scheinwissenschaft-teil-3/

  • am 27.11.2020 um 13:07 Uhr
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    Was nützen der Welt Klimaziele für 2050, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, die nächsten fünf Jahre gemäss dieser sehr langfristigen Zielsetzung zu erreichen? Ich hoffe, dass ich 98 Jahre alt werde, um zu überprüfen, welche Maus der Elefant geboren hat. Eine Klimazielsetzung auf 30 Jahre ist lachhaft und gar pervers!

  • am 27.11.2020 um 13:43 Uhr
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    Herr Guggenbühl, danke für diesen Beitrag. Die Parole «wir schaffen sowohl den Atomausstieg, die Dekarbonierung und die Landesversorgung bis 20xx, wenn wir nur politisch wollen» erinnert an Durchhalteparolen der Heeresleitung vor der Kapitulation. Die Energiestrategie ist eine Importstrategie, sowohl von erneuerbaren wie von Atomstrom. Erst nach dem Blackout wird der Wind drehen, und zwar nicht in Richtung des Ausbaus von Solarstrom in der Schweiz, weil dieser ziemlisch lau auf Fördergelder reagiert.

  • am 28.11.2020 um 13:24 Uhr
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    Es gibt sie nicht, die Klimakatastrophe! Wie auch wenn man bedenkt dass es eine Erwärmung von lediglich 0,8°C seit 170 Jahren gegeben hat! Da hat es wahrscheinlich im Mittelalter viel schnellere Klimawechsel gegeben, man denke da nur mal an Grönland oder die Römer in England! Und auch die Theorie strahlender Körper kann nur zum Teil herangezogen werden, für die Erde selbst und für die Atmosphäre gegenüber dem Weltraum, innerhalb der Atmosphäre scheitert sie am 2.Hauptsatz der Thermodynamik! Die Atmosphäre ist nur für den Weltraum eine Grenzschicht (blauer Himmel durch UV-C Strahlung der Sonne)! Wärme kann zwar die Atmosphäre durch Strahlung aufnehmen aber innerhalb der Atmosphäre wird sie durch Konduktion an Atome weitergeleitet und durch Konvektion an den Weltraum abgegeben (Entropie). Ob der CO2 Gehalt 100% beträgt oder wie auf der Erde 0,0 ist nicht entscheidend, entscheidend für die Oberflächentemperatur für einen Planeten mit fester Oberfläche ist die Sonneneinstrahlung und der Atmosphärendruck der über der Abstrahlung herrscht (Vergleiche Wüsten auf der Erde, Mond, Mars ,Venus)! Ich weis nicht wie wir wieder von diesem Irrglauben wegkommen können, aber wir müssen schon alleine wegen der Wissenschaft selbst und unserem mühsamen 2000 Jahre langen Weg die Gesellschaft zu befreien und Aufzuklären!

  • am 28.11.2020 um 21:55 Uhr
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    Dieser Beitrag zeigt wie unfähig bis pervers die Klimapolitik ist. Ohne lange Begründung gebe ich folgende Denkanstösse: Ohne Treibhausgase gibt es keine Erde und kein menschliches Leben. Die drastische Reduktion der Menschheit muss das finale Ziel sein. Kernreaktoren der Generationen 3+ und 4 im Verbund mit H2 Technologien und breit gefächerten, bekannten und neuen, erneuerbaren Energien können eine deutliche ‚Entlastung‘ bewirken. Allen Beschwörungen zu Trotz: In der
    Primarschule – 1960 – habe ich erfahren, dass nach der vergangenen Eiszeit eine Tropenzeit folgt. Die Zeugen der vergangenen Eiszeit sind allgegenwärtig. Die Findlinge und die durch Moränen modellierte Landschaft im Mittelland sind die Kimazeugen. Der sterbende Rhonegletscher dehnte sich einstmals bis über Solothurn hinaus aus. Masst sich die politische Elite und deren Schlangenfänger an, die Erdgeschichte mit religiöser Beharrlichkeit und billigem Wunschdenken hypnotisieren zu können?

  • am 29.11.2020 um 16:02 Uhr
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    Peter Geissmann gibt uns «Denkanstösse: … Die drastische Reduktion der Menschheit muss das finale Ziel sein."

    Was «in der Primarschule – 1960 – … erfahren», gibt man nicht mehr gerne her. Was man weiss, das weiss man halt.

    Solches zu hinterfragen, würde ja auch eine Anstrengung abfordern. Das wäre unangenehm, verunsichernd, doch einfach nur mühsam.

    So als Kind, wie auch später, 1000 Mal von Lehrern, Eltern & Kollegen vernommen: Das «finale Ziel» (sozusagen die ‹Endlösung›?) muss die «Reduktion der Menschheit» sein. Das wird wohl stimmen, oder? All ‹diese Lehrer› würden es uns doch sonst nicht fortwährend ‹ins Ohr flüstern›?

    1000x gehört, Überzeugung durch Wiederholung gebildet – das erträgt keine Störungen. Z.B. solche:

    Pro Jahr 1 Milliarde Rinder, 700 Mio. Schweine, 800 Mio. Schafe und ca. 20 Milliarden Hühner mit einer Getreidemenge mästen (!), die 20 Milliarden (!) Menschen ernähren würde. Wir wissen Prioritäten zu setzen …

    Bei Ressourcen dasselbe: Für uns pro Kopf locker das 20-Fache von dem, was die Ärmsten verbrauchen. Grössere Autos, laufend neue Möbel, Smartphones, Kleider usw. – solche «Grundrecht» lassen wir uns nicht nehmen, hierfür greifen wir rücksichtslos durch …
    Verschmutzung/Zerstörung, dasselbe:

    Die (global) Reichsten 10% (630 Mio.) waren von 1990 bis 2015 für über die Hälfte (52%) des CO2-Ausstosses verantwortlich. Allein das reichste 1% (63 Mio.) verbrauchte 15%. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (50%, rund 3 Milliarden) hingegen nur 7%.

  • am 2.12.2020 um 09:37 Uhr
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    Auch wenn ich inhaltlich nicht ganz einverstanden bin, so sehe ich ebenfalls, dass es definitiv noch einen Effort braucht, um unseren Kindern die Chance eines guten Lebens mitzugeben. Denn entgegen dem Geschwätz der meisten andern Kommentare hier, ist es m.M. nach als erwiesen hinzunehmen, dass die aktuelle Entwicklung nicht gut ausgehen wird, falls wir nichts ä(oder zu wenig) ändern.
    Nun denn – packen wirs doch einfach endlich an!

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