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Ständerat: Im «Stöckli» wird fast nur Bundespolitik gemacht © parlament

Kantonale Illusionen rund um Stände- und Bundesräte

Niklaus Ramseyer /  Stände- und Bundesräte politisieren in Bern kaum je für ihre Herkunfts-Kantone. Das ist auch ganz gut so.

„Wer kann unseren Kanton in Bundesbern (oben) am besten vertreten?“ Um diese Frage drehten sich landauf, landab die kürzlich beendeten Wahlkämpfe um die 46 Sitze im Schweizer Ständerat (je zwei für die Ganz- und je einen für die Halbkantone) häufig. Soll es die «ungeteilte Standesstimme» sein? Also zwei Bürgerliche (wie jetzt in Zürich – mit einem Freisinnigen und einem rechten SP-Mann) oder zwei Linke (wie etwa nun in Genf).

Gewählt wird rechts gegen links

Oder sollen «möglichst beide Lager aus dem Kanton auch in der kleinen Kammer in Bern ihre Stimme haben»? So ist es nun etwa in Glarus mit einem Freisinnigen und einem Grünen – oder im Kanton Jura, der eine linke Frau und einen CVP-Mann in den Ständerat nach Bern schickt.

So oder so sind Ständeratswahlen viel mehr Persönlichkeits-Wahlen als die Nationalratswahlen, bei denen viele Wahlberechtigte einfach die Parteiliste einwerfen. Darum wurde etwa der linke, aber gradlinig profilierte und allseits geschätzte Gewerkschafter Paul Rechsteiner (SP) im eher bürgerlichen St. Gallen nun schon zum zweiten Mal – trotz ernsthaften Gegenkandidaturen – klar gewählt.

Die TessinerInnen haben den zwar bekannten, aber nicht unumstrittenen langjährigen CVP-Ständerat Philippo Lombardi (ein notorischer Verkehrsdelinquent) nun kurzerhand durch die seriöse und starke SP-Persönlichkeit Marina Carobbio-Guscetti ersetzt. Die kleine Kammer im Berner Parlamentsgebäude gilt mitunter als «politisches Abklingbecken» für parteiübergreifend profilierte Alt-RegierungsrätInnen.

Gewählt wird dennoch auch für den Ständerat grundsätzlich politisch – links-grün gegen rechts-bürgerlich. Das weiss auch der neue Ständeratspräsident Hans Stöckli (SP): Er diente sich im Wahlkampf dezidiert der bürgerlichen Berner Wählerschaft an. Mit Erfolg: Die Links-Grüne Regula Rytz landete hinter ihm auf dem dritten Platz. Und auch dieser Wahlkampf war mitunter auf der Schiene geführt worden, wer denn «den schönen Kanton Bern wohl am besten im Bundeshaus vertreten könne».

Von 100 Geschäften nur 4 wirklich «kantonal»

Mit der Realität im Ratsbetrieb hat derlei Gerede nichts zu tun: Da geht es um Bundespolitik für die ganze Schweiz. Mit Ausnahmen, welche die Regel bestätigen: Dann etwa, wenn sich die vier Waadtländer und Genfer «SenatorInnen» geschlossen für ein drittes Bahngeleise zwischen Lausanne und Genf einsetzen. Oder wenn Baselbieter und Basler Standesvertretende sich für «ihre» Pharmabranche engagieren. Eine kantonale Ausnahme ist auch die Debatte um den Ausbau der zweiten Röhre beim Lötschberg-Basistunnel, wofür sich die vier KantonsvertreterInnen aus Bern und dem Wallis quer durch die Parteien schon lange einsetzen.

Ein Blick in das 27 Seiten lange Programm der jetzt laufenden Session im Ständerat bestätigt diesen Befund: Nur gerade 4 der rund 100 Geschäfte betreffen eindeutig einen einzelnen Kanton. Am ehesten gilt das noch für die «3. Rhonekorrektur, 2. Etappe», was fast nur eine Walliser Sache ist. Oder für einen Vorstoss unter dem Titel «Axenstrasse heute und morgen», der vorab die Innerschweiz interessiert. Aber auch für den Punkt «Drei bis vier zentrale Wintersportzentren» (statt nur eines). Und natürlich für den Vorstoss des Berner Oberländer Nationalrats Jürg Grossen (GLP) unter dem Titel «Pulverfass Mitholz»: Das teils verschüttete ehemalige Munitionslager unterhalb von Kandersteg betrifft und bedroht den Kanton Bern.

Lachse, Terroristen, Backwaren, Bundesräte

Dieses «Fass» ist mit der dafür verantwortlichen Schweizer Armee indes auch schon stark ein eidgenössisches Problem. Und der ganze grosse Rest der drei Wochen dauernden Debatten dreht sich nur um nationale oder gar internationale Themen. Kostprobe:
– Holzversorgung, -verarbeitung und -verwendung
– Tierverkehrsdatenbank für Schafe
– Voranschlag 2020
– Bundesgesetz über die Enteignung
– Bundesratswahlen (am 11. Dezember)
– Differenzierter Fahrausweisentzug (Wobei mit CVP-Lombardi der beste Fachmann in dieser Sache nun nicht mehr dabei sein wird; der Verf.)
– Nachhaltiger Mobilfunk
– Rückkehr der Lachse in die Schweiz
– Jahresziele des Bundesrats
– China-Strategie des Bundesrats
– Grasland-basierte Milch- und Fleischproduktion
– Kampfdrohnen in Saudi-Arabien
– Für eine massvolle Zuwanderung (Initiative)
– Terrorismus und Organisierte Kriminalität
– Fremde Eingriffe in die Schweizer Politik
– Transparenz in der Politik-Finanzierung (Initiative)
– Deklaration der Herkunft von Brot und Backwaren

Ungeniessbare kantonale Süppchen auf bundespolitischem Feuer

Da ist weit und breit nichts von «unseren schönen Kanton in Bundesbern oben wirksam vertreten». Wo es kantonale PolitikerInnen (beider Räte) dennoch versuchen, kommt es zudem oft gar nicht gut. So etwa beim berüchtigten «Pannenzug», den die SBB nicht zuletzt auf Druck welscher Bundes-Abgeordneter 2010 bei der kanadischen Firma Bombardier und deren kleiner Fabrik in Villeneuve am Lac Léman bestellten (59 Züge für 1,9 Milliarden Franken). Statt beim weltweit renommierten Schweizer Bahnunternehmen Stadler aus der Ostschweiz, welches ein seriöses Angebot gemacht hatte. Ein Fehlentscheid mit üblen Folgen: Es kam zu jahrelangen Verzögerungen und als der Zug endlich da war, erwarb er sich sofort den unschönen Namen «Pannenzug».

Noch fragwürdiger ist derlei kantonales Lobbying in Bundesbern, wenn es gar in den Bundesrat getragen wird: So geschehen, als der Walliser Bundesrat Roger Bonvin (CVP) partout einen Bahntunnel vom Oberwallis unter der Furka hindurch nach Uri hinüber bohren wollte. Das koste nur 74 Millionen Franken, rechnete Bonvin in Bern vor. Schliesslich kam das fertige «Furkaloch», für das der Bedarfsnachweis nie richtig gelingen wollte, 1982 dann auf 312 Millionen Franken zu stehen.

«Tessiner Politik»? Nicht im Bundesrat!

Solche krassen Fälle wären heute kaum mehr möglich. Es ist inzwischen sogar üblich, dass BundesrätInnen mit vom Vorgänger im Amt «geerbten», erfahrenen ChefbeamtInnen (aus anderen Parteien) konstruktiv weiterarbeiten – statt sie durch «eigene Leute» aus ihrem Kanton oder ihrer Partei zu ersetzen.

Dass sie in Bern sind, um eidgenössische Politik für alle zu machen – und nicht nur für «ihren Kanton», das wissen die meisten StänderätInnen nach allem lokalen Wahlkampfgetöse sehr schnell: Sie vertreten in den Debatten ihre politischen Positionen. Mehr noch als «ihr Kanton» stehen vielen ohnehin «ihre» (lukrativeren) Krankenkassen oder Banken und Versicherungen nahe. Bei entsprechenden Debatten gewinnt man auch den Eindruck, einige SP- oder FDP-Abgeordnete seien aus Brüssel nach Bern delegiert worden (um die EU gegen die Schweiz zu vertreten, statt umgekehrt) – und nicht aus einem Kanton.

Dabei steht fest: Standesherren und -damen sind in Bundesbern, um Bundespolitik zu machen. Für die Leute in der Landesregierung gilt das erst recht. Das sollten all jene eigentlich wissen, die jetzt überall lamentieren, die Bundesversammlung dürfe am 11. Dezember «dem Tessin doch wohl dessen Bundesrat Ignazio Cassis nicht wegnehmen». Wieso denn nicht? Der freisinnige Aussenminister ist ja schon mit der nationalen Politik ziemlich überfordert – mit der internationalen (die eigentlich sein Job wäre) sowieso. Dass er nun etwa noch probieren sollte, im Bundesrat für sein Tessin kantonale Politik zu machen (wie seinerzeit Bonvin für sein Wallis), wäre wohl das Letzte, was unser Land brauchen könnte.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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Eine Meinung zu

  • am 8.12.2019 um 17:53 Uhr
    Permalink

    aber was die Grünen (Frau Ritz) abzieht, das geht zu weit, auf Teufel komm raus einen grünen Bundesrat soll’s geben, ob es dann besser wird bezweifle ich.

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