Kommentar

Schrittweise zurück in die Barbarei

Andreas Zumach © zvg

Andreas Zumach /  Statt dass der Internationale Strafgerichtshof von immer mehr Staaten anerkannt wird, gehen einige auf Distanz. Das ist gefährlich.

Nach dem Austritt von zunächst drei afrikanischen Staaten aus dem Internationalen Strafgerichtshof hat nun auch die russische Regierung von Präsident Putin, so wie die USA bereits vor Jahren unter Präsident Bush, die Unterschrift unter dem Gründungsstatut dieser Institution zurückgezogen. Die philippinische Regierung erwägt denselben Schritt. Damit zerbröselt eine grosse, mindestens 70 Jahre alte Hoffnung: die Hoffnung auf ein Ende der Straflosigkeit für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen des Angriffskrieges. Also jener vier Kernverbrechen, die ab 1946 in den Nürnberger und Tokioter Tribunalen der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges erstmals definiert und kodifiziert wurden – unter wesentlicher Federführung US-amerikanischer Juristen.

Schon bei Gründung des Strafgerichtshofes 1998 durch 122 der 193 UNO-Staaten – darunter als engagierter Befürworter auch die Schweiz – war diese Hoffnung allerdings getrübt durch den Umstand, dass nicht nur Russland, sondern auch die USA das Gründungsstatut nur unterschrieben, aber nie ratifizierten und damit ihre eigenen Staatsbürger auch nie der Jurisdiktion des Gerichtshofes unterworfen haben. Denn dann hätte der Gerichtshof nach seiner Arbeitsaufnahme im Jahr 2002 auch gegen US-amerikanische und russische Soldaten, Geheimdienstler, Gefängniswärter sowie gegen ihre militärischen und politischen Kommandeure und Vorgesetzten in Washington und Moskau ermitteln können wegen derer Verbrechen im Irak, in Afghanistan, in Georgien, der Ukraine oder aktuell in Syrien. Derartige Ermittlungen wären dringend notwendig gewesen, da die nationalen Justizbehörden der USA und Russlands ihre diesbezügliche Verantwortung in den letzten 14 Jahren überhaupt nicht oder nur völlig unzureichend wahrgenommen haben.

Die Abstinenz der beiden Grossmächte hat afrikanischen Regierungen die Behauptung erleichtert, der Gerichtshof sei ein einseitiges Instrument des Westens gegen den afrikanischen Kontinent – womit Südafrika, Burundi und Gambia jetzt ihren Austritt begründen. Zwar richteten sich tatsächlich alle elf bisherigen Ermittlungs- und Strafverfahren des Gerichtshofes gegen ehemalige oder noch amtierende Politiker, Regierungschefs oder führende Militärs afrikanischer Staaten. Neun dieser elf Verfahren wurden allerdings ausdrücklich von den jeweiligen Nachfolgeregierungen dieser Länder beim Strafgerichtshof beantragt. Insofern ist der Vorwurf der Einseitigkeit gegen Afrika falsch. Falsch ist auch die jetzt zu hörende Einschätzung, eine global zuständige Strafgerichtsbarkeit könne erst funktionieren, wenn es auch eine Weltregierung gebe. Nein, eine solche Strafgerichtsbarkeit wäre durchaus auch ohne Weltregierung möglich, wenn alle Staaten die Normen der UNO-Charta, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der Konvention gegen den Völkermord ernst nehmen würden, die nach dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg universell verankert wurden. Geschieht dies nicht, bewegen wir uns schrittweise immer weiter zurück in die Barbarei zwischenstaatlicher und zwischenmenschlicher Beziehungen, die diese Verbrechen erst ermöglicht haben.


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6 Meinungen

  • am 19.11.2016 um 09:47 Uhr
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    Das Problem mit dem Internationale Strafgerichtshof ist doch, dass es gegen offensichtliche Verbrecher nicht vorgeht – angefangen von Bush Jr. und Blair in Irak, bis zu Obama mit seinen Drohnen oder die Saudische Königsfamilie in Yemen.

    Und wieso wird es nicht gemacht? Unter anderem weil evtl. die USA offen jedem drohte, der es wagen würde:
    http://www.spiegel.de/politik/ausland/internationales-strafgericht-us-kongress-droht-niederlanden-mit-invasion-a-200430.html

    Der Internationale Strafgerichtshof ist leider wirklich nur der eine lahme Flügel der UNO, der Menschenrechtsrat der zweite. Von all den bisher Verurteilungen (115) dieser „Institution“, traf es 61 Mal Israel (53%). Mit welcher Konsequenz?

  • am 19.11.2016 um 10:23 Uhr
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    Die Afrikaner setzen ein wichtiges und richtiges Zeichen: Recht muss für alle gelten.

  • am 19.11.2016 um 12:25 Uhr
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    Zumachs erster Denkfehler: Eine Besserung der politischen Sitten kann nicht vorrangig durch Gewalt (in diesem Fall Strafgewalt) erreicht werden.
    Zumachs zweiter Denkfehler: Es ist nicht so, dass schlecht angewendete Gewalt (Strafgewalt) immer noch besser ist als gar keine. Ein schlechtes Strafgericht – das die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt – fördert nicht die Besserung der Sitten, sondern fördert den allgemeinen Zynismus (gegenüber der Idee der Gerechtigkeit überhaupt).

  • am 20.11.2016 um 17:49 Uhr
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    Problematisch ist Recht immer dann, wenn es nicht für alle gleich gilt. Nicht umsonst gilt ja im nationalen Recht der Grundsatz: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich». Das heisst, niemand wird a priori vom Richter anders behandelt, nur weil er als «gut» oder als «böse» gilt.

    Im internationalen Recht ist es leider nie so weit gekommen. Hier ist es üblich geworden, Staaten und Menschen als «gut» oder «böse» zu qualifizieren, und abhängig von dieser Qualifikation völlig unterschiedliche Massstäbe anzulegen. Das führte dazu, dass Kampagnen geführt werden, um Gegner als «böse» darzustellen, damit ein Krieg geführt werden kann.

    Die Ermordung von Osama Bin Laden war schlicht und einfach ein Mord. Auch eines Verbrechens angeklagte Menschen dürfen nicht einfach umgebracht werden. Dasselbe gilt in noch viel höherem Mass für die schuldigen und unschuldigen Opfer der Drohnenmorde.

    Worauf ich hinaus will: Es ist eigentlich klar, dass ein Recht, das nur von Fall zu Fall und je nach politischem Wind angewendet wird, bald nicht mehr ernst genommen wird. Das offizielle Nichtanerkennen des Gerichtshofs ist dann nur eine logische Folge.

  • am 25.11.2016 um 15:55 Uhr
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    Das mag stimmen, dass die Urteile des IStGH nicht nur einseitig gegen afrikanische Länder ausgesprochen wurden, aber es ist offensichtlich, dass er NIE gegen Kriegsverbrecher «des Westens» vorgeht (wie Stephan Klee bereits richtig angemerkt hat).

    Auszug von Wikipedia:
    "Die USA wurden am 27. Juni 1986 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag für ihre direkte und indirekte militärische Teilnahme am Contra-Krieg zur Beendigung der „ungesetzlichen Anwendung von Gewalt“ gegen Nicaragua und Zahlung von Reparationen verurteilt.[32] Die USA weigerten sich jedoch, das Urteil anzuerkennen. Nicaragua wandte sich daraufhin an den UNO-Sicherheitsrat, welcher eine Resolution verabschiedete, die alle Staaten dazu aufrief, das internationale Gesetz zu befolgen. Die USA legten ihr Veto gegen die Resolution ein.[33] Die USA sind damit das einzige Land, welches gleichzeitig vom Internationalen Gerichtshof verurteilt wurde und gegen eine an alle Staaten gerichtete Resolution des Sicherheitsrates zur Einhaltung internationaler Gesetze ein Veto einlegte."

    Sollte Putin mit Russland trotzdem weiterhin im IStGH verbleiben?

    Man sollte sich das mal klar machen: Es gibt nur 5 Länder, die ein VETO-Recht bei Beschlüssen des Sicherheitsrates haben: China, Russland, Frankreich, Grossbritannien, USA.

    Ausführliche Aufarbeitung (mit Belegen basierend auf historischen Tatsachen !) im 2016 erschienen Buch des Schweizer Historikers «Daniele Ganser – Illegale Kriege, wie die NATO-Länder die UNO sabotieren».

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