Sperberauge

Holocaust und Meinungsfreiheit

Jürg Müller-Muralt © zvg

Jürg Müller-Muralt /  Bei der Debatte um Holocaust-Leugner sollte man Meinung und Tatsache nicht verwechseln.

Die 89-jährige deutsche Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck muss ins Gefängnis. Sie behauptet, Vernichtungslager habe es nicht gegeben, der Tod von sechs Millionen Juden sei unbewiesen – sie verbreitet öffentlich das übliche Repertoire der Nazi-Apologeten. Ein deutsches Gericht hat Haverkamp zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die sie nun auch absitzen muss. Die Tamedia-Blätter nehmen das zum Anlass, grundsätzlich den Sinn von Gesetzen in Frage zu stellen, welche die Leugnung oder Rechtfertigung von Völkermord und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe stellen.

Das kann man tun. Was man allerdings nicht tun kann, ist im Zusammenhang mit der Holocaustleugnung mehrmals im Artikel den Begriff «Meinung» zu verwenden, wie es der Tamedia-Journalist tut: Es gehe «um die Kriminalisierung von Meinungen» und «Meinungen über die Geschichte», schreibt er. Eben gerade nicht! Der Holocaust ist eine brutale historische Tatsache und nicht bloss eine «Meinung». Meinungen sind immer verhandelbar, Tatsachen nicht.

Friedensbedrohendes Potenzial

Man kann die Debatte führen, ob man die politisch motivierte Leugnung gewisser historischer Tatsachen strafrechtlich verfolgen, oder ob man solche Fragen grundsätzlich der Zivilgesellschaft überlassen will. Man sollte aber auch die besondere Situation Deutschlands vor Augen halten, wenn man, wie der Tamedia-Journalist, dafür plädiert, die Leugnung des Holocausts zu entkriminalisieren. Die Zeit des Nationalsozialismus hat für die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts eine «gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung, die einzigartig ist und allein auf der Grundlage allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen nicht eingefangen werden kann.» Deshalb stützen die Verfassungsrichter die strafrechtliche Verfolgung von Holocaustleugnern. Denn die Verteidigung der nationalsozialistischen Herrschaft – und genau das tun Holocaustleugner und Geschichtsrevisionisten – sei in Deutschland ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens mit friedensbedrohendem Potenzial. Und das darf weiterhin unter Strafe stehen, meiner Meinung nach.


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2 Meinungen

  • am 12.05.2018 um 21:01 Uhr
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    Wer sich einmal mit den Philosophen Searle und Austin beschäftigt hat, kennt den Begriff des Sprechaktes. Meines Erachtens geht es beim Rassismus-Artikel nicht so sehr um Wahrheit oder Tatsachen, sondern um die Absicht, andere Menschen zu verletzen. Ob man nun den Holocaust, das Massaker von Srebrenica oder den Völkermord an den Armeniern kleinredet, spielt keine Rolle. Sobald man dies auf öffentlichen Plätzen tut, ist dies etwas anderes als in einer Historikerkommission. Man will damit provozieren und Leute verletzen. Es ist diese Sprechhandlung, die den Strafwert wesentlich ausmacht, nicht die Leugnung einer Tatsache allein. Daher ist auch David Hesses Verteidigung mit dem Hinweis auf die Meinungsfreiheit (bei gleichzeitiger Akzeptanz des Strafwerts der Ehrverletzung) schief.

  • am 16.05.2018 um 16:06 Uhr
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    Der Artikel im Tages-Anzeiger hat gezeigt, wie tief das Niveau der Redaktion (wahrscheinlich durch Personalabbau und Zeitdruck) gesunken ist. Jeden Morgen, wenn man diese Zeitung zur Hand nimmt und die Schlagzeilen überfliegt, merkt man, dass ein Grossteil davon schon in den Nachrichten erschienen ist und das schriftliche Wiederkäuen ohne Mehrwert bloss noch ärgert – und zudem ist ein viel zu grosser Anteil des Rests oft nur arbiträrer Mist, der von unseren wirklichen Problemen ablenkt. Dann kommt aber zwischendurch auch wieder ein Beitrag zum politischen Diskurs, von dem man meinen könnte, er sei lesenswert. So auch der hier besprochene Artikel. Leider fehlte ihm der Background: die Debatte bei der Abstimmung über das Rassismusgesetz, das gegen Widerstände etwa des linken Grünen Daniel Vischer und der ultrarechten Schlüer und Blocher die Gnade des Stimmvolks gefunden hatte; gemessen daran ist es ein haarsträubender Artikel. Der Journalist hat weltwochisiert für ein bisschen Aufmerksamkeit, woran nur noch das Mittel (Holocaust) aufschlussreich ist, das diesen Zweck heiligte. Zurecht hat Infosperber den Namen des Journalisten nicht genannt, denn er ist öffentlich ephemer und wird verschwinden, gewiss noch bevor es den Tagi, der diesen Kosenamen längst nicht mehr verdient, wegen solcher Artikel nicht mehr gibt.

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