Frischknecht

Der Recherchier-Journalist und Buchautor Jürg Frischknecht ist 69-jährig an Krebs gestorben © privat

Jürg Frischknecht – „Grabe, wo du stehst“

Hanspeter Guggenbühl /  Er bohrte tief. Damit förderte er viel politisch Brisantes und Relevantes ans Licht: Jürg Frischknecht ist gestorben.

Als 1968 die Studentenrevolten ausbrachen, war Jürg Frischknecht 21 Jahre alt und studierte an der Universität Zürich Publizistik und Soziologie. Politisiert wurde und politisch betätigt hat er sich aber schon früher in seinem Heimatkanton Appenzell Ausserrhoden. Er war ein unabhängiger Linker und blieb es Zeit seines Lebens; im Unterschied zu andern 68ern hat Frischknecht den Marsch nach rechts und durch die Institutionen nie angetreten.

Seine Tätigkeit als Journalist begann Anfang der 1970er-Jahre: Für die linksliberale National-Zeitung, (heute Basler Zeitung) schrieb Frischknecht über die Zürcher Studentenpolitik, über Medien, Rechtsextremismus in der Schweiz, später auch über Alpen-und Umweltpolitik. Seine Spezialthemen vertiefte er in mehreren Sachbüchern: In «Die unheimlichen Patrioten» beleuchteten er und andere Autoren die rechte Schweizer Politszene. Im Buch «Wandert in der Schweiz, solange es sie noch gibt» beschrieb er «Tatorte», die durch Autobahn- und Kraftwerkprojekte bedroht waren.

Links und professionell

Obwohl Jürg Frischknecht erkennbar politisch links stand, veröffentlichten mehrere bürgerliche Tageszeitungen seine Texte. Zu ihnen gehörten neben der Basler die Bündner Zeitung (heute Südostschweiz) und die Luzerner Neusten Nachrichten (heute Luzerner Zeitung) sowie vorübergehend das St. Galler Tagblatt. Denn Frischknecht beherrschte das journalistische Handwerk besser als andere, konformere Medienschaffende.

«Grabe, wo Du stehst», lautet der Titel eines Buches des Schwedischen Schriftstellers Sven Lindqvist. Dieses Motto prägte die Arbeit von Jürg Frischknecht. Zu seinen Standorten gehörten die politische Schweiz, Zürich, das Oberengadin sowie weitere Gebiete der Alpen. Regionale Politik stand ihm näher als globale. Und er grub tiefer als die meisten. Frischknecht recherchierte unnachgiebig. Wenn wir andern Journalisten, die am gleichen Thema arbeiteten, bereits an der Schreibmaschine sassen, telefonierte er noch immer weiter. Und danach beschämte er uns oft mit exklusiven Informationen, die wir auch gesucht, aber mangels Hartnäckigkeit nicht gefunden hatten.

Öffentlichkeit schuf Frischknecht nicht für sich, sondern für seine Anliegen und Themen. Er tat dies direkt als Journalist, aber auch indirekt, etwa als Mitträger des Studienzentrums Salecina in Maloja (GR). Hier organisierte er Informationstagungen, die politisch relevante Themen wie den alpenquerenden Transitverkehr oder den Bau von Pumpspeicher-Kraftwerken in den Alpen kritisch vertieften und zur Diskussion stellten. Daneben gab Frischknecht andern Medienschaffenden weiter, was er selber beherrschte. Er gab Kurse über Recherchier-Technik am Schweizer Medien-Ausbildungs-Zentrum (MAZ) und beim Schweizer Fernsehen SRF.

Auslöser der Cincera-Affäre

Das branchenübliche Mass an Selbstdarstellung, das die Medienszene prägt, unterschritt Frischknecht deutlich. Als Person blieb er bescheiden, bewegte sich lieber im Hintergrund. Trotzdem wurde er Ende November 1976 landesweit bekannt, nämlich als Mitglied des «Demokratischen Manifestes» (DM), das sich gegen die Repression in der Schweiz engagierte. In dieser Organisation amtete ein Kassier, den Frischknecht und seine Mitstreiter als Spitzel des Zürcher Rechtspolitikers und Subversivenjägers Ernst Cincera enttarnten. Kassier K. führte Frischknecht und andere DM-Mitglieder in Cinceras Archiv. Dort behändigten die DM-Aktivisten eine Reihe von Dokumenten, die belegten, dass Cincera eifrig Spitzelberichte und Daten von angeblich subversiven Bürgerinnen und Bürgern sammelte, um sie an deren Vorgesetzte oder an politische Ämter weiter zu leiten. Diese Informationen veröffentlichte das DM unter Frischknechts Regie an einer Medienkonferenz. Darauf machte die Zürcher Fichenaffäre wochenlang Schlagzeilen; dies 14 Jahre bevor der nationale Fichenskandal die Schweizer Öffentlichkeit schockierte.

Im Journalismus gibt es zwei Arten von «Primeurs»: Einerseits Nachrichten, die ein Medium vorzeitig veröffentlicht, andererseits Informationen, die nur dank den Recherchen eines Journalisten oder einer Journalistin an die Öffentlichkeit dringen. Frischknechts Enthüllungen gehörten meist zur zweiten Gruppe. Er brachte manches an die Öffentlichkeit, das andere unter dem Deckel halten wollten. Er betrieb einen engagierten Interventions-Journalismus, der oft politische Debatten auslöste. Anfänglich publizierte Frischknecht primär in bürgerlichen Tageszeitungen, später zunehmend in der linken Wochenzeitung WOZ.

Journalistische Wanderungen

In späteren Jahren verband Jürg Frischknecht seine journalistische Neugier vermehrt mit seiner Liebe zu den Bergen und seinem liebstem Hobby: dem Wandern. Zusammen mit seiner Partnerin Ursula Bauer verfasste er zahlreiche Wanderbücher. Darin ergänzten sie präzise Beschreibungen von Routen, Beizen, Unterkünften sowie die Angaben von Adressen mit umweltpolitischen, historischen und kulturellen Informationen. Für dieses Engagement erhielt das Autorenpaar 2003 den Binding-Preis für Natur- und Umweltschutz. Als die beiden alterten und Frischknechts Kniebeschwerden zunahmen, wurden die einst sehr anspruchsvollen Wanderrouten etwas sanfter, die kulinarischen Informationen ausführlicher.

Jürg Frischknecht starb letzten Montag im Alter von 69 Jahren an Krebs. Mit seinem Tod verliert die Schweizer Medienbranche einen vielseitig engagierten und profilierten Journalisten, aber auch einen liebenswerten Kollegen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor war mit Jürg Frischknecht befreundet und schrieb zuweilen über die gleichen Themen im Bereich Umwelt und Alpen.

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Eine Meinung zu

  • am 24.07.2016 um 00:33 Uhr
    Permalink

    Schade, dass er so früh gehen musste. Ein grosser Verlust für den kritischen Deutschschweizer Journalismus. Wo sind die Nachfolger?

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