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In den USA sind Reformen im Medienbereich zwingend: Free Press macht Druck. © Free Press

Free Press – ein kleiner Fisch im Haifischbecken

Roman Berger /  Die Medienlandschaft der USA trocknet aus. Städte und ganze Regionen werden zu Newswüsten. Eine Bürgerbewegung sucht Mitstreiter.

Im Sheraton Hotel von Down Town Denver hat die Vereinigung der amerikanischen Whisky-Produzenten eben ihre Jahresversammlung abgeschlossen. In den gleichen Sälen treffen sich jetzt mehrere tausend Vertreter von Bürgerorganisationen aus allen Ecken der USA mit Journalisten und bekannten Medienexperten zu einer dreitägigen «Nationalen Konferenz für Medienreform».

Nach Denver eingeladen hatte nicht eine Journalistengewerkschaft oder universitäre Journalismusfakultät, sondern eine Bürgerbewegung mit dem Namen Free Press, die für bessere Medien kämpft (www.freepress.net). Und dies in einem Land, das sich als Hort der Pressefreiheit versteht und wo – wie in keiner anderen westlichen Demokratie – der Grundsatz gilt: Der Medien- Markt kann sich selber regulieren und ist fähig, einen demokratiegerechten Journalismus hervorzubringen. Die Realitäten in den USA sprechen aber eine andere Sprache.

Nur nach aussen Konkurrenten

Die Informationsflüsse für mehr als 300 Millionen Amerikaner werden nur noch von fünf Megakonzernen kontrolliert, für welche die Medien oft nur einen kleinen Teil des Geschäfts ausmachen. Nach aussen treten die Giganten Viacom (CBS), Time Warner, News Corporation (Rupert Murdoch), General Electric (NBC) und Disney (ABC) zwar als Konkurrenten auf. Untereinander sind sie aber über die Verwaltungsräte und zahlreiche Joint Ventures eng verbunden. Mit verhängnisvollen Folgen.

«Eine zum Schweigen gebrachte Mehrheit»

«Wenn die USA Krieg führen, schlagen auch Leitmedien wie die New York Times oder Washington Post sofort die Kriegstrommel, anstatt wichtige Fragen zu stellen,» erinnert Amy Goodman vom alternativen Radio «Democracy now» an den vor zehn Jahren unter falschen Behauptungen vom Zaun gebrochenen Irakkrieg. «Die Medien geben nur die Positionen der Demokraten und Republikaner wieder. Die Meinung jener Amerikaner, die nicht in diesem engen Spektrum Platz hat, kommt kaum zu Wort. Zum Beispiel die Stimmen, die gegen die Folter, den Drohnen-Krieg oder die wachsende Armut protestieren». Für Goodman ist die schweigende Mehrheit in Wirklichkeit «eine zum Schweigen gebrachte Mehrheit».

In Denver ist zu beobachten, was in Amerikas Medienlandschaft wirklich passiert. 2009 ist mit den «Rocky Mountain News» die erste US-Grossstadtzeitung eingegangen. Die «Rocky» war kein Käseblatt, sie gewann seit 2000 vier Pulitzerpreise. In der 600 000 Einwohner zählenden Hauptstadt Colorados ist nur noch ein Titel übrig geblieben, die «Denver Post».

Immer mehr «One-Voice» –Städte

Inzwischen sind auch Los Angeles, Chicago, Orlando, Seattle, Buffalo, Omaha oder Hartford sogenannte «One Voice Cities» geworden. Der bekannte Kolumnist David Sirota beschreibt die Folgen, wenn in einer Stadt nur noch «eine Stimme» informiert: «Private Zeitungsbesitzer gelangen in eine historisch einmalige Position. Sie sind in der Lage, die News so zu formen, dass sie ihren persönlichen Interessen dienen. Unbequeme Fakten bleiben im Dunkeln, Konflikte werden nicht ausgetragen. Die lokale Politik, die Wirtschaft, die Wahlen können so gelenkt werden, wie es in einer Stadt mit mehreren Zeitungen unmöglich wäre»(Harper`s Magazine. Sept. 2012). Lokale TV- und Radiostationen gehören oft dem Besitzer des dominierenden Printmediums. Alternative Internetportale sind zu schwach, um Gegensteuer zu geben. Die Medien sind kein «Watchdog» mehr.

Die Medienlandschaft der USA trocknet aus. Ganze Städte und Regionen haben sich in «Newswüsten» verwandelt . Zum Beispiel Reading (Pennsylvania): Die ehemalige Textilstadt gilt als ärmste Stadt der USA. Von den 88 000 Einwohnern sind 58 Prozent Latinos. Städte wie Reading mit hohen Anteilen von ethnischen Minderheiten und armen Weissen sind für die auf das besser situierte Amerika ausgerichteten Mainstreammedien uninteressant. In diesen Newswüsten gibt es ausser Wetter, Sport, Unglücksfällen und Verbrechen nur wenige andere lokale Nachrichten.

«News-Kooperativen» – ein Ausweg aus der Krise?

Über das neue Phänomen der «News Desert» berichtete in Denver der Journalist und Unternehmer Tom Stites. Bei Google habe er nach der Eingabe des Begriffs «News Desert» nur Resultate zu «news» und «desert» erhalten. Schliesslich, so Stites, sei er auf ein Video zum Thema «Food Desert» gestossen, das über hungrige und durstige Menschen berichtet, die verzweifelt auf der Suche nach einer Oase seien. Diese Bilder hätten bei ihm die Frage provoziert: «Was tun wir für die wachsende Anzahl von Bürgern, die hungrig und durstig nach Informationen sind ?»

Zur Zeit der grossen Wirtschaftsdepression, erinnerte Stites, hätten Kredit- und Nahrungsmittelkooperativen geholfen, die Krise zu überwinden. Jetzt sieht der Journalist die Zeit für «News-Kooperativen» gekommen. Wenige tausend Einwohner könnten in Reading oder anderen Städten «Community news co-ops» gründen. Mit seinem von Stiftungen und der Harvard Universität unterstützten Projekt hofft Stites, in «Nachrichten-Wüsten» Oasen schaffen zu können (www.banyanproject.coop)

Weitere Konzentrationen verhindern

«Wir wachsen immer noch. 2012 konnten wir 100 000 neue e-mail adressen beschaffen,» bilanziert der Präsident von Free Press, Craig Aaron. Die 2003 gegründete Organisation hat – mit einem von der Soros- und der Ford-Stiftung alimentierten Budget von 4 Millionen Dollar – rund dreissig Angestellte und ist in Washington mit zwei Lobbyisten präsent. Free Press hat sich zu einer beachtlichen Bürgerbewegung entwickelt, bleibt aber ein kleiner Fisch im Haifischbecken der Giganten des Medienbusiness.

Die Frage drängt sich auf. Hat der Kampf von Free Press für eine «Medienreform» überhaupt eine Chance ? «Wir können die Medienmonopole nicht aufbrechen, höchstens versuchen, weitere Konzentrationen zu verhindern», erklärt der für die politische Strategie von Free Press verantwortliche Matt Wood. Der Absolvent der prestigereichen Harvard Law School verteidigt die defensive Strategie von Free Press und zitiert ein amerikanisches Sprichwort: Wer nicht am Verhandlungstisch sitzt, über den wird verhandelt.

Free Press ist nicht Occupy

Während der Konferenz in Denver demonstrierten vor dem Sheraton Hotel Sympathisanten der Occupy-Basis. Free Press sei ein Teil der Machtstrukturen des Medienbusiness geworden, kritisierten die Demonstranten. Der Occupy-Bewegung ihrerseits, von der in den USA nicht mehr viel zu hören ist, wird heute vorgeworfen, sie hätte vor zwei Jahren nicht nur Wall-Street, sondern auch die grossen Medien besetzen müssen. Denn die Medien hätten in der Finanz- und Bankenkrise als «Watchdog» versagt.

Free Press ist nicht Occupy. Der bekannte Medienwissenschaftler Robert McChesney, der ein Mitbegründer und Vordenker von Free Press ist, vergleicht die Bürgerbewegung zehn Jahre nach ihrer Gründung mit einer Pflanze, die in einem fruchtbaren Boden rasch gewachsen sei, nun aber mangels Sonnenlicht zu verkümmern drohe.

Sauerstoff für alle Bürger

In einem Gespräch in Denver erklärte McChesney, unter welchen Voraussetzungen Free Press als «Graswurzelbewegung» wieder mit neuer Energie agieren könne. Er vertritt die These, die «fünf Mediengiganten» seien nicht einfach auf dem Markt entstanden, sondern das Resultat einer falschen Politik, die auch wieder korrigiert werden könne. Aber das sei im politischen Kontext von heute nicht möglich. McChesney: «Medienreform setzt eine Demokratiereform voraus, vergleichbar mit der Bürgerrechtsbewegung vor 40 Jahren, als Amerikas Schwarze gleichberechtigte Bürger wurden. Eine Medienreform mit dem Ziel, alle Bürger mit dem für das Überleben der Demokratie notwendigen Sauerstoff zu versorgen, kann nur durch eine breite Koalition von Gewerkschaften, Bürgerrechts- und Umweltschutzorganisationen und natürlich auch der Journalisten erfolgreich sein. Free Press kann nur auf einer breiteren politischen Basis neu aufblühen.»

Vom rechtskonservativen TV-Sender Fox News (Rupert Murdoch) wird McChesney als «gefährlicher Marxist» verteufelt , der in den USA eine linke Revolution anzetteln wolle. Das nimmt Robert McChesney mit Schmunzeln zur Kenntnis: als Kompliment.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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