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Lieber Subventionen für Ökostrom als Lenkungsabgabe für nicht erneuerbare Energie © cc

Warum auch die Linke die Lenkungsabgabe ablehnte

Hanspeter Guggenbühl /  Lieber den Förder-Spatz in der Hand als die Lenkungs-Taube auf dem Dach. Aktualisierte Fassung nach dem Beschluss des Nationalrats.

Im Grundsatz «Ja», im konkreten Fall «Nein». Dieses Schicksal verfolgt Vorlagen für Lenkungsabgaben seit Jahrzehnten: Gelobt werden Lenkungs- oder Ökosteuern, weil sie nicht erneuerbarer Energie oder anderen begrenzten Naturgütern einen Preis geben und damit deren Verbrauch mit marktwirtschaftlichem Anreiz drosseln. So kommt die jüngste Nationalfondsstudie unter dem Titel «Steuerung des Energieverbrauchs» (NFP 71) zum Schluss: «Lenkung ist erheblich effizienter und bis zu fünfmal kostengünstiger als Förderung.»
Trotzdem setzt die Energiepolitik bislang auf Förderabgaben, um energetische Sanierungen und erneuerbare Stromproduktion zu subventionieren. Anträge auf Lenkungsabgaben hingegen scheiterten trotz grundsätzlicher Sympathie stets am bürgerlichen Widerstand, weil sie angeblich zu hoch oder zu tief waren, zum falschen Zeitpunkt kamen, oder weil man sich über die Verwendung, Kompensation oder Rückverteilung des Ertrags uneinig war.
Das gleiche Schicksal erlitt jetzt auch die neuste Vorlage mit dem Kürzel «KELS» (Klima- und Energielenkungssystem), über die der Nationalrat gestern Mittwochabend debattierte. Das Neue daran: Diesmal waren nicht nur die bürgerlichen Parteien dagegen, sondern auch die SP und die Grünen.
Verfassungsartikel als Grundlage
Dieses neuste Kapitel hatte der Bundesrat 2011 nach der Atomkatastrophe in Fukushima eingeleitet. Er erarbeite eine neue Energiestrategie mit den Zielen, den Energieverbrauch zu senken und die Atomkraft langfristig mit erneuerbarer Stromproduktion zu ersetzen. In der ersten Etappe, über die wir am 21. Mai abstimmen, baute er primär auf strengere Vorschriften und Fördermittel. In der zweiten Etappe ab 2021 sollen die Förderabgaben und Subventionen sukzessive abgelöst werden durch Lenkungsabgaben auf fossiler Energie und Elektrizität.
Als Grundlage für dieses Lenkungssystem schlägt der Bundesrat dem Parlament einen allgemein formulierten «Verfassungsartikel über Klima- und Stromabgaben» vor, den das Finanzdepartement unter Leitung der ehemaligen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ausarbeitete. Demnach «kann der Bund eine Abgabe auf Brenn- und Treibstoffen (Klimaabgabe) und eine Stromabgabe erheben». Einen Teil des Ertrags muss der Bund vorübergehend noch zur Finanzierung der heutigen Fördermassnahmen (Gebäudesanierungen, Quersubventionen für Ökostrom, etc.) verwenden. Langfristig soll der gesamte Ertrag an Wirtschaft und Bevölkerung zurück verteilt werden nach dem Prinzip: Wer weniger Energie als der Durchschnitt verbraucht, wird unter dem Strich finanziell belohnt. Der Verfassungsartikel lässt aber offen, wie hoch die Abgaben ausfallen, und welche Energieträger sie wie stark belasten; das sollen später die Ausführungsgesetze regeln.
Widerstand von beiden Seiten
Der Sukkurs für diese KELS-Vorlage blieb schon in der Regierung flau. Energieministerin Doris Leuthard sagte mehrmals, sie sei gegenüber Lenkungsabgaben «skeptisch», und der zuständige neue Finanzminister Ueli Maurer steht seiner Vorgängerin Widmer-Schlumpf, welche die KELS-Vorlage aufgleiste, weniger nah als seiner SVP, die alle Öko-Abgaben schroff ablehnt.
In der Energiekommission (UREK) des Nationalrats wiederholte sich das Argumentations-Muster, das bislang jede Energielenkungsabgabe zu Fall brachte und sich in fünf Worten zusammenfassen lässt: «Grundsätzlich Ja, aber nicht so.» Bemerkenswert ist das Resultat:
Mit 24 zu 0 Stimmen beantragt die UREK dem Nationalrat, auf die Vorlage gar nicht erst einzutreten. Neben den bürgerlichen Mitgliedern stimmten diesmal auch die Grünen und die SP dagegen.
Im Konfliktfall fürs «Bewährte»
Warum diese linke Kehrtwende? «Wir lehnen die Vorlage ab, weil sie wirksame (Förder-) Massnahmen abbaut, ohne an deren Stelle griffige Lenkungsmassnahmen vorzusehen», begründet die Grüne Partei und folgert: «Das Nein zur KELS ist ein Ja zu den bewährten Massnahmen zum Schutz des Klimas und für die Energiewende.»
Der Energiespezialist der SP, Beat Jans, verweist auf die bestehende CO2-Abgabe auf fossilen Brennstoffen – eine Mischung aus Förder- und Lenkungsabgabe – und sagt: «Zur Einführung ergänzender Lenkungsabgaben auf Treibstoffen oder Strom braucht es keine Verfassungsänderung und schon gar keine Kann-Formulierung.» Dem Bundesrat wirft Nationalrat Jans vor, er spiele mit diesem Verfassungsartikel Lenkungs- gegen Förderabgaben aus.
Die Stellungnahmen zeigen: Im Konfliktfall ziehen jetzt auch linke und grüne Parteien die – ordnungspolitisch verpönten – Förderabgaben und Subventionen in der Energiepolitik den grundsätzlich gelobten Lenkungsabgaben vor, getreu dem Motto «lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach».
Allerdings: Die Tage der Förderabgaben sind ohnehin gezählt, wenn das Volk am 12. Mai der ersten Etappe zur Energiestrategie zustimmt. Denn diese Vorlage, die alle Parteien ausser der SVP unterstützen, befristet die Förderabgabe auf der Elektrizität (Netzzuschlag), mit der der Bund die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für Ökostrom finanziert. Mit ihrem Ja zur ersten Energiestrategie-Etappe und einem Nein zur KELS-Vorlage gibt die Mehrheit des Parlaments also den energiepolitischen Spatz aus der Hand und belässt die Taube auf dem Dach.
Einhellige Ablehnung der KELS, aber vielfältige Motive
Nachtrag nach dem Entscheid vom 8. März im Nationalrat:
Der Nationalrat begrub am Mittwochabend (8. März) erwartungsgemäss und einhellig den vom Bundesrat beantragten Verfassungsartikel für ein «Klima- und Energielenkungssystem» (KELS); eine Abstimmung über den Antrag zum «Nichteintreten» war nicht einmal nötig, weil es keinen Gegenantrag gab und Finanzminister Ueli Maurer auf eine Abstimmung über den bundesrätlichen Antrag verzichtete. Den gleichen Entscheid wird im Sommer wohl der Ständerat fällen.

Die Motive der Ablehnung aber klafften weit auseinander. Aus der hitzigen zweistündigen Debatte im Nationalrat lassen sich folgende Positionen heraus schälen:

  • Linke und Grüne verlangen weiterhin Lenkungsabgaben, aber schnell und konkret auf Gesetzesebene, also ohne die Grundlage eines neuen Verfassungsartikels. Der bestehende (Umwelt-)Artikel 74 in der Bundesverfassung genüge, um die heutige CO2-Abgabe auf Brennstoffen (eine Mischung aus Förder-und Lenkungsabgabe) auszuweiten auf fossile Treibstoffe und Elektrizität, argumentierte SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. Gleichzeitig warnte er davor, «bewährte» Mittel wie Verbrauchsvorschriften oder Förderabgaben aufzugeben, denn, sagte Nussbaumer: «Es braucht einen Mix von Instrumenten».
  • Die Grünliberalen meinen ebenfalls, die Einführung von Lenkungsabgaben sei ohne neuen Verfassungsartikel auf Gesetzesebene möglich. Deshalb reichte die GLP gestern ein Postulat ein. Dieses verlangt vom Bundesrat zu prüfen, «wie für die 2. Etappe der Energiestrategie 2050 schrittweise ein staatsquotenneutrales und dadurch für Bevölkerung und Wirtschaft verkraftbares Klima- und Energielenkungssystem auf Gesetzesebene eingeführt werden kann». Dieses soll neben Brennstoffen auch Elektrizität und den Verkehr erfassen, sei es mit einer Treibstoffabgabe oder einer Abgabe nach Fahrleistung (Mobility Pricing). Ob dieses Postulat im bürgerlich dominierten Parlament eine Mehrheit finden wird, ist allerdings fraglich.
  • Die Mitteparteien CVP und BDP sind im Grundsatz ebenfalls für Lenkungsabgaben, meinen aber, diese liessen sich in der Praxis nicht umsetzen. Mit den pointierten Worten von CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt: «Das Lenkungssystem ist das beste System in der besten aller Welten, aber wir haben nicht diese beste aller Welten.» BDP-Mann Hans Grunder ergänzte: «Lenkungsabgaben haben politisch keine Chance.» Der vom Bundesrat beantragte Verfassungsartikel lasse einen viel zu grossen Spiel- und Interpretationsraum offen. Dringend sei jetzt eine baldige Lösung ohne Lenkungssystem, die eine sichere, vorwiegend einheimische Stromversorgung sichere, zum Beispiel über ein Quotenmodell.
  • Die FDP respektive ein Teil dieser energiepolitisch gespaltenen Partei akzeptiert zwar die CO2-Abgabe auf Brennstoffen, will aber die bestehende Zweckbindung eines Teils des Abgabeertrages möglichst schnell abschaffen. Zusätzliche Abgaben lehne die FDP ab, erklärte FDP-Nationalrat Pirmin Schilliger, der zur knappen FDP-Mehrheit gehört, welche die erste Etappe der Energiestrategie befürwortet. Zudem glaubt Schilliger, dass sich die Verbrauchsziele der Energiestrategie (43 Prozent weniger Energie pro Kopf bis 2035 gegenüber dem Jahr 2000) auch ohne zusätzliche Mittel erreichen lassen. Denn schon heute liege der Energiekonsum pro Kopf in der Schweiz um 15 Prozent unter dem Niveau des Jahrs 2000.
  • Die SVP lehnt alles ab: Die erste Etappe der Energiestrategie, über die wir am 21. Mai abstimmen, die bestehenden Förderabgaben, die CO2-Abgabe, und damit auch jede neue Lenkungsabgabe.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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3 Meinungen

  • am 8.03.2017 um 13:34 Uhr
    Permalink

    Linksgrün kann sich in der Sache mit einer steten und konkreten Forderung von Lenkungsabgaben rehabilitieren. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr: Wenn nicht so (KELS), dann wie? Diese Antwort sind uns Linksgrün nun schuldig. Wenn es nach mir ginge: Ausbau der CO2-Abgabe stark nach oben und Ausweitung auf alles CO2 aus Fossilen und aus der Zementproduktion; Erhöhugspfad über mindestens 10 Jahre im Voraus definiert; Abgabe auf Strom aus AKW. 100% Rückverteilung allen Einkommens aus Lenkungsabgaben via Scheck oder Banküberweisung; Grenzausgleich, auch auf Strom, entsprechend dem EU Produktionsmix, auch bei Exporten. Es könnte einfach sein.

  • am 9.03.2017 um 12:45 Uhr
    Permalink

    Kä Lust.Die Linken und Grünen schließen sich Ueli an und Vermeiden auch nur über KELS abzustimmen.Da kann ich mir in Zukunft meine Beteiligung an Wahlen sparen.

  • am 10.03.2017 um 09:23 Uhr
    Permalink

    Ich versteh’s auch nicht. Es ist doch einfach logisch, dass Lenkungssysteme im Prinzip jedes gewünschte Ergebnis herbeiführen können. Natürlich gibt es Konflikte im Detail und mit einer bürgerlichen Mehrheit gibt es wohl keine taugliche Lösung. Trotzdem hätte ich mir Proteststimmen von Linksgrün gewünscht.

    Gruene.ch schreibt:
    "UREK-N lehnt Klima- und Energielenkungssystem ab. …
    Auch die Grünen lehnen die Vorlage ab, weil sie wirksame Massnahmen abbaut, ohne an deren Stelle griffige Lenkungsmassnahmen vorzusehen. Das Nein zu KELS ist ein Ja zu den bewährten Massnahmen zum Schutz des Klimas und für die Energiewende. Ein Ja zur Energiestrategie 2050 ist nötiger denn je.
    …"
    Aber die «bewährten Massnahmen» genügen doch auch nicht! Es ist die alte Geschichte: Ideale oder Realpolitik. Die Spatz-Taube Metafer beschreibt es gut. wobei am Schluss wohl beide wegfliegen.

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