IMG_0405_thumb_800x700

GSoA-Transparent für den Abstimmungskampf © GSoA

Die Armee nach Afghanistan und Atalanta

Josef Lang /  Die Armee ist auf der Suche nach einem Ersatz für den «bösen Feind». Aber die wirklichen Gefahren sind ziviler Natur

Anfangs Juni 2001, genau in der Mitte des Zeitraums zwischen dem Mauerfall und heute, erfuhr die helvetische Öffentlichkeit etwas höchst Seltsames: Die UBS hatte im Rahmen das Abstimmungskampfes für bewaffnete Auslandeinsätze dem SP-nahen Komitee «Ja zum Schutz der Zivilbevölkerung» eine Geheimspende von 100‘000 Franken gemacht. Den Deal eingefädelt hatte das bürgerliche Komitee «Ja zum Selbstschutz», dem klar war, dass es für einen Sieg am 10. Juni 2001 eine Mehrheit der Linken brauchte. Vorlage und Vorfall werfen drei Fragen auf, welche die Situation der Schweiz zwischen Kaltem Krieg und Irak-Krieg beleuchten: Warum war die Armee bereit, für Auslandeinsätze den Bruch mit dem traditionalistischen Teil ihrer Basis in Kauf zu nehmen? Warum war die UBS derart interessiert an der schweizerischen Beteiligung am globalen Neomilitarismus, dass sie einer Linkspartei eine derart grosse Summer zur Verfügung stellte? Und warum gingen Politiker und Politikerinnen, die parlamentarisch die Offenlegung aller Spenden über 500 Franken forderten, ein derartiges Risiko ein?

Auslandeinsätze und Bankgeheimnis

Das Ende des Kalten Krieges, das zusammenfiel mit der Abstimmung über die GSoA-Initiative im November 1989, und erst recht die Auflösung des Warschauer Paktes im Juli 1991 stürzten auch das Schweizer Militär in eine tiefe Legitimitätskrise. Plötzlich war die Schweiz «von Freunden umzingelt» (Helmuth Kohl). Ausgerechnet in einer Situation, in der die Armee innerlich angefeindet wurde wie nie mehr seit dem Genfer Massaker von 1932, verlor sie ihre wichtigste Stütze: den äusseren Feind, den «böfei». Da die Umorientierung der Armee von der Grenzverteidigung zu Inneren Einsätzen wegen dem geschlossenen Widerstand der Linken schwierig war und da der militärische Interventionismus ohnehin ein Revival erlebte, entschied man sich für die Flucht ins Ausland. Hinter den Schlagworten «Sicherheit durch Kooperation» steckte die Suche nach Legitimation jenseits der Grenzen. Wie unglaubwürdig die humanitäre Rhetorik war und ist, zeigen die Kriegsmaterialexporte in Länder wie Pakistan oder Saudiarabien. Der politische Verlust auf der Rechten konnte kompensiert werden durch den Gewinn der Mehrheit der SP.
Worum ging es der UBS und dem Finanzplatz bei ihrer Unterstützung der Auslandeinsätze? Es war den Banken klar, dass das Ende des Kalten Krieges ihr Geschäftsmodell noch mehr gefährdete als die Armee. Um die potentiellen Feinde des Bankgeheimnisses gnädig zu stimmen, war es wichtig, dass sich die Schweiz mindestens militärisch «solidarisch» verhielt. Dabei wussten alle in- und ausländischen Beteiligten, dass der Wert von Schweizer Soldaten weniger in der militärischen «Hard power» als in der «Soft Power» namens Neutralität lag.
Was bewog die damalige SP-Führung auf militärische Auslandeinsätze zu setzen? Aussenpolitisch ging es darum, die Öffnung der Schweiz durch das militärische Hintertürchen zu schaffen, nachdem das politische Hauptportal durch das EWR-Nein von 1992 verschlossen worden war. Innenpolitisch ging es darum, die Entfremdung zwischen SVP und Armee auszunützen, um selber das Vakuum zu füllen und die Armeereform voranzutreiben. Das hätte angesichts des Gewichts der militärischen Institution zusätzlich einen grossen Machtgewinn bedeutet. Der von Peter Bodenmann «SP Militar» genannte Flügel wollte den historischen Graben zwischen Sozialdemokratie und Armee überwinden.

Irak-Krieg vereitelt Abstimmungssieg

Weil der Ausgang mit 51 Prozent Ja sehr knapp war und weil 60 Prozent der Linken Ja gestimmt haben (aber nicht bereit waren, selber Geld zugunsten eines Armeeprojekts einzusetzen), lässt sich feststellen: die UBS-Spende hat den Abstimmungskampf entschieden. Das hat sich spätestens nach Ausbruch des Irak-Kriegs im März 2003 für alle Ja-Sagenden als Pyrrhus-Sieg erwiesen. Zuerst einmal für die Armee, deren Führung noch Jahre an einer Strategie festhielt, die immer unpopulärer wurde: am historischen 24. September 2009 erlitt sie mit dem nationalrätlichen Nein zur «Operation Atalanta», also dem Einsatz gegen Piraten vor dem Horn von Afrika, endgültig und sprichwörtlich Schiffbruch.
Eigentlich wollten die Interventionsturbos ein ganzes Detachement in den Norden Afghanistans schicken. Um dieses Abenteuer zu vereiteln, bin ich unter anderem mit dem Militärprofessor und ehemaligen Oberstleutnant Albert A. Stahel im Herbst 2006 durch Afghanistan gereist. Ende 2007 gelang es dem doppelten Druck aus grüner und aus der SVP-Fraktion den Rückzug der beiden Stabsoffiziere aus Afghanistan durchzusetzen. Die darüber entsetzte Nato versuchte man mit der Beteiligung an der Piratenjagd vor Somalia zu besänftigen. Stellen wir uns vor, die Schweizer Armee steckte heute im Hindukusch fest!
Die Verluste der SP an die Grünen bei den Wahlen 2003 und 2007 hatten stark mit der Armee- und Friedensfrage zu tun. Mit der Irak-Katastrophe und unter dem Eindruck der Friedensbewegung besann sich die grosse Mehrheit der Linken wieder auf ihre armeekritische und kriegsfeindliche Grundhaltung zurück. Entscheidend für die Niederlage von Atalanta war die Tatsache, dass 40 Prozent der SP-Fraktion mit den Grünen gestimmt haben. Eine der ersten Wenden, die der neue Parteipräsident Christian Levrat darauf vollzog, war die Abkehr von militärischen Auslandeinsätzen. Damit ist das Kapitel Ausweitung der Auslandeinsätze abgeschlossen – für die SP, die Linke und das ganze Land.

Echte Risiken sind ziviler Natur

Den Banken hat ihr militärpolitisches Engagement nichts genützt. Und ihre Kader sind immer weniger bereit, für die Armee Zeit und Energie einzusetzen. Genau so wenig wie die Armee das Bankgeheimnis schützen konnte, kann sie das Land vor den realen Bedrohungen und Risiken schützen. Diese sind nämlich nicht militärischer, sondern ziviler Natur. Sicherheitspolitik heisst heute zu allererst Klimapolitik – gerade in einem Alpenland. Dann heisst es Atomausstieg. Wer diesen ablehnt, ist sicherheitspolitisch unglaubwürdig – auch weil Atomkraftwerke perfekte Minen sind. Internationale Sicherheitspolitik heisst heute primär, mit den Ressourcen sparsamer und gerechter umgehen und die Armut bekämpfen. Für die Lösung dieser zentralen und vitalen Probleme sind die Armeen und die Aufrüstung nicht bloss unnütz, sondern wegen ihrer Ressourcenverschleuderung eine zusätzliche Belastung.
Ich will mich hier möglichen gewaltförmigen Gefahren nicht verschliessen. Was aber vermag eine Armee gegen Terror-Anschläge – à la 9/11, à la Madrid 2004, à la London 2013? (Nebenbei gesagt: Der beste Schutz gegen islamistische Terror-Anschläge ist die Weigerung, sich am unsinnigen «War on Terror» zu beteiligen.) Was kann die Luftwaffe gegen Stealth-Flugzeuge? Was die Infanterie gegen einen atomaren Anschlag über einen in einem Gebäude deponierten Koffer? Was die häufig genannten Mittelstreckenraketen betrifft, stellen sich zwei Fragen: Welche feindliche Macht soll ausgerechnet die im Herzen Europas liegende Schweiz angreifen wollen und zu allem noch können? Zudem: Eine Raketenabwehr im Alleingang wäre reine Phantasterei.

Maurers Wende ins Innere

Ueli Maurer ist sich (freudig) bewusst, dass es keine Auslandeinsätze, die in der Grösse und in der Weite über den Kosovo hinausgehen, geben wird. Und er weiss (contre coeur), dass der klassische Verteidigungsfall derart unwahrscheinlich ist, dass dieser die Armee – mindestens in der geplanten Grösse – nicht mehr rechtfertigt. Der Armeeminister weiss noch etwas Drittes: Die Bevölkerung sieht in Naturkatastrophen die grosse Herausforderung der Zukunft. Und viele Bürgerinnen und Bürger haben Angst vor sozialen Verwerfungen in und um Europa und vor den dadurch ausgelösten Migrationswellen. Beide Elemente versucht der ehemalige SVP-Chef für die Relegitimierung der Armee fruchtbar zu machen. Im Sicherheitspolitischen Bericht 2010 kommen kritische Begriffe wie «Verletzlichkeit moderner Gesellschaften», «zivilisationsbedingte Katastrophen» oder «Liste potentieller Verwundbarkeiten» vor. Mit Verlaub: Zu deren Verhinderung und Bewältigung braucht es weder Gripen noch Panzer noch Sturmgewehre (höchstens polizeiliche Waffen gegen Plünderungen). Was es braucht, sind ein professionelles Katastrophenhilfekorps, einen starken und kompetenten Bevölkerungsschutz.
Gemäss Armeebericht 2010 sollen von den damals vorgeschlagenen 80‘000 Soldaten 35‘000 für die «Unterstützung der zivilen Behörden bei ausserordentlichen Ereignissen» eingesetzt werden. Da ein wichtiger Teil der von 22‘000 Soldaten erbrachten Basisleistungen auch den inneren Einsätzen dient, lässt sich daraus schliessen: Die Schweizer Armee soll grossmehrheitlich Zwecken dienen, die eigentlich ziviler oder polizeilicher Natur sind. Wie prekär es ist, die zukünftige Armee auf den Sandsäcken des «Sicherheitsverbundes Schweiz» zu bauen, zeigt folgende Zahl: Von den 75 Millionen Diensttagen der letzten zehn Jahre wurden 36‘000 für den Katastrophenschutz eingesetzt. Aus diesen 0,6 Prozent soll eine Hauptaufgabe werden?

Schule und Seele der Nation

Warum wird trotzdem an einer inzwischen wieder auf 100‘000 erhöhten Zukunfts-Armee festgehalten? Für die Traditionalisten inner- und ausserhalb der SVP ist die Armee nicht primär ein militär-technischer Apparat, sondern eine in der Gesellschaft tief verwurzelte Schule und Seele der Nation. Die Wurzeln und Symbole dieser sozialpsychologischen und identitätsstiftenden Institution sind die Soldaten. Hier liegt die Erklärung für den immer wieder geäusserten Wunsch, die Armee im Alltag wieder sichtbarer zu machen, was praktisch-militärisch völliger Unsinn ist. Es gibt hier allerdings ein Paradox – sowohl für die Traditionalisten als auch für uns von der GSoA. Die Akzeptanz der Armee ist auch deswegen wieder gewachsen, weil sie weniger Junge belastet und weniger Leute belästigt – beispielsweise im Abendverkehr.
Stärker spielt allerdings ein anderer Faktor: In Zeiten allgemeiner Verunsicherung, die mit Militärischem nichts zu tun haben muss, klammern sich viele Menschen verstärkt an Institutionen, die Sicherheit versprechen. Aus diesem Grund haben wir einen Vorschlag gemacht, der nicht die Armee als solche, aber deren Umfang und Kosten in Frage stellt: die Aufhebung der Wehrpflicht.

Aufhebung der Wehrpflicht

Unsere Grundannahmen sind die folgenden: Zwang, insbesondere Militärzwang, lässt sich durch kein relevantes Konflikt-Szenario begründen. Solange die Wehrpflicht gegenüber jährlich 40‘000 jungen Männern existiert, lässt sich die Armee nicht substantiell verkleinern. Und lassen sich die Diensttage, welche der Wirtschaft jährlich 4 Milliarden Opportunitätskosten verursachen, nicht unter 5 Millionen senken. Eine 50‘000er Armee, die also ein Viertel so gross wäre, wie die zukünftige Bundeswehr sein wird, braucht pro Jahr noch einen Viertel der Wehrpflichtigen. Weiter ist die Wehrpflicht für bildungsnahe Schichten in grösseren Städten schon seit längerem abgeschafft. So geht die im «Sicherheitsbericht 2013» gestellte Frage «Die Wehrpflicht ist gut, weil sie für alle jungen Männer gilt und deshalb gerecht ist» von einer Fiktion und nicht von einem Faktum aus (und ist deshalb falsch). Schliesslich zementiert die Wehrpflicht für Männer überholte Rollenbilder.
Der offizielle sicherheitspolitische Diskurs in der Schweiz geht ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges immer noch von der Prämisse aus: «Wir haben eine Armee. Wie legitimieren wir sie mit den Bedrohungen, Gefahren, Risiken, Ängsten und Befürchtungen?» Ein rationaler Sicherheitsdiskurs geht von der Frage aus. «Was sind die wirklichen Bedrohungen, Gefahren und Risiken? Wie gehen wir sie an und wie schützen wir uns vor ihnen?» Im Vergleich zu 2001 gibt es eine wichtige Gemeinsamkeit und einen grossen Unterschied: Die Bürgerlichen sind immer noch tief gespalten, auch wenn sich die Modernisten sehr zurück halten. Die Linke ist wieder geeinigt. Das ist wichtig im Hinblick auf die kommenden Auseinandersetzungen für die Aufhebung der Wehrpflicht und die Verhinderung der Gripen-Beschaffung.

Hinweis:
Die Infosperber-Serie zur Sicherheitspolitik der Schweiz wurde ausgelöst durch einen Artikel von Niklaus Ramseyer und angeregt von Robert Ruoff, Mitglied der Infosperber-Redaktionsleitung. Infosperber wird Niklaus Ramseyer in den nächsten Tagen zur Serie Gelegenheit zu einer Reaktion geben. Die Serie ist damit abgeschlossen. Die Debatte ist aber offen. Und das Thema wird Infosperber weiter beschäftigen.

Zum Dossier «Die Sicherheitspolitik der Schweiz»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Josef Lang ist GSoA-Vorstand seit 30 Jahren, alt Nationalrat, Historiker. Er veröffentlichte 1998 das Buch "Die Seele der Nation. Die Bedeutung einer Schweiz ohne Armee." ISP-Verlag, Frankfurt am Main.

Zum Infosperber-Dossier:

Fliegerabwehrkanone

Die Sicherheitspolitik der Schweiz

Wer und was bedroht die Schweiz? Welche Strategie braucht sie für ihre Sicherheit nach innen und aussen?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

Eine Meinung zu

  • am 15.06.2013 um 16:06 Uhr
    Permalink

    wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor. Jedes Land hat eine Armee, entweder die eigene oder eine fremde. Die Ideen des Herrn Lang entspringen einem Wunschdenken und haben mit der menschlichen Realität nichts zu tun. Es ist weltfremde Wichtigtuerei sonst nichts.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...