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Die deutsche Exportmaschine läuft auf Hochtouren © dw/youtube

Deutschlands Exportüberschüsse sind riskant

Red. /  Deutschland setzt 2016 seine Serie der Rekord-Exportüberschüsse fort und stösst auf internationale Kritik.

Deutschland wird im laufenden Jahr aller Voraussicht nach neue Rekordüberschüsse im Aussenhandel erzielen und zum Land mit dem grössten Aussenhandelsplus weltweit werden. Das sagt das Münchner ifo-Institut voraus. Demnach ist davon auszugehen, dass die deutschen Exporte 2016 die Importe um 310 Milliarden US-Dollar (277 Milliarden Euro) übersteigen werden. Damit läge die Bundesrepublik wieder vor China (260 Milliarden US-Dollar), das im vergangenen Jahr bei den globalen Handelsüberschüssen die Nummer eins gewesen war. Auf Platz drei dürfte laut ifo-Institut Japan folgen (170 Milliarden US-Dollar).

Tatsächlich ist es deutschen Unternehmen im ersten Halbjahr gelungen, ihre Ausfuhren um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf einen Wert von insgesamt 603,2 Milliarden Euro zu steigern; bei Einfuhren im Gesamtwert von 472,4 Milliarden Euro und unter Berücksichtigung statistisch notwendiger Ergänzungen konnte Deutschland von Januar bis Juni 2016 ein Handelsbilanzplus von 142,6 Milliarden Euro erzielen – deutlich mehr als im ersten Halbjahr 2015 (129,8 Milliarden Euro).

Lohnverzicht für die Expansion

Mit dem neuen Rekord-Aussenhandelsplus setzt die Bundesrepublik die Serie ihrer Überschüsse aus den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten fort. Die deutsche Wirtschaft verkauft seit 2001 mehr Waren ins Ausland, als sie selbst von dort beschafft. Ihre Überschüsse erreichten im Jahr 2012 bereits einen Wert von rund 170 Milliarden Euro; 2014 beliefen sie sich auf 220, 2015 schon auf 248 Milliarden Euro. Insgesamt überstiegen die deutschen Exporte seit dem Jahr 2001 die Importe um gut zwei Billionen Euro – immense Reichtümer, die in Deutschland angehäuft wurden und dieses Jahr noch weiter wachsen.

Möglich ist das, weil, wie die Bertelsmann-Stiftung in einer Ende 2015 publizierten Studie erläutert, die Lohnstückkosten in der Bundesrepublik «von 1995 bis 2011 nahezu konstant» blieben, während sie in den meisten anderen Industriestaaten im selben Zeitraum «um 30 bis 40 Prozent» stiegen. Das wiederum liegt, wie die Stiftung feststellt, nicht nur am technologischen Fortschritt, sondern vor allem auch an «einer zurückhaltenden Lohnpolitik der Gewerkschaften»: Lohnverzicht der abhängig Beschäftigten führt dazu, dass deutsche Unternehmen sich im Ausland zunehmend gegen ihre internationale Konkurrenz durchsetzen und profitable Geschäfte abschliessen können. Im Endergebnis füllt der Lohnverzicht also nicht nur die Konzernkassen, er kommt auch einer Beihilfe für die deutsche Industrie zur Sicherung einer machtvollen Position in der Weltwirtschaft gleich.

In die Schuldenfalle exportiert

Umgekehrt haben die anhaltenden deutschen Exportüberschüsse, wie die Bertelsmann-Stiftung in Erinnerung ruft, gravierende Nachteile für diejenigen Länder, die in ein dauerhaftes Handelsdefizit gegenüber der Bundesrepublik geraten. So müssen sich die betroffenen Volkswirtschaften zur Finanzierung ihrer Handelsdefizite in vielen Fällen «im Ausland verschulden». Ausserdem stehen «dem höheren Beschäftigungsniveau des Exportüberschusslandes Deutschland» häufig «geringere Beschäftigungsniveaus in den Ländern mit einem Importüberschuss gegenüber»: «So gesehen exportiert Deutschland seine Arbeitslosigkeit».

In ein dauerhaftes Handelsdefizit gegenüber der Bundesrepublik sind unter anderem Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland geraten. Allein von 2010 bis 2015 flossen aus Italien und Spanien rund 60 Milliarden Euro nach Deutschland ab. Das in der Krise versinkende Griechenland zahlte im selben Zeitraum immerhin 19 Milliarden Euro netto in die Bundesrepublik. Aus Frankreich wurden von 2010 bis 2015 sogar über 210 Milliarden Euro netto an deutsche Unternehmen überwiesen – riesige Summen, deren Verlust in allen vier Ländern deutlich krisenverschärfend wirkt.

Stabilitätsgefährdend

Wegen der fatalen Folgen der dauerhaften deutschen Exportüberschüsse üben Experten schon lange scharfe Kritik an Berlin. Die EU-Kommission stuft Aussenhandelsüberschüsse von mehr als sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausdrücklich als stabilitätsgefährdend ein. Die Bundesrepublik überschreitet diese Schwelle bereits seit 2006. 2014 stieg der deutsche Überschuss auf 7,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts; in diesem Jahr wird er voraussichtlich rund 8,9 Prozent betragen. Bereits mehrmals hat die EU-Kommission sich offiziell darüber beschwert – ohne Erfolg: Die Bundesregierung leugnet regelmässig die negativen Auswirkungen der deutschen Exportwalze vor allem auf die Länder der südlichen Eurozone.

Auch die Vereinigten Staaten haben immer wieder gewarnt, die anhaltenden deutschen Überschüsse könnten auch über die Eurozone hinaus dauerhaft schuldentreibende und damit gefährliche Auswirkungen haben. Aus Anlass der jüngsten Vorhersage des ifo-Instituts über den Anstieg des deutschen Exportüberschusses auf rund 8,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hat sich nun zusätzlich die OECD gegen Berlin positioniert. «Wir sind besorgt wegen der globalen Ungleichgewichte», wird ein OECD-Experte zitiert; diese drohten die Weltwirtschaft weiter aus dem Lot zu bringen, wie die ARD-Tagesschau berichtete.

Die Bundesregierung ist jedoch, weil die Überschüsse die Weltstellung der deutschen Industrie stärken und ihr Wohlstand bringen, nicht zu Zugeständnissen bereit: Die verschuldeten südlichen Eurostaaten sollten per Austeritätspolitik Schulden abbauen und ihr Handelsdefizit gegenüber Deutschland mit Billigexporten in Drittländer finanzieren, heisst es; eine Verschuldung von Nicht-Euroländern hingegen könne ignoriert werden.

Dominoeffekte

Diese Einschätzung stösst bei deutschen Think-Tanks zunehmend auf Kritik. So konstatiert etwa die Bertelsmann-Stiftung: «Wegen der hohen Exportquote hängt die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands besonders stark von der weltweiten Konjunkturentwicklung ab.» Daher komme es «bei einem starken Einbruch der Weltwirtschaft» gerade hierzulande zu «überdurchschnittlichen Produktionseinbrüchen». Dies habe sich deutlich in der Krise der Jahre 2008 und 2009 gezeigt: Sei das Bruttoinlandsprodukt in den Vereinigten Staaten, dem Ursprungsland der Krise, um weniger als drei Prozent geschrumpft, so sei das deutsche Bruttoinlandsprodukt 2009 im Vergleich zum Vorjahr «um mehr als fünf Prozent» eingebrochen.

Auch von der aktuell «nachlassenden Wirtschaftsdynamik Chinas» seien «die Länder mit hohen Exportüberschüssen am stärksten … betroffen», stellt die Bertelsmann-Stiftung fest. Zusätzlich drohten «Dominoeffekte», wenn aufgrund der Umbrüche in China weitere Länder etwa Südostasiens oder Ressourcenstaaten Südamerikas ihre Exporte nach China drosseln müssten und dann selbst nicht mehr genügend Mittel besässen, um deutsche Produkte zu kaufen. Das exportfixierte deutsche Wachstumsmodell, warnt die Bertelsmann-Stiftung, könne dann nicht mehr funktionieren.

Erste Einbrüche

Tatsächlich zeichnet sich in den jüngsten Exportstatistiken eine entsprechende Entwicklung bereits in ersten Ansätzen ab: Im ersten Halbjahr 2016 gingen die deutschen Exporte in Nicht-EU-Staaten um 1,2 Prozent zurück. Das lag nicht zuletzt an Einbrüchen im Chinageschäft. So schrumpfte etwa die Ausfuhr des deutschen Maschinenbaus in die Volksrepublik im ersten Halbjahr 2016 um 11,5 Prozent; dies wiederum führte zu einem Rückgang der Maschinenausfuhr insgesamt um 1,1 Prozent.

Darüber hinaus halten die Sanktionen gegen Moskau die deutsche Ausfuhr nach Russland auf niedrigem Niveau; mit der Türkei rutscht nun ausserdem der viertgrösste Käufer deutscher Produkte ausserhalb der EU in eine womöglich tiefe Krise. Die Exporteinbrüche gegenüber Drittstaaten liessen sich im ersten Halbjahr 2016 noch durch eine Steigerung der Ausfuhren in EU-Länder mehr als ausgleichen.

Zwar nahmen die Lieferungen in die – ihrerseits krisengeschüttelte – Eurozone nur um 2,0 Prozent zu; doch wuchsen die Verkäufe in die EU-Staaten ausserhalb der Eurozone um 5,5 Prozent. Letzteres ist vor allem Grossbritannien zu verdanken, von dem allerdings unklar ist, ob es sich nach seinem bevorstehenden Austritt aus der EU weiterhin so umfassend aus der Bundesrepublik beliefern lassen oder seine Käufe in anderen Staaten tätigen wird. Aufgrund der zunehmenden Unwägbarkeiten rät die Bertelsmann-Stiftung zu vorsichtigen Kurskorrekturen und auf lange Sicht zu einer vorsichtigen Abkehr von der riskanten Fixierung Berlins auf den Export.

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Diese Beitrag ist erstmals auf german-foreign-policy.com erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Die «Informationen zur Deutschen Aussenpolitik» (german-foreign-policy.com) werden von einer Gruppe unabhängiger Publizisten und Wissenschaftler zusammengestellt, die das Wiedererstarken deutscher Grossmachtbestrebungen auf wirtschaftlichem, politischem und militärischem Gebiet kontinuierlich beobachten.

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2 Meinungen

  • am 14.09.2016 um 11:31 Uhr
    Permalink

    Der Artikel ist sehr interessant und regt – auf jeden Fall mich – zum Denken an.
    Bin neugierig auf fachliche Kommentare

  • am 15.09.2016 um 16:10 Uhr
    Permalink

    Sehr vieles in diesem Artikel ist interessant und richtig. Hier in der Schweiz sollten wir auch zur Kenntnis nehmen, dass man mit extremer Exportorientierung auch extrem krisenanfällig wird.

    Spannend ist aber auch, was im Artikel ausgeblendet wird. Das Ungleichgewicht zwischen Deutschland und den südlichen EU-Staaten verdanken wir zu einem wesentlichen Teil auch dem Euro. Ohne diesen hätten sich die Währungen der südlichen Staaten gegenüber jener Deutschlands in den vergangenen Jahren substantiell abgeschwächt. Dadurch wäre der Export von Deutschland nach Süden erschwert, jener in umgekehrter Richtung hingegen vereinfacht worden.
    Auch die stagnierenden deutschen Löhne haben noch andere Ursachen als nur die böse Arbeitgeberschaft und die Schwäche der Gewerkschaften. Wegen der Schaffung des Binnenmarktes mit seinen vier Freiheiten werden Löhne nicht nur national, sondern auch EU-Weit verglichen. Und gemessen an griechischen Löhnen sind jene in Deutschland dann plötzlich doch nicht so schlecht.

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