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Auf der Internetseite der«Republik»: Carla Del Ponte im Interview mit Roger de Weck © Republik

Del Pontes Grenzen der selektiven Gerechtigkeit

Niklaus Ramseyer /  Roger de Weck interviewt Carla Del Ponte: Ein publizistisches Highlight – aber auch eine verpasste Chance.

Er kann es halt immer noch: Durch alle Chefposten hindurch bis in die SRG-Direktion hinauf ist Roger de Weck jener engagierte und leidenschaftliche Journalist geblieben, der er schon in jungen Jahren mit seinen Enthüllungen zu Bankenskandalen war. Sein Interview mit der Schweizer Bundesanwältin und später internationalen Chefanklägerin Carla Del Ponte auf der Internetseite der «Republik» hat es einmal mehr eindrücklich gezeigt.

Mit de Weck spricht Del Ponte erstaunlich offen und schonungslos über die Möglichkeiten, aber auch über die (politischen) Grenzen der Justiz – national und vor allem auch international. Dem CVP-Bundesrat und Justizminister Arnold Koller habe sie klar gesagt, «ich mache keine Politik, ich gehe nur nach dem Gesetz», berichtet Del Ponte etwa. Koller habe sie nämlich als Bundesanwältin zitiert – und politisch bremsen wollen.

«Kein politischer Wille im Sicherheitsrat»

Politischen Bremsern begegnete Del Ponte später erst recht in ihrem internationalen Kampf um Gerechtigkeit als sie als Chefanklägerin Kriegsverbrechen und Verletzungen der Menschenrechte aufklären und die Täter der gerechten Strafe zuführen musste. «Für Ruanda und Ex-Jugoslawien war der politische Wille für Gerechtigkeit im Uno-Sicherheitsrat da», sagt sie unumwunden: «Für Syrien hingegen kein politischer Wille. Darum haben wir da nichts erreicht, sind nach sechs Jahren (2011 bis 2017; Anm. d. Red.) gescheitert.» Das sei ihre grosse Enttäuschung.

Del Ponte nimmt kein Blatt vor den Mund: «Die internationale Gemeinschaft sollte sich schämen», sagt sie. Denn: «Es gibt keine Limite für die Grausamkeit der Menschen, keine Grenzen der Barbarei.» Das sehe man aktuell etwa auch im Jemen. Da bräuchte es eine solide internationale und nachhaltige Gerichtsbarkeit. Aber man sei weiter davon entfernt als auch schon: «Die Uno war noch nie so schwach wie jetzt», klagt Del Ponte. Und die Grossmächte im Sicherheitsrat liessen Gerichte und Gerechtigkeit nur dann zu «wenn es ihnen passt». Die Grossen kämen sowieso nie vor ein Gericht.

Afrikaner und «Jugos», nie aber Amerikaner

Da waren Del Ponte und de Weck ganz nah dran, an der zentralen Problematik der internationalen Tribunale. Konkret: An deren politisch willkürlichen Selektivität. Diese macht sie zu einer Art Kolonial- oder Siegerjustiz. Regierungen afrikanischer Staaten haben das längst gemerkt – und dagegen protestiert. Del Ponte gefällt es auch nicht. Nur für Ex-Jugoslawien und für Ruanda war bisher eine griffige Verfolgung von Kriegsverbrechern und -verbrechen möglich. Auch de Weck kam da auf die alte Formel: «Die Kleinen hängt man – und die Grossen lässt man laufen.»


Horror in Rakka. US-Täter kommen nie vor Gericht. Foto: Amnesty International

Das zeigt sich aktuell gerade etwa in Rakka in Syrien. Da hat «Amnesty International» starke Hinweise auf Kriegsverbrechen durch französische und US-Truppen publik gemacht. Verdacht auf Kriegsverbrechen auch beim gewalttätigen Vorgehen der israelischen Besatzungsarmee gegen unbewaffnete Palästinenser jetzt wieder in Gaza. Doch da wird es nie ein internationales Gericht geben: Israelische Scharfschützen im illegal besetzten und besiedelten Palästina, russische Kommandeure in Tschetschenien oder in der Ostukraine, chinesische Generäle in Tibet, und französische Offiziere in Afrika haben von solchen Gerichten nie etwas zu befürchten. US-Soldaten irgendwo weltweit sowieso nicht.

Strafverfolgung nur von Fall zu Fall

Warum nicht? Weil die internationale Gerichtsbarkeit keine unabhängige ist. Und weil die entsprechenden Gesetze keine Allgemeingültigkeit haben. Sonst müssten sie so formuliert sein: «Wer irgendwo auf der Welt unbewaffnete Menschen aus der Zivilbevölkerung (insbesondere Frauen und Kinder) willentlich mit militärischen Mitteln angreift, verletzt oder tötet, oder ihren Lebensraum zerstört, wird als Kriegsverbrecher verfolgt und mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft.»

Rechtsstaatlich korrekt müsste dieses Gesetz dann für alle gleich und «ohne Ansehen der Person» gelten und durchgesetzt werden. Doch die bisherigen internationalen Tribunale sind weit davon entfernt. Sie sind nicht weltweit kompetent, sondern immer nur «für Ex-Jugoslawien» oder eben «für Ruanda». Nie aber «für Vietnam», wo die Verantwortlichen für die kriegsverbrecherischen Giftgasangriffe (Dioxin) durch die US-Airforce längst vor Gericht gestellt gehörten. Nie für Kriegsverbrechen in Jemen oder Afghanistan oder in Palästina.

Immunität für Besatzungstruppen dank Sofa

Da fordern extremistische israelische Politiker inzwischen generelle Immunität für ihre Besatzungstruppen. Das wundert wenig: Sie imitieren damit nur die USA, die ja die israelische Armee auch zu einem beträchtlichen Teil finanzieren. Für US-Soldaten gilt fast weltweit Immunität und Schutz vor Strafverfolgung wegen der Sofa-Abkommen. Sofa heisst «Status of Forces Agreement». Mit diesen «Vereinbarungen» sichern auch Grossbritannien, Frankreich, Deutschland oder Russland die Situation ihrer Truppen im Ausland ab. Vor allem aber die USA: Sie betreiben über 700 kleinere und grössere Militäreinrichtungen in 156 Ländern weltweit. In 63 fremden Staaten gar veritable Basen und Stützpunkte. Nur 46 Länder sind frei von US-Truppen – darunter zum guten Glück auch die Schweiz (siehe dazu).

Und überall garantieren die Sofa-Vereinbarungen den US-Soldaten faktisch Immunität. Den Regierungen der betroffenen Staaten wird dann ein «allgemeiner Verzicht auf Ausübung der Strafgerichtsbarkeit» vertraglich abgepresst, wie auch die deutsche Regierung auf eine entsprechende Anfrage der Linken zugeben musste. Oft erfolgen diese Vereinbarungen heimlich, meistens ohne Mitsprache oder Entscheidung der Parlamente.

Die betroffene Bevölkerung hat sowieso nichts zu sagen. Mit fatalen Folgen: Dutzende Fälle von Kindsmissbrauch durch US-Truppen in Lateinamerika oder Verkehrstote verursacht durch US-Panzer in Südkorea – die Täter bleiben «immun». Wie eben auch jene US-Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen, welche «Amnesty» nun in Rakka untersucht hat.

Weltweite Gerechtigkeit – selektiv und willkürlich

Damit jedoch bleibt die eigentlich wichtige internationale Gerechtigkeit und Gerichtsbarkeit selektiv und willkürlich. Sie greift eben nur dort, «wo es den Grossmächten passt», wie Del Ponte offen sagt. An diesem zentralen Punkt wäre eine Vertiefung des Gesprächs dringend nötig gewesen. Denn eine politisch missbrauchte, nur selektive Justiz, die nicht für alle gleichermassen gilt, ist kaum besser als gar keine.

Diese Chance hat de Weck verpasst. Sein Interview mit Del Ponte ist dennoch höchst interessant. Wie auch das Buch der ebenso prominenten wie engagierten Juristin: «Im Namen der Opfer».


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4 Meinungen

  • am 8.06.2018 um 11:43 Uhr
    Permalink

    Klartext vom Feinsten. Danke Niklaus Ramseyer.

  • am 8.06.2018 um 11:49 Uhr
    Permalink

    ‹Die UNO war noch nie so schwach wie jetzt›, sagt Carla del Ponte.

    Dasselbe galt für ihren Vorgänger, den Völkerbund kurz vor dem Lospreschen des Dritten Reiches und seine völlige Aufreibung in den 30er Jahren. Sollten wir die Parallelen nicht etwas genauer anschauen?

    Und noch ein Blick in die Geschichte, der erklärt, warum die ‹Grossen› nie drankommen. Sowohl Amerikaner wie auch Russen haben es nur deshalb zu den Nürnberger Prozessen kommen lassen, wenn praktisch garantiert wurde, dass sie selber nie zu so einem Gericht vorgeladen würden. Die Russen wollten die Alt-Nazis und eine ganze Menge Leute darüber hinaus einfach abmurksen und die Amerikaner haben sich vom Wissenspool der Nazis einverleibt, was sie brauchen konnten, Nazi oder nicht.
    Deshalb wird es nie eine wirkliche internationale Gerichtsbarkeit geben, deren Arm lang genug ist, die (kriegs-)verbrecherischen Amerikaner und Russen, aber selbst auch Europäer zu fassen und zu verurteilen.

  • am 13.06.2018 um 20:02 Uhr
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    ja, so sehe ich das auch. Die REPUBLIK mag sich in heiklen welt- und finanzpolitischen Fragen offensichtlich nicht exponieren und ihre Abonnenten vermissen das, wenn ich die Rückmeldungen an die Redaktion anschaue, auch nicht. Ich hatte etwas Anderes erwartet. Schade.

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