Kommentar

Chance verpasst: SVP durch Menschenrechte geschützt

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Jürgmeier /  Das ist das Paradox: Die Niederlage schützt die Verliererin vor denkbaren Gefahren der direkten Demokratie. Eine Realsatire.

Zugegeben: Ich könnte mir eine Welt ohne SVP vorstellen. Ganz gut. Trotzdem überkommt mich bei diesem «Volksurteil» vom 26. November 2018 fast so etwas wie Mitleid. Notorischer Gutmensch halt. Knapp von den Strapazen des Black Friday erholt – so ein schwarzer Sonntag. An dem «das Volk» wieder einmal macht, was alle anderen wollen. Und man als treues SVP-Mitglied, wenn das Sünneli untergeht, am liebsten Monica Morells uralten Ohrwurm trällern würde: «Ich fange nie mehr was an einem Sonntag an.»

«Wenn es der Bevölkerung sehr gut geht, haben wir es schwer»

Da hat der SVP-Zanetti am Freitagabend noch in die Arena hinausposaunt, er glaube nicht, dass «das Volk» (auf jeden Fall seines nicht, meint er) sich kaufen lasse – «Wenn es so wäre, dann wären wir schon längst EU-Mitglied» –, dann eher noch «die Politiker». Aber das sagt er, natürlich, nicht.

Nur zwei Tage später beklagt Kampagnenleiter und SVP-Nationalrat Thomas Matter im Abstimmungsstudio SRF das «unlimitierte Budget» und die «aggressive Märchenstunde-Kampagne» der Gegnerinnen. Der Mann, der den geistigen Samen für die mit 66% Nein-Stimmen bachab geschickte Initiative gespendet haben soll, der Hans-Ueli Vogt jammert: «Die Gegner hatten viele Argumente» (Blick, 26.11.). So gemein – warum haben die jetzt wieder mehr Fussballbildli als ich? Und der Präsident der Partei – welche die Schweiz seit Jahrzehnten vor dem Untergang rettet – lamentiert: «Wenn es der Bevölkerung sehr gut geht, haben wir es schwer» (Blick, 26.11.). Schluchz. Das ist natürlich ein bitteres Los für eine Volkspartei. (Und ich habe immer geglaubt, die Verelendungstheorie sei auf marxistischem Mist gewachsen.) Wenn das so bleibt, dass es der Bevölkerung sehr gut geht, dann wird der Rösti nie Bundesrat. Und die Martullo-Blocher auch nicht. Die machen das ja nur, wenn «der Schweiz» nicht mehr anders zu helfen ist. Aber die glauben ihnen ja nicht einmal, dass die direkte Demokratie «einen langsamen Tod stirbt» (Vogt, Radio SRF), diese Schweizerinnen und Schweizer.

«Ich bin so stolz auf unser Land»

Hat sie das verdient, die «WirsinddasVolk»-Partei? Dass die Bürger und Bürgerinnen sich von fremdem Geld (statt von eidgenössischen Silberlingen) kaufen und von unschweizerischen Märchen verhexen lassen? Dass die anderen bei der Argumentenausgabe bevorzugt werden, nur weil man selbst «zu früh gewesen» (Vogt)? Dass ihr diese grüne Rytz die nationalistische Schwurformel klaut, hinterhältig in die Kamera des Schweizer Staatsfernsehens strahlt «Ich bin so stolz auf unser Land?» (was sie auch nicht immer ist), so dass der Basel-Landschäftler Nationalrätin Sandra Sollberger nur noch der Stolz bleibt, «Teil dieser SVP-Familie» zu sein, die in diesen schwierigen Zeiten so fest zusammengehalten habe, «kein Querschläger, alle zusammen – ein Ziel, das darf man auch nicht vergessen», nein, seufz, das darf man nicht, daran kann man sich halten, denn «das schafft keine andere Partei» (Abstimmungsstudio SRF).

Hat es die völkischste aller Parteien wirklich verdient, dass ihr das Volk davonläuft? Dass sie sich jetzt – während alle anderen wichteln und Adventsgschänkli auspacken dürfen – auf die Suche nach diesem launischen Völkli machen muss? Draussen in Schnee und Kälte? Als trampelten sich in diesen Tagen nicht Christkinder und Weihnachtsmänner vor allen denkbaren Türen auf den Füssen herum, sondern, falsches Märchen, als hüpften im Dezember Osterhasen über eisige Felder und glatte Strassen. Immerhin – manchmal versteckt sich in so einem Osternäschtli auch ein Argument oder sogar eine Bürgerin.

Wenn ein türkischer Richter die SVP schützt

Was in all dem rechten Wehklagen, linksökonomistischen Triumphgeheul und dem hämischen Mitleid eines Gutmenschen untergeht: Die heimliche Siegerin dieses Black Sundays ist die SVP. Seit letztem Wochenende hat der (un)heimliche Traum einer Welt ohne SVP keine realistische Zukunftsperspektive mehr. Wer bis zum 25. November 2018 noch gelegentlich mit dem Gedanken gespielt hat, die Partei – die eins ums andere Mal zentrale demokratische Institutionen und Menschenrechte attackiert – irgendwann beim Wort zu nehmen und ihre weitere Existenz qua Initiative vom Urteil des von ihr so gern angerufenen Volkes abhängig zu machen, der oder die hätte ein «Ja» zur Selbstbestimmungsinitiative ins richtige Couvert stecken müssen.

Aber diese «Linken und Netten», wir mussten ja mit einem «Nein» verhindern, dass wir in verzweifelten Tagen diesen letzten Trumpf aus dem Ärmel ziehen und die SVP mit ihrer eigenen Initiative – Schweizer Recht vor Völkerrecht – «abstechen» könnten. Wäre diese Initiative angenommen worden – keine fremde Richterin könnte die SVP vor einer zufälligen und linkspopulistischen Volksmehrheit schützen, die einem Verbot der Partei zustimmte, die sich so gern als ausgegrenzte und verfolgte Minderheit inszeniert (1). Dann würde das Schweizer Volk für immer das letzte Wort und recht behalten.

Wir aber haben dafür gesorgt, dass sogar die «Wirgegenalle»-Partei, wie gross oder klein sie auch irgendwann sein mag, jederzeit ihre (Minderheits-)Rechte – insbesondere die Vereinigungsfreiheit – beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einklagen und darauf hoffen kann, dass sie so ein türkischer Richter vor der Diktatur eidgenössischer Mehrheiten retten würde. Das ist das Paradox demokratischer und pluralistischer Gesellschaften: Sie schützen auch jene, die bei jeder Gelegenheit «Keine Toleranz für Intoleranz» schreien. Aber, diese letzten Schweizer sind uns vermutlich nicht einmal dankbar dafür. Sie sind, wie vieleviele andere, in der Denkfigur gefangen, die unglücklich macht: Immer sind alle gegen uns. Und alles. Die Menschenrechte, das Wetter und sogar das eigene Volk.

(1) «Der Kampf gegen die SVP vonseiten der Staatsmedien und von Blick bis zur NZZ hat mich in ihrer Radikalität an die Methoden der Nationalsozialisten den Juden gegenüber erinnert» (Christoph Blocher nach der Abstimmung über die «Durchsetzungsinitiative» in einem am 16. April 2016 in der Zürichsee– und in der Berner Zeitung veröffentlichten Interview).


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3 Meinungen

  • am 30.11.2018 um 14:28 Uhr
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    Sehr gerne erwarte ich dann nach vier Jahren von J. Meier eine reale Lagebeurteilung. Stirbt die direkte Demokratie einen langsamen Tod; weil bis dann unzählige Gesetze und BV angepasst werden müssen. Bedingt durch das Rahmenabkommen wird m.E. der Lebensstandart der Normalos massiv sinken. Die Steuerlast wegen den steigenden Sozialhilfekosten dadurch (und Asylwesen) steigen. Darüber wird der Bürger sicherlich nicht mehr an der Urne abstimmen können; weil solche Entscheide diskriminierend sind, und angefochten werden. Dann wird es auch nicht mehr SVP-Wähler geben, sondern wie Neuzeitpropheten niedergeschrieben zu Bürgerkriegen und dann zu einem dritten Weltkrieg kommen. Gegen wen oder was somit gespotten werden soll, bleibt mir ein Rätsel. Zerreissen sie diese Situation bitte erst in vier Jahren, Danke.

  • am 3.12.2018 um 07:41 Uhr
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    Die Steuerlast geht wegen den ansteigenden Sozialkosten hoch. Das würde ich so nicht unterschreiben. Die Steuerlast ist hoch weil reiche Bürger und Unternehmen immer weniger oder wenig Steuern zahlen müssen. Im Kt Luzern zum Beispiel zahle ich auf meinen Lohn mehr Steuern als ein Unternehmen auf seinen Gewinn. Die Sozialhilfe anzugreifen und als Steuerfresser hinzustellen ist sehr einfach und zieht beim «Volk» in der Regel gut. Kaum jemand traut sich reiche und Unternehmen anzugreifen, denn dort steckt das fehlende Geld! Würde man die kompletten Sozialkosten mit den versteckten Gelder auf Steueroasen wie Panama vergleichen dann wären die Sozialkosten ein Witz, ein 10 Rappen Kaugummi aus dem Kiosk.

  • am 4.12.2018 um 08:30 Uhr
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    Hallo Jürgmeier, dein Mitleid ist bei der SVP & Co. am falschen Platz! Die Wegbereiter eines neuen Faschismus verdienen das nicht. Schau dir doch das Triumvirat von Blocher, Köppel und Freysinger mal genauer an und die lieben Töchter noch dazu. Sie nutzen den Nebel, eine rechtsextreme Politik in allen Belangen durchzusetzen.

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